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Rede des Staatsministers für Europa Michael Roth anlässlich der Ausrufung der Europa-Universität Flensburg am 30. Juni 2014
--es gilt das gesprochene Wort--
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Reinhart,
sehr geehrte Frau Prof. Dr. Gaitanides,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Studierende,
„Name ist Schall und Rauch“, hat Goethe geschrieben. Aber auch wenn sein Faust mit diesen Worten versucht, Gretchens bohrenden Fragen auszuweichen, muss man nicht unbedingt einer Meinung mit ihm sein. Denn in aller Regel hängen wir sehr an Namen, besonders an unserem eigenen. Mit ihm identifizieren wir uns, an ihm werden wir erkannt.
Nicht ohne Grund gibt es die Redewendungen „mit seinem Namen für etwas stehen“ oder „seinen Namen für etwas hergeben“. Dahinter stecken ein Qualitätsanspruch, bestimmte Wertvorstellungen und manchmal auch ein ganzes inhaltliches Programm.
Der Name „Universität Flensburg“ beispielsweise ist seit der Gründung im Jahr 1994 eine bekannte Marke geworden – ein Qualitätszeichen, das gleichermaßen für eine sehr gute Ausbildung sowie für hervorragende Forschung steht.
Seinen Namen ändert man deshalb auch nicht ohne weiteres, sondern nur dann, wenn damit für den Namensträger ein besonderer Anlass verbunden ist. Ich freue mich sehr, dass ich heute die Ausrufung der Europa-Universität Flensburg mit Ihnen feiern darf und gratuliere Ihnen und der gesamten Universität sehr herzlich zu diesem Schritt.
Es ist, wie ich finde, ein mutiger Schritt. Denn Sie stellen sich damit einer großen politischen „Gretchenfrage“ unserer Zeit, die – frei nach Goethe – in etwa lauten könnte: „Nun sag, wie hast du’s mit Europa?“ Dabei schwimmen Sie gewissermaßen gegen den Trend, denn Europa, ganz besonders die EU scheinen derzeit „out“ zu sein.
Im Europawahlkampf ließ sich mit scharfer Europakritik verlässlich punkten. Die Wahlergebnisse sprechen da Bände: In Frankreich, Großbritannien und Dänemark haben die Europagegner, die die EU als Wurzel aller Probleme sehen, sogar die meisten Wählerstimmen errungen. Das neue Europäische Parlament wird damit einen europaskeptischen Flügel in nie dagewesener Stärke haben.
Unter diesen Umständen tun sich viele schwer mit einem klaren Bekenntnis zu Europa und kommen – genau wie Goethes Faust – ins Lavieren, wenn man sie danach fragt.
Umso erfreulicher und wegweisender finde ich es, dass Sie ab heute Europa zu einem Teil Ihres Markennamens machen. Dahinter steckt ganz offensichtlich der Anspruch einer noch internationaleren Ausrichtung, für die Sie künftig auch mit Ihrem neuen Namen stehen wollen.
Bereits heute kooperiert die Universität mit über 80 Partneruniversitäten in 34 Ländern, davon rund 20 europäischen Staaten. Was es heißt, in Europa „Tür an Tür“ mit Nachbarn und Partnern zu leben, weiß man hier in Flensburg, in der deutsch-dänischen Grenzregion, aus tagtäglicher Erfahrung besonders gut. Es ist nur konsequent, wenn sich diese Lebenswelt nun auch im Namen der Universität wiederfindet.
Das klare Bekenntnis zu Europa steht der Europa-Universität Flensburg noch aus einem weiteren Grund gut zu Gesicht:
Mit ihrem Schwerpunkt in Bildungswissenschaften ist sie besonders geeignet, in Lehre und Forschung einen Beitrag für ein besseres Verständnis von Europa zu leisten. Die Europäische Union ist ein enorm komplexes Gebilde aus Institutionen und Regeln, das auf den ersten Blick kaum zu durchschauen ist. Machen wir uns nichts vor: Für alle Populisten und Euroskeptiker ist das ein Steilvorlage. Was nur mit Mühe verständlich ist, lässt sich umso leichter mit plumpen Argumenten kritisieren – ganz egal, wie gut oder schlecht es tatsächlich sein mag.
Eines ist unbestritten: Nur wer Europa und die Europäische Union versteht, kann auch ihre Vorzüge ermessen und ihre Möglichkeiten ausschöpfen.
Für Bildungswissenschaftler und Lehrer ergibt sich daraus, genau wie für Politiker die Pflicht zum Gespräch, zur Kommunikation, zur Überzeugung. Pflicht der Aufklärung.
Daraus könnte die Europa-Universität Flensburg für sich einen ganz besonderen Bildungsauftrag ableiten: Wie gelingt es uns, dass jeder seine Rechte und Pflichten nicht nur im eigenen Heimatland, sondern auch im Gefüge der Europäischen Union kennt und wahrnimmt?
Wie kommen wir dahin, dass jeder die Chancen der EU – von den europäischen Grundrechten bis hin zur individuellen Förderung aus EU-Mitteln – nutzen kann, ohne vorher erst einen Experten befragen zu müssen?
Umgekehrt besteht aber auch für Europapolitiker der Auftrag, die Europäische Union transparenter und handlungsfähiger zu machen. Ihre Regeln müssen für die Bürgerinnen und Bürger überschaubar und nachvollziehbar bleiben. Und die EU muss sich auf die Bereiche konzentrieren, in denen sie einen echten Mehrwert schaffen kann. Deshalb müssen wir uns auch bemühen, Schwachstellen zu identifizieren, Missstände zu benennen und die Europäische Union insgesamt noch besser zu machen.
Sie haben Recht: Das klingt alles nicht ganz neu. Dennoch ist es unverändert wichtig und hat mit der Finanz- und Wirtschaftskrise in Europa eine neue Brisanz erreicht.
Viele junge Menschen, vor allem im Süden Europas, fühlen sich durch die anhaltende Jugendarbeitslosigkeit ihrer Zukunftsperspektiven beraubt.
Die Schuld für die andauernde Misere suchen sie nicht nur bei den politisch Verantwortlichen in den nationalen Hauptstädten, sondern auch in Brüssel. So droht eine ganze Generation heranzuwachsen, die die europäische Einigung eher als Problem denn als Teil der Lösung begreift.
Dabei ist doch eines ganz klar: Ein Rückfall in die Kleinstaaterei vermag die großen Probleme unserer Zeit nicht zu lösen. Wenn es darum geht, das Klima zu schützen, die Finanzmärkte zu regulieren oder internationale Handelsströme zu steuern – dann gelingt dies nur durch gemeinsames europäisches Handeln! Denn gerade bei diesen globalen Fragen stoßen die Nationalstaaten alter Prägung– im wahrsten Sinne des Wortes – an ihre Grenzen.
Ich bin überzeugt, dass in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts selbst das vermeintlich so große Deutschland seine Interessen nur in und über Europa wahrnehmen und durchsetzen kann. Deshalb müssen wir gemeinsam hart daran arbeiten, die Europäische Union krisenfest und fit für die Zukunft zu machen.
Lassen Sie mich drei Bereiche herausgreifen, die ich in diesem Zusammenhang für entscheidend halte:
Erstens dürfen unsere Anstrengungen bei der weiteren Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise nicht nachlassen. Wir haben in den vergangenen Jahren vieles auf den Weg gebracht, um die Krise zu überwinden, aber es bleibt auch noch viel zu tun. Die Währungsunion braucht eine Wirtschaftsunion mit klaren, verbindlichen Regeln beispielsweise für die Beschäftigungs-, Sozial- und Steuerpolitik.
Wir müssen mehr für Wachstum und Beschäftigung tun und die Finanzmärkte weiter regulieren.
Das ist der Schlüssel dafür, dass es in ganz Europa nachhaltig aufwärts gehen kann. Wir dürfen uns nicht von der derzeitigen Beruhigung an den Finanzmärkten darüber hinweg täuschen lassen, dass grundlegende Konstruktionsmängel in der Architektur der Wirtschafts- und Währungsunion weiter fortbestehen.
Zweitens: Es ist richtig, dass wir ein wettbewerbsfähiges Europa brauchen, um in der globalisierten Welt dauerhaft bestehen und unseren Wohlstand erhalten zu können. Aber der innere Zusammenhalt unserer Gesellschaften ist mindestens genauso wichtig: Wir brauchen eine EU, die nicht nur politisch und wirtschaftlich stark, sondern auch sozial gerecht ist. Dafür muss sich Europa künftig stärker als soziales Korrektiv verstehen.
Wir dürfen nicht zulassen, dass die Rückkehr zu soliden Finanzen und die Bewahrung des Sozialstaats gegeneinander ausgespielt werden. Wir müssen Wachstum und Beschäftigung noch stärker fördern und das soziale Fundament Europas festigen.
Drittens müssen wir weiter daran arbeiten, dass die EU auf der Weltbühne zunehmend mit einer Stimme spricht. Nur so kann sie ihr ganzes Gewicht als Vermittler und Krisenhelfer in die Waagschale werfen. In der Ukraine-Krise ist uns das bislang recht gut gelungen und wir haben uns nicht auseinanderdividieren lassen. Die Mitgliedstaaten der EU müssen auch weiterhin geschlossen und in enger Abstimmung vorgehen – sowohl gegenüber Russland als auch bei der Begleitung der Ukraine auf ihrem weiteren Weg der demokratischen Stabilisierung und nationalen Versöhnung. Wir sind uns in der EU einig: Es gilt, eine weitere Eskalation der Gewalt zu verhindern und der Diplomatie eine neue Chance zu geben.
Eine Sache liegt mir besonders am Herzen, wenn wir über die europäische Integration sprechen: Die Europäische Union ist weit mehr als nur ein Binnenmarkt und eine Währungsunion.
Sie ist vor allem auch eine Wertegemeinschaft, in der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, kulturelle und religiöse Vielfalt, der Schutz von Minderheiten sowie Presse- und Meinungsfreiheit einen ganz besonderen Stellenwert und Schutz genießen. Das ist das Markenzeichen der EU, dafür steht sie mit ihrem guten Namen.
Gepaart mit der Grundfreiheit der Freizügigkeit eröffnen diese Grundwerte jeder Europäerin und jedem Europäer einzigartige Spielräume für den Austausch in Kunst, Literatur, Musik, Bildung, Wissenschaft und Forschung. In ihrem Leitbild hat die Universität Flensburg genau diesen Anspruch formuliert: „Wir wollen Horizonte öffnen“, heißt es da und „Grenzen überwindend“ arbeiten, lehren und forschen.
Europa-Experten gibt es inzwischen viele, was Europa aber manchmal fehlt, ist die Empathie und die Leidenschaft. Europa ist eben nicht nur eine Spielwiese für detailverliebte Technokraten. Europa vermag es, zu begeistern und unsere Herzen zu bewegen – wenn wir uns nur darauf einlassen. Das kann man nicht studieren oder in einem Lehrbuch nachlesen, sondern nur persönlich erleben.
Wer einmal ein Semester lang in einer WG in Lissabon gewohnt hat, eine Fahrradtour quer durch das Baltikum gewagt oder in einem Forschungsprojekt mit finnischen Kollegen zusammengearbeitet hat, der weiß, was ich meine. Und er weiß auch um den praktischen Wert der europäischen Einigung, die uns allzu oft so selbstverständlich erscheint.
Liebe Studierende,
Ihnen möchte ich dies besonders ans Herz legen. Sie stehen mitten in Ihrer Ausbildung und noch am Anfang Ihrer beruflichen Karriere. Die Europäische Union wird Ihr Umfeld und Ihr Leben in den nächsten Jahrzehnten noch viel stärker prägen, als dies für die vorherige Generation der Fall war. Nutzen Sie die vielfältigen Möglichkeiten, die Europa Ihnen bietet – von Erasmus über Interrail bis hin zu Sprachkursen!
Und vor allem: Reden Sie mit! Als junge Menschen liegt es an Ihnen, das Europa von morgen und übermorgen mitzugestalten, allein schon, weil es sie stärker betrifft als andere vor Ihnen. Es liegt in Ihren Händen und Köpfen, Europa eine Richtung zu geben.
Aber gehen Sie dabei nicht den leichten Weg von grauer Theorie und vorgefertigten Meinungen. Gehen Sie den langen, manchmal schwierigeren Weg und erweitern Sie Ihren Horizont nicht nur im übertragenen, sondern im tatsächlichen Sinne. Bilden Sie sich selbst Ihre Meinung von Europa! Und wenn Ihnen dann jemand die Gretchenfrage nach der Europäischen Union stellt: Seien Sie kritisch, seien Sie konstruktiv – aber seien Sie vor allem niemals sprachlos und verzagt!
Ich gratuliere Ihnen nochmals recht herzlich zu der heutigen Ausrufung der Europa-Universität Flensburg. Wer einen solchen mutigen Schritt wagt, wird Europa auch weiterhin nicht nur im Namen, sondern auch im Herzen tragen.
Vielen Dank.