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Ukraine: „Wir stehen vor einer sehr kritischen Phase“

01.09.2014 - Interview

Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview mit der Märkischen Allgemeinen zur Entwicklung in der Ukraine. Erschienen am 01.09.2014.

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Herr Minister, Prag, Paris, Mailand und danach Brandenburg an der Havel: Sind die Aufenthalte im Wahlkreis auch ein bisschen als Erholung von all den außenpolitischen Krisen, mit denen Sie seit Monaten beschäftigt sind?

Erstens bin ich an Wochenenden gern in meinem Wahlkreis. Zweitens gehört es zur Pflicht von Politikern, zu erklären, was wir tun. Das kann auch wie am letzten Samstag bei einem kleineren Straßen-Fußballturnier auf dem Molkenmarkt mit Jugendlichen geschehen. Gerade junge Menschen, die wenig Berührung haben mit Politik, sollten sehen, dass wir Politiker nichts Abgehobenes tun, sondern viel davon ihr Leben unmittelbar berührt: Die Frage von Krieg und Frieden allemal.

Der Konflikt zwischen Russland der Ukraine hält seit Monaten die Welt in Atem. Droht die Krise jetzt außer Kontrolle zu geraten?

Die Situation in der Ukraine hat sich in den letzten Tagen in der Tat noch einmal extrem verschärft. Das Lagebild ist zwar nicht ganz eindeutig, aber es ist völlig klar, dass Russland seine Unterstützung für ostukrainische Separatisten in der letzten Woche verstärkt hat. Wir stehen vor einer sehr kritischen Phase, in der die Lage außer Kontrolle geraten könnte. Dabei haben wir noch nicht die letzte Stufe der Eskalation erreicht. Dies wäre eine unmittelbare militärische Konfrontation zwischen der Ukraine und Russland. Es ist unsere absolute Pflicht, dies mit allen Mitteln zu vermeiden und eine neue dauerhafte Spaltung Europas zu verhindern.

Sie und Kanzlerin Merkel haben seit Monaten unzählige Gespräche mit der russischen Führung geführt. Befürchten Sie manchmal, dass alle diese Gespräche Putin nur als Feigenblatt dienen und er dann doch tut, was er will?

Vielleicht ist heute eher das Problem, dass jeder Versuch, der nicht sofort erfolgreich ist, medial in die Schublade „Blamage“, „Scheitern“, „Naivität“ eingeordnet wird. Deshalb scheuen inzwischen viele das Risiko. Ich habe mir nie Illusionen gemacht: Es gibt keine Erfolgsgarantie; in Großkonflikten gibt es keine Vertrauensbasis. Und ja, das Risiko, zum x-ten Mal ein unbefriedigendes Telefonat zu führen oder ein erfolgloses Treffen zu organisieren, bestand immer. Deshalb gilt: Hätten wir zehn weitere Alternativen, würden wir den einfachen Weg gehen. Die Situation ist wahrlich nicht einfach, aber trotz Rückschlägen und Enttäuschung gilt für mich: Aufgeben ist keine Option.

Müssen die Sanktionen gegen Russland jetzt weiter verschärft werden?

Steinmeier: Die Entwicklungen der letzten Tage sind ein Rückschlag. Bei technischen Fragen gibt es minimale Fortschritte. Aber jenseits dessen erleben wir, dass im Südosten der Ukraine eine zweite Kampflinie um Mariupol eröffnet wird. Deshalb sind wir erneut an dem Punkt, wo wir neben Verhandlungsmarathons auch den wirtschaftlichen und politischen Druck auf Russland weiter erhöhen.

Muss der militärische Schutz für die Nato-Mitglieder in Osteuropa verstärkt werden?

Ich verstehe die Sorgen insbesondere unserer polnischen und baltischen Partner. Deshalb haben wir in der Allianz bereits im April entschieden, Routinemaßnahmen des Bündnisses, wie etwa Luftraumpatrouillen, Übungen und Flottenpräsenzen, zu intensivieren. Ende dieser Woche in Wales werden wir diese Maßnahmen verstetigen. Zudem werden wir die Einsatzbereitschaft und Reaktionsfähigkeit des Bündnisses erhöhen. Deutschland beteiligt sich aktiv an sämtlichen Maßnahmen seinen Möglichkeiten entsprechend – ganz im Sinne verlässlicher Bündnissolidarität. Die Vereinbarungen aus der NATO-Russland Grundakte von 1997 mit Moskau bleiben gewahrt, auch wenn die Rückkehr zu Formen von kooperativer Sicherheit zurzeit ausgeschlossen – oder jedenfalls ganz weit weg scheint.

Interview: Joachim Riecker. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Märkischen Allgemeinen.

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