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„Es gibt 25 Jahre nach der deutschen Einheit keine deutsche Sonderrolle, hinter der wir uns verstecken könnten“

29.09.2014 - Interview

Anlässlich seiner Reise in die Tschechische Republik zu den Gedenkfeiern für die Ereignisse in der deutschen Botschaft in Prag im Herbst 1989 sprach Außenminister Steinmeier mit der tschechischen Zeitung Mlada Fronta Dnes.

Anlässlich seiner Reise in die Tschechische Republik zu den Gedenkfeiern für die Ereignisse in der deutschen Botschaft in Prag im Herbst 1989 sprach Außenminister Steinmeier mit der tschechischen Zeitung Mlada Fronta Dnes (erschienen am 29.09.2014).

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Wo und wie haben Sie den 30. September 1989 erlebt? Welche Gefühle hatten Sie, als Sie die Neuigkeiten aus der Prager Botschaft verfolgten?

Ich lag in jenen Wochen in den letzten Zügen meiner Doktorarbeit und hatte mich tief in einer akademischen Klausur vergraben. Doch natürlich habe auch ich in meiner Universitätsstadt die Ereignisse dieses Sommers mit großer Spannung verfolgt. Mit meinen Mitbewohnern habe ich die Neuigkeiten aus der DDR, aus Ungarn und der Tschechoslowakei so hoffnungs- wie sorgenvoll diskutiert. Wir haben uns gefragt, wie weit die Abstimmung mit den Füßen wohl tragen würde.

Wenn ich jetzt als Außenminister Prag besuche und den Balkon der deutschen Botschaft sehe, taucht immer wieder der erlösende Satz des damaligen Außenministers Genscher vor meinem inneren Ohr auf, der im unbändigen Jubel der Flüchtlinge untergeht. 25 Jahre später hat dieser Abend nichts von seiner Faszination für mich verloren. Und das Gedenken in Prag erinnert uns auch immer wieder daran, welch bedeutenden Anteil unsere europäischen Nachbarn daran hatten.

Wie haben Sie den Tag des Mauerfalles erlebt?

Alle gemeinsam saßen wir vor dem Fernseher und lauschten ungläubig den Worten von SED-Funktionär Schabowski als er die neue Reiseregelung für Ostdeutsche verkündete. Die bewegenden Eindrücke von Menschen, die noch wenige Wochen zuvor über den Botschaftszaun in Prag Richtung Freiheit kletterten, wiederholten sich jetzt plötzlich mitten in Berlin, wo die Mauer aufhörte eine Grenze zwischen Ost und West zu sein. Wenig später nahm ich in Potsdam an einem akademischen Kolloquium zur Frage teil: Wie soll die Verfassung des vereinten Deutschland aussehen? Es begann ein politischer Prozess, in Deutschland genauso wie in ganz Europa, von unglaublicher Dynamik.

Könnten Sie drei Sachen nennen, an die Sie sich erinnern, wenn man „DDR“ sagt?

Im Garten der deutschen Botschaft in Prag findet sich die Statue eines Trabis auf menschlichen Beinen. Sie erinnert an die vielen Autos, die Ostdeutsche damals am Tag ihrer Flucht auf das Botschaftsgelände auf Prager Straßen stehen ließen. Aber man kann die komplexe Geschichte der deutschen Teilung nicht auf drei Dinge reduzieren. Mir ist ein Anliegen, dass wir in diesen Jubiläumstagen vor allem an den Mut und Aufbruch der Menschen erinnern, die damals der Unterdrückung ein Ende machten.

Welche deutschen Politiker haben die größten Verdienste um die deutsche Wiedervereinigung? Man spricht über Helmut Kohl als „Kanzler der Einheit“. Wer sind aber die anderen, die man vielleicht vergisst?

Die Zeit der Wende ist für uns Deutsche – wie auch für die Tschechen – eine bleibende Quelle der Freude über das Glück, das uns und ganz Europa zuteil wurde. Natürlich gab es die „großen Männer“ der Geschichte, die sich hier bewiesen haben. Noch beflügelnder finde ich aber den Gedanken, dass das Fundament der deutschen Wiedervereinigung in der Stärke zivilgesellschaftlicher Kontakte lag, die von manchem unbemerkt über Grenzen hinweg gewachsen waren. In diesen Netzen wurde die demokratische Freiheitsidee transportiert, die in der Solidarität zwischen europäischen Bürgern mündete.

In den 90er Jahren ist neues Vertrauen zwischen dem Westen und Russland entstanden, das nun zerbrochen wurde. Glauben Sie, dass Moskau zukünftig wieder ein guter Partner in der Zusammenarbeit sein kann? Ist eine enge Zusammenarbeit noch unter Wladimir Putin möglich?

Mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und dem Vorgehen in der Ostukraine hat Russland die europäische Friedensordnung in Frage gestellt und viel Vertrauen zerstört. Auch wenn wir uns eine vertrauensvolle Zusammenarbeit derzeit nur schwer vorstellen können: Russland ist und bleibt Europas größter Nachbar, mit dem wir ein möglichst gedeihliches nachbarschaftliches Miteinander finden müssen. Jetzt kommt es vor allem darauf an, dass wir eine offene militärische Auseinandersetzung zwischen Russland und der Ukraine verhindern und der Konflikt um die Ostukraine entschärft wird.

Was verstehen Sie unter der „Verantwortung des Westens“? Was sollte der Westen im Irak gehen unternehmen und welche Rolle kann Deutschland dabei spielen?

Der barbarische Terrorismus von ISIS bedroht nicht nur den irakischen Staat, sondern den gesamten Mittleren Osten und auch uns in Europa. Wir müssen uns also fragen, was wir hier beitragen können – Deutschland leistet seinen Beitrag zum Kampf gegen ISIS. Die humanitären und militärischen Beiträge des Westens sind wichtig, reichen aber allein nicht aus. Wir brauchen eine breit angelegte politische Strategie, die vor allem auch in der Region verankert ist und von den Nachbarn des Iraks und anderen arabischen Staaten mitgetragen wird. Nur wenn es gelingt, den Irak durch die Einbindung aller regionalen und ethnischen Gruppen zu stabilisieren, den Zustrom von Finanzen und Kämpfern an ISIS zu stoppen und den Missbrauch der Religion durch ISIS zu entlarven, kann dieser Kampf erfolgreich sein.

Kann man in Zukunft erwarten, dass Deutschland bei Militäroperationen etwa im Irak, in Syrien oder anderen Ländern kooperieren wird?

Wir haben uns nach einem intensiven, sorgfältigen Entscheidungsprozess entschieden, dem Irak nicht nur mit humanitärer Hilfe zur Seite zu stehen, sondern in Abstimmung mit der Regierung in Bagdad auch die kurdischen Sicherheitskräfte im Nordirak mit Waffen auszustatten, damit sie sich gegen ISIS zur Wehr setzen können. Weitere Überlegungen stehen bei uns derzeit nicht an.

Wird Deutschland fast 25 Jahre nach der Wiedervereinigung eine aktive Rolle in der Welt spielen?

Es gibt 25 Jahre nach der deutschen Einheit keine deutsche Sonderrolle, hinter der wir uns verstecken könnten. Deutschland geht es wirtschaftlich relativ gut. Als größter Staat im Herzen der EU, der auch in Krisenzeiten politische Stabilität beweist, wachsen die internationalen Erwartungen an uns, auch, weil die verschiedenen Krisen in Osteuropa, im Mittleren Osten und Afrika derzeit die internationale Gemeinschaft vor große Herausforderungen stellen. Das gilt übrigens nicht nur für Deutschland, sondern für die Europäische Union als Ganzes. Deswegen ist es wichtig, dass wir Europäer unsere Kräfte bündeln und mit einer Stimme sprechen.

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