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Rede von Staatssekretär Stephan Steinlein bei der Veranstaltung „Weltweit wir – Mehr Diversität für den Auswärtigen Dienst“ im Europasaal des Auswärtigen Amts am 17. März 2015
--es gilt das gesprochene Wort--
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
eigentlich dürfte es diese Veranstaltung nicht geben.
Eigentlich müsste sie völlig überflüssig sein.
Denn eigentlich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass dieses Amt hier ein Spiegel der deutschen Gesellschaft ist, dass es offen ist für alle, die neugierig sind, die Interesse für Außenpolitik haben, die sich vorstellen können, deutscher Diplomat im In- oder Ausland zu sein.
Und doch ist es gar nicht selbstverständlich, dass es diese Veranstaltung heute gibt.
So wenig selbstverständlich, dass die Frankfurter Allgemeine schon gestern darüber berichtet hat - und über diese noch gar nicht stattgefundene Veranstaltung sogar einen Leitartikel schrieb.
Langsam sollte es sich herumgesprochen haben: Deutschland ist ein Einwanderungsland. Aber dass das auch Konsequenzen haben muss - auch für so altehrwürdige Institutionen wie das Auswärtige Amt - das ist noch immer keine Selbstverständlichkeit. Und deshalb ist diese Veranstaltung, die es eigentlich gar nicht geben müsste, dennoch notwendig, ja vielleicht sogar überfällig.
Ich freue mich, dass Sie so zahlreich unserer Einladung gefolgt sind. Ich freue mich auch, dass Sawsan Chebli die Veranstaltung begleitet. Sie vertritt als stellvertretende Pressesprecherin seit dem Amtsantritt von Frank-Walter Steinmeier dieses Haus nach außen. Und auch das ist ein Ausdruck dafür, dass der Wandel hier im Auswärtigen Amt längst begonnen hat und es jetzt darum geht, diesen Weg entschlossen weiter zu gehen.
Ich möchte auch den beiden Organisationen danken, die uns bei der Vorbereitung dieses Tages besonders unterstützt haben: DeutschPlus – die Initiative für eine plurale Republik und die Deutschlandstiftung Integration und, stellvertretend für beide Teams, meinem alten Freund und Kollegen Farhad Dilmaghani sowie Ferry Pausch.
Bei seiner Rückkehr ins Auswärtige Amt hat Außenminister Steinmeier den sogenannten Review-Prozess angestoßen. Ziel war es, die deutsche Außenpolitik auf den Prüfstand zu stellen.
Wir haben uns und anderen die provokante Frage gestellt: „Was läuft falsch an deutscher Außenpolitik?“ Denn unser Land und die Welt um uns herum hat sich verändert. Wie kann dann das Auswärtige Amt einfach so weiter machen wie bisher?
Unter der Devise „Außenpolitik weiter denken“ haben wir internationale Experten gefragt: Was erwartet die Welt von Deutschland? Und haben einen Strauß interessanter Antworten gekriegt.
Wir sind in die Öffentlichkeit gegangen, auch in kontroverse Formate, immer mit der Frage: Wie können wir besser vermitteln, was wir tun? Und wie können wir besser werden in dem, was und wie wir es tun?
Und schließlich haben wir eine interne Debatte im Haus geführt: Was heißt das alles für uns selbst? Was müssen wir ändern?
Wie bekommen wir einen moderneren, schlagkräftigeren Auswärtigen Dienst?
Denn den brauchen wir! Unsere Weltordnung – oder sage ich besser: Welt-Unordnung - ist heute ungeahnten Zerreißproben ausgesetzt: die Destabilisierung der Ukraine und der Terror des „Islamischen Staats“ führen uns Tag für Tag drastisch vor Augen, wie wichtig das Feld der Außenpolitik für uns alle ist.
Der Krieg in Gaza und die Ebola-Epidemie sind von unseren Bildschirmen und aus unserem Bewusstsein schon fast wieder verschwunden. Das Leid der Menschen dauert aber an.
Und die vielen Konflikte und Krisen betreffen uns ganz unmittelbar: Auch aus Deutschland brechen junge Menschen zum Kämpfen nach Syrien oder in den Donbass auf. Und Hunderttausende kommen nach Deutschland, weil sie in ihrer Heimat keine Zukunft mehr sehen.
Angesichts dieser Weltlage ist auch für Deutschland als dem größten und wirtschaftlich stärksten Land in der Mitte Europas klar, dass wir anders und stärker gefordert sind als in der Vergangenheit. Deutschland, so hat es Frank-Walter Steinmeier wiederholt gesagt, ist zu groß, um Außenpolitik nur von der Seitenlinie zu kommentieren.
Aber wir sollten uns auch vor Selbstüberschätzung hüten. Allein sind wir für die Lösung der vielen Fragen auch zu klein. Nur eingebunden in Europa haben wir das notwendige Gewicht.
Im Rahmen unseres Reviews haben wir nicht zuletzt auch unsere Rekrutierungspolitik auf den Prüfstand gestellt. Und wir haben dabei einiges Verbesserungspotential festgestellt. Wir werben weiter um die “best and brightest”. Aber wir sehen gleichzeitig, dass manche der “best and brightest” das Gefühl haben: Das Auswärtige Amt, das sei nichts für sie, sondern etwas für die alten Eliten, so etwas wie ein biodeutscher “closed shop”.
Eine gute Bekannte von mir, Sezen Tatlici, Gründerin von „Typisch Deutsch“, hat einmal eine Umfrage unter Freunden von ihr gemacht. Sie hat sie gefragt, ob sie sich vorstellen könnten, im Auswärtigen Amt zu arbeiten. Viele haben ihr zur Antwort gegeben: „Die im Auswärtigen Amt, die wollen mich doch nicht.“ Ja, und das ist einer der Gründe, warum Veranstaltungen wie die heute doch notwendig sind.
Ich bin zutiefst davon überzeugt: Die Frage, wie gut wir Außenpolitik machen, hängt auch davon ab, wie viel intellektuelle und mentale Offenheit und wie viel Vielfalt wir uns in diesem Haus selbst leisten.
Ein weltweit vernetztes Land wie Deutschland braucht einen Auswärtigen Dienst, der andere Kulturen versteht, einen Dienst, der für Vielfalt und Toleranz steht, der identitäres Denken überwindet und der auch dort noch eine gemeinsame Sprache findet, wo Menschen sich sprachlos und in Feindschaft gegenüberstehen.
Und dafür brauchen wir Menschen wie Sie! Menschen, die unser Land kennen und lieben, und die gleichzeitig über ihre Familie, über Sprache und Kultur auch mit anderen Gegenden dieser Welt verbunden sind.
Mir hat immer der Name DeutschPlus gefallen, viel mehr als das dumme Wort vom Migrationshintergrund. Den haben wir übrigens alle! Manchmal mache ich mir einen Spaß daraus, „Biodeutsche“ nach ihrer Familiengeschichte zu fragen. Man muss nur lange genug fragen - fast immer stößt man auf diesen ominösen „Hintergrund“. Übrigens: die Familie meiner Mutter kommt ursprünglich aus Italien, 19. Jahrhundert, meine Großmutter väterlicherseits, 20. Jahrhundert, aus der französischsprachigen Schweiz.
Meine Damen und Herren,
aber unser Dienst braucht Sie nicht nur als Vermittler zwischen Kulturen. Wir brauchen Sie auch, weil Sie das neue Deutschland sind.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat am 20. Oktober 2014 in Stuttgart am Institut für Auslandsbeziehungen von einem „mentalen Update“ gesprochen, dem wir uns alle unterziehen müssen. Er bezog das damals auf das Deutschland, in dem wir leben und das wir noch immer nicht sehen, wie es wirklich ist.
Was macht unser Land reich und unverwechselbar? Der Kölner Karneval und der Karneval der Kulturen? Das gehört dazu, aber das allein ist es nicht.
Feridun Zeimoglu ist nicht aus der deutschen Literatur wegzudenken. Fatih Akin steht für den deutschen Film, genauso wie die Schauspieler Sibel Kekilli, Mehmet Kurtulus oder Mišel Matičevi. Wir sehen Pinar Atalay in den Fernsehnachrichten – wenn wir überhaupt noch fernsehen.
Shermin Langhoff macht an der staatlichen Bühne des Gorki gleich hier um die Ecke postmigrantisches Theater. Wir lachen über den scharfen und politischen Witz von Fatih Cevikoglu, Abdelkarim Zemhoute und Gilet Ayse. Wladimir Kaminer hat den Berlinern den Spiegel vorgehalten.
Nun maße ich mir nicht an, zu wissen, wer in der neuen Generation populär und cool ist. Aber Kool Savas und andere haben deutsche Popgeschichte geschrieben.
Die Berliner Band „Rotfront“, deren Mitglieder aus der Ukraine, aus Ungarn und von anderswo stammen, haben eines ihrer Alben „17 deutsche Tänze“ genannt. Sie schöpfen aus vielen Quellen: Osteuropäischen und deutschen, Klezmer und Rap.
Wenn wir uns also fragen, was das deutsche Modell eigentlich ausmacht, was heute „typisch deutsch“ ist – dann muss diese Vielfalt Teil der Antwort sein.
In Deutschland haben wir sehr lang beim Thema Einwanderung vor allem die wirtschaftliche Perspektive im Blick gehabt. Ich erinnere mich, dass hervorgehoben wurde - und es war wohl gut gemeint - die Zugewanderten trügen zum Wohlstand bei, weil sie Steuern zahlten und mithülfen, die Rentenkassen zu füllen.
Aber dass sie und ihre Kinder und Enkel diese – ihre - deutsche Gesellschaft mitgestalten wollen und können, haben viele ausgeblendet.
Oft habe ich gehört, dass junge Menschen aus Zuwandererfamilien in Schubladen gesteckt werden, dass sie mehr als andere dafür werben müssen, dass man ihnen etwas zutraut, dass sie trotz guter Leistungen dafür kämpfen müssen, auf ein Gymnasium zu kommen, das Abitur ablegen zu können.
Und damit gibt es vielleicht einen weiteren guten Grund dafür, dass wir uns heute hier treffen:
Der geht über das Auswärtige Amt hinaus und betrifft unsere Gesellschaft insgesamt. Wir müssen aufhören, Realitäten auszublenden. Wir müssen die Linse schärfer stellen, für eine Vielfalt, die unsere gemeinsame Vielfalt ist. Dass das für uns alle gut ist, das lernen wir erst nach und nach.
Es hat sich schon viel getan in unserem Land. Gülabatin Sun, die bei der Deutschen Bank für Diversity verantwortlich ist, hat auf dem Neujahrsempfang der Deutschlandstiftung Integration – einige von Ihnen waren vielleicht dabei - sehr eindrücklich ihren Werdegang in etwa so beschrieben.
Als Gastarbeiterkind eingeschult, als Ausländerin auf die Uni gekommen, als Migrantin den Studienabschluss abgelegt und als Deutsche mit Migrationshintergrund die erste Stelle angetreten. Das ist auch begrifflich schon ein guter Weg, aber er ist noch nicht zu Ende. Wir müssen dahin kommen, dass Zuschreibungen dieser Art gar nicht mehr erforderlich sind.
Und vielleicht sind wir als Auswärtiges Amt dafür am Ende gar nicht so schlecht aufgestellt:
In den Auslandsvertretungen arbeiten Menschen aus allen Kulturen: Unter den circa 5500 lokal Beschäftigten sind neben den deutschen Mitarbeitern rund 150 Nationalitäten vertreten.
Viele unserer Kolleginnen und Kollegen sind heute schon EU-Doppelstaater. Es kommen aber auch immer mehr Mitarbeiter mit anderen Zuwanderungsgeschichten ins Amt, mit familiärem Hintergrund zum Beispiel in Nahost, Asien oder der Türkei. Einige von ihnen sind heute hier, sie können sie kennenlernen.
Im Auswärtigen Amt herrscht allein durch die Rotation der Beschäftigten zwischen In- und Ausland ein offenes Klima. Alle drei bis vier Jahre wechseln für jeden Einsatzort und Aufgabe. Neue Kollegen im Team willkommen zu heißen, ihnen die Eingewöhnung zu erleichtern, ist für uns Alltag.
Es gibt keine gläsernen Decken. Für die berufliche Entwicklung im Auswärtigen Amt ist die Leistung entscheidend, Teamfähigkeit und Kreativität. Hier schaut niemand nach Familiennamen, Herkunft oder Äußerlichkeiten.
Und schließlich: Viele Beschäftigte leben selbst in binationalen Ehen. Ich übrigens auch. Ihre Kinder wachsen mehrsprachig auf, sind im Ausland geboren oder gehen dort in die Schule. Migrationshintergrund und gemischte Identitäten spielen in vielen Familien eine Rolle. Durch die häufigen Ortswechsel ist uns das Gefühl vertraut, sich an verschiedenen Orten zu Hause zu füllen.
Eine Grundidee unserer jährlichen Auswahlverfahren ist schon lange, Vielfalt herzustellen.
Darin unterscheiden wir uns vielleicht von so manchem anderen diplomatischen Dienst und auch von manch anderem Bundesministerium.
Wir wollen zum Beispiel Menschen mit ganz unterschiedlichen Studienabschlüssen für uns begeistern.
Natürlich wollen wir Juristen, Volkswirte und Politikwissenschaftler. Uns geht es aber gerade auch darum, diejenigen an Bord zu haben, die ganz andere Horizonte einbringen, Historiker oder Mathematiker zum Beispiel. Wir freuen uns auch über Mediziner oder Architekten. Und zwar nicht weil sie dann Kollegen heilen oder Botschaftsgebäude planen können, sondern weil jeder eine spezifische Sicht auf Probleme mitbringt. Und weil wir alle durch unterschiedliche Denkansätze besser werden.
Bisher bilden wir in der Beamtenlaufbahn –insbesondere im höheren Dienst - die Vielfalt unserer Gesellschaft noch nicht richtig ab.
Im März 2014 haben wir deshalb das erste Mal ausdrücklich in einer Ausschreibung für den höheren Auswärtigen Dienst festgehalten, ich zitiere: „Bewerbungen von Personen mit Migrationshintergrund werden ausdrücklich begrüßt. Menschen mit Migrationshintergrund bringen Sprachkenntnisse und Kenntnisse über andere Kulturen mit, die wir im Auswärtigen Dienst gut gebrauchen können. Die Vielfalt unserer Gesellschaft soll sich auch im öffentlichen Dienst widerspiegeln“.
Es geht nicht darum, Vorzugsbedingungen für bestimmte Gruppen zu schaffen. Wir versuchen, die Besten für uns zu gewinnen.
Es ist und bleibt ein schwieriges Auswahlverfahren und die Bewerberzahlen sind hoch. Aber jeder hat eine faire Chance.
Wir wollen uns heute zum einen bei Ihnen vorstellen, Sie über unser Berufsbild und unser Anforderungsprofil informieren. Das wird gleich im Anschluss unser Team von der Akademie Auswärtiger Dienst übernehmen.
Wir wollen aber vor allem auch von Ihnen wissen, wie Sie uns sehen. Wo sehen Sie besondere Herausforderungen, beim Zugang, im Auswahlverfahren? Und wie können wir noch besser werden?
Wenn Sie Interesse für unsere Aufgaben mitbringen, wenn Sie sich vorstellen können, während Ihres Berufslebens Deutschland an vielen verschiedenen Orten im Ausland zu vertreten, dann haben Sie den Mut, diesen Weg zu beschreiten und sich bei uns zu bewerben. Mich begeistern gerade auch die Lebensgeschichten, die untypisch verlaufen sind!
Sehr geehrte Damen und Herren,
eigentlich dürfte es diese Art von Veranstaltung nicht geben, habe ich am Anfang gesagt. Nun, wenn wir erfolgreich sind, wird sie in ein paar Jahren wirklich überflüssig sein.
Ob das aber so kommt, hängt auch von Ihnen ab.
Haben Sie Mut.
Bewerben Sie sich.
Sorgen wir also dafür, dass das, was eigentlich selbstverständlich ist, auch tatsächlich selbstverständlich wird.
Vielen Dank.