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Rede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier anlässlich des 17. Deutsch-Polnischen Forums am 19. November 2014 in Berlin

19.11.2014 - Rede

Lieber Grzegorz Schetyna,
Sehr verehrter Herr Professor Bartoszewski,
Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete,
Liebe Gäste des Deutsch-Polnischen Forums!

Vor zehn Tagen stiegen über der Berliner Innenstadt 7.000 weiße Luftballons in den Abendhimmel. Hunderttausende Menschen waren dabei und schauten zu, wie sich die symbolische Mauer aus Ballons – im wahrsten Sinne des Wortes – in Luft auflöste.

Der 9. November 1989 war für uns Deutsche ein Schicksalstag; der Anfang vom Ende der DDR und der Beginn der lang ersehnten Wiedervereinigung.

Aber der Weg zum 9. November war lang. Geebnet wurde er durch den Mut der Bürger Osteuropas, ganz besonders in Polen. Ohne den überwältigenden Freiheitsmut des polnischen Volkes – ohne den Funken, der übersprang von den Danziger Werften zum Prager Wenzelsplatz und zur Leipziger Nikolaikirche und auf den Berliner Alexanderplatz – ohne all das wären die friedlichen Revolutionen in Osteuropa und die deutsche Einigung nicht möglich gewesen.

25 Jahre – eine ganze Generation also – ist der Mauerfall nun her. „Die letzten 25 Jahre“, so hast Du, lieber Grzegorz, es bei Deinem ersten Besuch als Außenminister hier in Berlin formuliert, „sind die besten unserer gemeinsamen Geschichte gewesen“.

In diesen 25 Jahren ist an die Stelle des Eisernen Vorhangs, an die Stelle der zynischen Gewissheiten des Kalten Krieges, die Einheit Europas getreten – ein Europa, in dessen Herzen Polen und Deutschland sich in tiefer Freundschaft verbunden sind.

Diese Freundschaft drückt sich in politischen und wirtschaftlichen Beziehungen aus, die so eng sind wie nie zuvor. Aber noch viel wichtiger, noch viel prägender für diese Freundschaft ist das Band zwischen unseren Zivilgesellschaften – die Freundschaft zwischen Menschen. Deshalb lassen Sie mich an dieser Stelle der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit herzlich danken! Sie tragen in diesem Jahr erstmals das traditionsreiche Deutsch-Polnische Forum aus – ein Forum, das seit fast vierzig Jahren das gesellschaftliche Band zwischen unseren beiden Ländern geflochten hat!

Stellvertretend für die vielen Initiativen und Persönlichkeiten, die zu diesem starken Band gehören, will ich die beiden Preisträger des Deutsch-Polnischen Preises herausheben: Beide Preisträger stehen für die neue deutsch-polnische Generation; für die vielen Initiativen der letzten 25 Jahre: zum einen das Bildungs- und Begegnungszentrum Schloss Trebnitz –gelegen in der deutsch-polnischen Grenzregion, ganz in der Nähe von Berlin– und zum anderen die Internationale Jugendbegegnungsstätte Auschwitz.

Kinga aus Chocianow und Lucas aus Zwickau sind zwei junge Auszubildende, die momentan an einem Begegnungsprogramm in Auschwitz teilnehmen. Sie werden die beiden heute Abend persönlich kennen lernen. Über die Zeit vor ihrem Treffen in Auschwitz sagen Kinga und Lucas: „Wir hatten ein bisschen Angst voreinander – gerade an diesem Ort! Wie sollten wir uns bloß verständigen?“ Und weiter berichten die beiden: „Aber später hat dieser Ort uns alle am Herzen gepackt und unsere Gedanken begannen, sich zu drehen. Wir haben zusammen gelacht und zusammen geweint. Wir waren ein Team; Menschen, in ihren Gefühlen verbunden.“ Lucas fügte noch eine Geschichte hinzu: „Als ich nach Hause kam, hat meine Mutter gesagt: Was ist denn mit dir los? Bist Du erwachsen geworden?“

Vielleicht spiegelt sich in der Begegnung dieser beiden etwas, was das deutsch-polnische Verhältnis insgesamt auszeichnet: nämlich im Bewusstsein einer dunklen, schmerzhaften Vergangenheit zu einer neuen, tiefen, aufmerksamen Freundschaft gefunden zu haben.

In diesem Sinne will ich sogar noch einen Schritt weiter gehen. Ich glaube nämlich, dass aus dieser besonderen Beziehung eine besondere Verantwortung erwächst.

Für all das Gute, was in Polen und Deutschland und zwischen den beiden in den letzten 25 Jahren gewachsen ist, haben die Menschen in unseren Ländern Enormes geleistet: gesellschaftliche Erneuerung, wirtschaftliche Reformen, historische Aufarbeitung. Ich glaube, jetzt ist es an der Zeit, die Kräfte, die in uns gewachsen sind, nach außen zu wenden und für andere fruchtbar zu machen! Es ist an der Zeit, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen in einer Welt, die in diesen Monaten aus den Fugen zu geraten scheint.

Heute, wo die deutsch-polnischen Beziehungen so gut sind wie nie zuvor, haben wir die historische Chance, uns eben nicht in dem zu erschöpfen, was zwischen uns steht, sondern gemeinsam den Blick nach außen zu wenden.

In eben diesem Sinne hat Präsident Komorowski in seiner Gedenkrede im deutschen Bundestag am 1. September diesen Jahres, genau 75 Jahre nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges, eine „deutsch-polnische Verantwortungsgemeinschaft“ beschrieben.

Natürlich muss es uns zuallererst um die Krise in der Ukraine gehen.

Lieber Grzegorz, Du hast vor zwei Wochen in Deiner Rede im Sejm zurecht gesagt:

Wir wollen keinen neuen Eisernen Vorhang in Europa – erst recht nicht im Gedenken an 25 Jahre Mauerfall und all das Gute, was seither gewachsen ist!

Deutschland und Polen sind geeint in ihrer Entschlossenheit, die gewachsene- besser: die errungene Friedensordnung in Europa zu bewahren. Wir sind geeint in unserem Bemühen, den Konflikt entschärfen zu helfen und eine erneute Spirale der Gewalt zu verhindern, die erneut droht.

Und wir sind geeint in unserer doppelten Strategie im Umgang mit Russland: einerseits entschlossen in der Verteidigung unserer Friedensordnung, in aller Deutlichkeit in der Sprache wie im Handeln, auch mit Sanktionen. Andererseits offen für Dialog, wenn er konstruktiv möglich ist. Und auch wenn es nicht immer einfach war im EU-Ministerrat: Hinter dieser doppelten Strategie haben sich Polen und Deutschland und die gesamte EU in dieser Krise geschlossen versammelt.

Immer wieder kommt es in dieser Krise auf deutsch-polnische Verantwortung an.

Ich denke nicht nur an den Trilog zwischen Polen, Deutschland und Russland, den wir auch in diesem Jahr, zuletzt in Sankt Petersburg, fortgesetzt haben und nach Möglichkeit weiter fortsetzen wollen.

Ich denke nicht nur an die Reise im Weimarer Dreieck nach Kiew im Februar, durch die wir die Eskalation der Gewalt auf dem Maidan auf ihrem blutigen Höhepunkt stoppen konnten. Oder an die Vorschläge zur Neuausrichtung unserer Europäischen Nachbarschaftspolitik, die wir im Weimarer Dreieck schon wenige Tage nach deinem Amtsantritt gemeinsam entwickelt haben.

Und unterstellt, dass eine Entschärfung des akuten Konfliktes gelingt, denke ich auch an die große Aufgabe, die Ukraine wirtschaftlich zu stabilisieren; eine Aufgabe, deren enorme Dimensionen viele hierzulande unterschätzen. Auch hierzu haben wir –gemeinsam mit Laurent Fabius – Ideen entwickelt. Natürlich ist Polen mit seiner Erfolgsgeschichte der letzten 25 Jahre für die Menschen in der Ukraine Vorbild und Hoffnungsanker.

Vor allem aber denke ich an das schwierige Thema dieses Deutsch-Polnischen Forums: ‚die Zukunft der europäischen Ostpolitik‘ – ob es eine gibt, und wie sie aussieht. Natürlich ist unser Vertrauen zu Russland durch die Ukraine-Krise nachhaltig gestört. Wir haben kein „Business as usual“ mit Russland und werden nicht einfach zu Business as usual zurückkehren können. Und dennoch herrscht Einigkeit im Kreis der EU-Außenminister, dass auf Dauer Europas Sicherheit nur mit und nicht gegen Russland denkbar ist.

Deshalb brauchen wir Gespräche – spät gestern Abend bin ich aus Moskau zurückgekehrt und habe Dir, Grzegorz, bereits ausführlich von meinen Gesprächen dort berichtet – und wir brauchen Foren wie etwa an den Ostseerat oder den Austausch zwischen EU und der von Russland gegründeten Eurasischen Wirtschaftsunion, und natürlich die OSZE, die ja manche vor dieser Krise tot geglaubt hatten, aber heute sehen, wie dringend wir sie brauchen. Darum wissen wir Deutschen um die große Verantwortung, wenn wir 2016 den Vorsitz der OSZE übernehmen werden.

Eine Menge Arbeit liegt vor der „deutsch-polnischen Verantwortungsgemeinschaft“, von der Präsident Komorowski gesprochen hat. Und selbst wenn wir fleißig sind, Grzegorz –und das werden wir selbstverständlich sein–, wird die Arbeit weder in meiner noch in Deiner Amtszeit erledigt sein.

Deshalb richtet sich mein letztes Wort an die Generation unserer jungen Preisträger: Sie werden diese Verantwortung eines Tages übernehmen und wenn es soweit ist, dann können Sie sich auf die Freundschaften verlassen, die in Schloss Trebnitz, in der Begegnungsstätte Auschwitz und anderswo zwischen Deutschen und Polen gewachsen sind.

Dabei muss ich ganz am Ende an die wunderbare Geschichte denken, die Sie, Herr Müller, uns von Schloss Trebnitz erzählt haben: Als Sie das deutsch-polnische Jugendcafé in der Alten Schmiede eröffnet haben, war zufällig eine Gruppe Berliner Touristen im Schloss, die mit gerunzelter Stirn zuguckten und fragten, was denn gefeiert werde. Und nachdem Sie, Herr Müller, ihnen das Projekt erläutert hatten, sagten die Berliner: „Na, endlich werden EU-Gelder mal für was Sinnvolles ausgegeben!“ Recht hatten die Berliner! Sogar noch mehr als sie damals glaubten. Denn ich bin sicher: All die Investitionen in die deutsch-polnische Freundschaft werden sich für Europa auszahlen.

Vielen Dank.

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