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Rede von Staatsminister für Europa Michael Roth bei der Veranstaltung „Religion(en) und gesellschaftliches Zusammenleben – ein deutsch-französischer Blick drei Monate nach den Attentaten von Paris“ im Institut Français Berlin
--es gilt das gesprochene Wort--
Vielen Dank für die Einladung zur heutigen Veranstaltung hier im Institut Français am Kurfürstendamm. Wohl kaum ein Ort ist besser geeignet für einen Austausch zum Thema „Religionen und gesellschaftliches Zusammenleben“ als dieses Haus, das sich so sehr der Förderung des kulturellen Dialogs und Zusammenlebens verschrieben hat.
Wie drängend die Frage des Miteinanders unterschiedlicher Glaubensrichtungen ist, haben wir erst vor einigen Wochen auf grausame Art und Weise in Paris erleben müssen. Denn es war religiös motivierter Fanatismus und Hass, der die Attentäter von Paris angetrieben hat. Die große Solidarität in Deutschland mit den Opfern der Terroranschläge war auch ein ganz besonderer Moment für die deutsch-französische Freundschaft. „Je suis Charlie“ – diese Parole war auch in Deutschland allgegenwärtig.
In diesen Tagen haben wir in Deutschland alle wie Franzosen gefühlt. Der Terror hat uns bei unserem Einsatz für unsere gemeinsamen Werte nur noch enger zusammengeschweißt.
Der Terror hat uns aber wieder einmal in Erinnerung gerufen, dass Religion nicht per se eine allein dem Frieden dienende spirituelle Weltanschauung ist. Manchmal wird der Glaube gleich an welchen Gott auch zum Irrglauben, der direkt in brutale, menschenverachtende Radikalität führen kann. Nicht nur in Frankreich, sondern überall auf der Welt. Wir erleben derzeit eine bemerkenswerte Ungleichzeitigkeit: Während in Deutschland und Frankreichs der religiöse Analphabetismus zu- und die Wirkmächtigkeit des Glaubens der Mehrheitsgesellschaft politisch und gesellschaftlich dramatisch abnimmt, wachsen religiöser und gewaltbereiter Fanatismus weltweit.
In vielen aktuellen Krisen und Konflikten spielt die Religion eine ganz unrühmliche Rolle. Im Nahen Osten erleben wir seit Jahrzehnten einen Kampf der Religionen. In Irak und in Syrien wüten islamistische Terroristen, die den Islam missbrauchen, barbarische Gräueltaten und Menschenrechtsverletzungen begehen.
Beim Blick auf die aktuellen Schlagzeilen möchte man fast schon fragen: Ist die Religion an allem schuld? Ist Religion ein Spaltpilz für unsere Gesellschaften? Was hat es vor allem mit dem Islam auf sich? Was ist das für eine Religion, auf die sich Attentäter und Terroristen bei ihren Gewalttaten berufen?
Auch eine aktuelle Umfrage der Bertelsmann-Stiftung hat mir zu denken gegeben: Über 60 Prozent der Deutschen sind der Meinung, dass der Islam nicht in die westliche Welt passe. Vielleicht denken sie so, weil wir aus dieser Region oft nur Bilder von Krisen und Konflikten sehen. Und vor allem weil unsere Debatte so sehr von Gegensätzen geprägt ist: Als müsse die Demokratie sich vor dem Islam hüten und der Islam vor der Demokratie! Ich halte das für einen Fehlschluss. Denn ich bin überzeugt: Es gibt eine Demokratie, die dem Islam Raum gibt. Und ebenso gibt es auch einen Islam, der der Demokratie Raum gibt!
Dies setzt aber einen Prozess der Klärung und Selbstvergewisserung voraus, der im Wesentlichen von den islamischen Autoritäten und Gemeinschaften, den Bürgerinnen und Bürgern muslimischen Glaubens zu vollziehen ist. Wir Nicht-Muslime sollten auf diesem sicher nicht leichten Weg ermuntern und unterstützen, wo immer dies möglich ist und geboten erscheint.
Es bleibt eine Aufgabe für uns alle – für Muslime und Nicht-Muslime – in den kommenden Jahren, den Beweis dafür anzutreten, dass eine Gesellschaft möglich ist, in der wir unabhängig von unserem Glauben oder ethnischen Zugehörigkeit friedlich, respektvoll und demokratisch verfasst miteinander leben können.
Denn auch wir hier im Herzen Europas sind mitnichten gefeit vor religiösen Konflikten und Intoleranz. Auch in unseren Ländern erleben wir, wie Fremdenhass und mangelnde gesellschaftliche Integration eine wachsende Zahl von Menschen in eine fatale politische Richtung treiben.
So schürt in Deutschland seit einigen Monaten die Bewegung der sogenannten „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ dumpfen Fremdenhass und instrumentalisiert die diffuse Furcht vor einer Religion.
Wohin das führen kann, hat uns erst vor wenigen Tagen der Brandanschlag auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft in Tröglitz in Sachsen-Anhalt vor Augen geführt. Auch die notwendige Sicherung von jüdischen Einrichtungen spricht eine deutliche Sprache. Sie sind leider immer noch notwendig: Zwischen 2001 und 2013 sind in Deutschland rund 20.000 antisemitische Straftaten gemeldet, dabei wurden mehr als 500 Menschen verletzt.
Den Kampf gegen Diskriminierung und für religiöse Toleranz bestreiten Deutschland und Frankreich gemeinsam. Mein französischer Amtskollege Harlem Désir und ich sind am 22. Januar gemeinsam nach New York gereist, um bei einer Sondersitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen ein klares Signal zu setzen:
Seite an Seite und mit aller Entschlossenheit gehen unsere beiden Nationen den Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus an. Und erst kürzlich beim Deutsch-Französischen Ministerrat am 31. März in Berlin haben wir vereinbart, konkrete bilaterale Projekte zur Förderung der Integration in unseren Gesellschaften auszuarbeiten.
Bei unseren gemeinsamen Bemühungen zeigt sich, dass das Motto der französischen Revolution „Liberté, Égalité, Fraternité“ nichts an seiner Aktualität eingebüßt hat. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit können uns auch heute ein Kompass für unser Handeln sein:
Freiheit – die Freiheit jedes Einzelnen in unserer Gesellschaft, ohne Angst vor Diskriminierung jeglicher Art oder gar Gewalt, seine Religion auszuüben und seine Meinung frei zu äußern.
Gleichheit – im Sinne der Charta der Menschenrechte und unserer europäischen Werte: alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten.
Und schließlich Brüderlichkeit: Diese sehen wir in diesen Tagen aufs Neue herausgefordert. In einer Gesellschaft, die aus einer Vielfalt von Lebensstilen und Kulturen besteht, in der früher unüberwindbare Entfernungen geschrumpft, in der Informationen in Sekundenbruchteilen über den gesamten Erdball verbreitet werden – in solch einer Gesellschaft können wir uns Vorurteile und Schwarz-Weiß-Malerei nicht leisten. Wir müssen vielmehr auf andere Kulturen mit Neugier und Offenheit zuzugehen, sie näher kennen lernen und somit Brücken bauen. Deshalb sage ich: Wer mit Religion Feindbilder schafft, der liegt genauso falsch wie derjenige, der gegen Religionen Feindbilder schafft!
Was können wir in Deutschland konkret tun, damit unser Land weiterhin ein weltoffenes und sicheres Land auch für Minderheiten, Migranten und Flüchtlinge bleibt?
Für mein Haus sind Einwanderung und Integration Schlüsselfragen. Mit diesen Themen müssen wir uns zwingend auch in Hinblick auf unsere Partner und Freunde in der Welt ehrlich und selbstkritisch auseinandersetzen. Wir wissen: Deutschland ist nun wahrlich keine Insel, sondern ein Land in der Mitte Europas, das mit dem Rest der Welt auf engste verflochten ist.
Das Auswärtige Amt fördert deshalb schon seit Jahren den sogenannten Islamdialog und wird diesen auch in Zukunft intensiv fortsetzen, in Konferenzen, Besuchsreisen, aber auch über die sozialen Medien. Dieser Dialog ist keine reine Regierungsveranstaltung, sondern ein Netzwerk von Begegnungen zwischen zivilgesellschaftlichen Gruppen. Durch diesen Dialog wollen wir ebenso Wissensdefizite und Stereotype über den jeweils „Anderen“ abbauen. Im Mittelpunkt stehen dabei gegenseitiger Erfahrungsaustausch, Zusammenarbeit und ein gemeinsames Werteverständnis.
Ich wünsche mir dabei nicht nur verkniffene Toleranz, die mehr ist als die Abwesenheit von Diskriminierung. Ich wünsche mir gelebte Akzeptanz, die auch zur Empathie fähig ist. Voraussetzung dafür aber ist, dass wir uns wirklich füreinander interessieren und aufeinander einlassen. Nur wenn alle Menschen unseres Landes bereit und in der Lage sind, auf dem Boden unseres Grundgesetzes und unserer europäischen Wertegemeinschaft zu leben, vermag die friedliche und respektvolle Koexistenz in einer pluralen und multireligiösen Gesellschaft gelingen.