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Rede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier anlässlich der Carlo-Schmid-Preisverleihung an Jean-Marc Ayrault in Paris

14.05.2014 - Rede

-- es gilt das gesprochene Wort --

Liebe Frau Botschafterin,
lieber Sigmar Mosdorf,
lieber Nils Schmid,
sehr geehrte Damen und Herren,
vor allem aber sehr verehrter Herr Ministerpräsident, lieber Jean-Marc Ayrault!

Ich glaube, es war François Hollande, der dich einmal als „Sozialdemokraten deutscher Prägung“ bezeichnet hat.

Ich weiß, dass viele französische Linke mit dem Begriff des „Sozialdemokraten“ ihre liebe Not haben und dass das Attribut „deutscher Prägung“ die Sache nicht unbedingt besser macht.

Aber die Bezeichnung passt sehr gut zu dieser Preisverleihung, die dein politisches Wirken für das deutsch-französische Verhältnis würdigen soll.

Als man mir vorgeschlagen hat, heute die Laudatio auf dich zu halten, habe ich keine Sekunde gezögert – weil du ein großer Freund Deutschlands bist, weil du ein großer Europäer bist und nicht zuletzt, weil uns eine lange Zusammenarbeit verbindet.

Wir kennen uns seit vielen Jahren. In unserer Zeit als Fraktionsvorsitzende - Du für die Parti Socialiste in der Assemblée nationale, ich für die SPD im Bundestag - war unser Austausch besonders intensiv. Das eine oder andere Projekt haben wir gemeinsam nach vorne gebracht. Immer wieder haben wir unsere Fraktionen angehalten, die politischen Freunde auf der jeweils anderen Rheinseite einzubeziehen. Dahinter stand die gemeinsame Erfahrung und Überzeugung: Damit die Dinge in Europa vorangehen, ist der Schulterschluss zwischen Franzosen und Deutschen unerlässlich.

Lieber Jean-Marc, wir ehren heute einen Politiker und einen Menschen, für den die deutsch-französische Freundschaft nicht nur Beruf ist, sondern Berufung. Nicht nur Pflicht, sondern Leidenschaft. Nicht erstarrtes Ritual, sondern Schlüssel zur Fortentwicklung des europäischen Projekts. Und genau aus diesem Grund bin ich der festen Überzeugung, dass die Carlo-Schmid-Stiftung keinen besseren Preisträger als dich hätte finden können.

Deine Leidenschaft für Deutschland reicht lange zurück. Manch einer deiner Freunde mag den Kopf geschüttelt haben, als du dich nach dem Abitur entschlossen hast, Germanistik zu studieren. Nicht gerade naheliegend für einen jungen Mann aus dem tiefen Westen Frankreichs. Aber dieses Studium hat sich als eine glückliche und prägende Wahl erwiesen. Besonders während deines Auslandsaufenthalts in Würzburg - lange bevor es Erasmus gab - hast du Freundschaften und Verbindungen geknüpft, die bis heute bestehen. Hier hast du begonnen, dich als Brückenbauer, als Übersetzer und Erklärer zwischen Frankreich und Deutschland zu betätigen.

Noch ein Ereignis aus diesen politischen Aufbruchsjahren prägt dich, lieber Jean-Marc, bis heute. Du hast damals deine Frau Brigitte kennengelernt. Seitdem bildet ihr ein persönliches und politisches Gespann, das zusammenhält, sich gegenseitig berät und zur Seite steht, auch wenn der Wind mal von vorne kommt. Es ist mir daher eine besondere Freude, liebe Brigitte, Sie im Palais Beauharnais begrüßen zu dürfen.

Lieber Jean-Marc, Carlo Schmid hat einmal geschrieben: „Alle politische Wirklichkeit ist nur als menschliche Wirksamkeit zu erklären, zu verstehen und zu rechtfertigen.“ Auch für dich war und ist Politik nie etwas Abstraktes, Theoretisches. Das gilt für dein Wirken als Oberbürgermeister von Nantes genauso wie für deine Zeit an der Spitze der PS-Fraktion und erst recht als Premierminister.

Die Stadt Nantes ist mit Dir als Oberbürgermeister regelrecht aufgeblüht, durch kulturelle und wirtschaftliche Initiativen, die bis heute Früchte tragen. Die Städtepartnerschaft mit Saarbrücken ist dir ein Herzensanliegen. Bis heute unterstützt du, wenn es zum Beispiel darum geht, die einzigartige grenzüberschreitende Straßenbahnverbindung zwischen Saarbrücken und Sarreguemines zu erhalten. Das mag nur ein kleines Beispiel sein – zumindest von Paris oder Berlin aus betrachtet mag es klein aussehen. Aber es ist ein Beispiel dafür, dass Politik für Dich nicht abstrakt sein darf, sondern einen Unterschied machen muss. In diesem Fall für tausende Pendler zwischen Deutschland und Frankreich, für die diese Verbindung ein tägliches Stück Europa ist.

Auch als Premierminister hast du dich immer als Brückenbauer und Übersetzer zwischen Deutschland und Frankreich begriffen. Dein Fingerspitzengefühl hat einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass unsere beiden Länder während der Krise in der Eurozone in den entscheidenden Momenten an einem Strang gezogen haben.

Wie mühsam das zeitweilig war, weiß kaum jemand so gut wie du. In dieser schwierigen Phase hast du in Berlin, Hamburg und München unermüdlich für die deutsch-französische Zusammenarbeit geworben. Du hast dafür gesorgt, dass Vertrauen erhalten blieb und wuchs. Du hast gegen hartnäckige Klischees gekämpft, gegen das Zerrbild der unsolidarischen Deutschen genauso wie gegen das der reformunwilligen Franzosen. Immer wieder hast du das Verbindende in den Blick gerückt, in Deutschland genauso wie in Frankreich.

Als Mann von der Atlantikküste bist Du an Wind und Wetter gewöhnt. Du lässt dich nicht von deinen politischen Überzeugungen abbringen. Das gilt allemal, wenn es um die deutsch-französische Partnerschaft geht. Als Premierminister hast du das deutsch-französische Jugendwerk gestärkt, indem du die größte Budgeterhöhung seit dessen Gründung 1963 durchgesetzt hast. Trotz allen Termindrucks hat jeder deutsche Ministerpräsident bei dir offene Türen gefunden und durfte sich mit seinen Anliegen verstanden wissen. Nicht zuletzt, weil du alle diese Gespräche in hervorragendem Deutsch, ohne Dolmetscher und ohne diplomatische Schnörkel, führen konntest.

Lieber Jean-Marc, je enger Europa zusammenwächst, desto wichtiger werden Persönlichkeiten wie du eine bist: Persönlichkeiten, für die das europäische Projekt und die deutsch-französische Freundschaft kein Kapitel im Geschichtsbuch sind, sondern gelebter Alltag und Zukunftschance. Persönlichkeiten, die den deutsch-französischen Gedanken an die junge Generation weitergeben, weil sie wissen: Dieser Gedanke ist wichtiger denn je, um die Dinge in Europa voranzubringen.

Du erhältst den Carlo-Schmid-Preis in einem Jahr, das sich im Rückblick als ein Schlüsseljahr für Europa erweisen mag. Denn wir werden Antworten finden müssen auf eine Vielzahl drängender Fragen: Was können wir tun für mehr Arbeit und Wachstum in Europa? Wie können wir die Menschen wieder für das europäische Projekt begeistern? Wie machen wir unsere Institutionen und Politiken auf europäischer Ebene zukunftsfest? Und, ganz zentral: Wie verhindern wir angesichts der schwersten außenpolitischen Krise seit Ende des Kalten Kriegs, vor der wir heute in der Ukraine stehen, eine neue Spaltung unseres Kontinents?

Diese Gestaltungsaufgaben werden uns in den nächsten Monaten viel abverlangen, an Tatkraft, an Engagement und an Kreativität. Damit wir sie meistern, muss etwas Entscheidendes hinzukommen: die gemeinsame Einsicht, dass wir die großen europäischen Fragen nur im deutsch-französischen Schulterschluss überzeugend beantworten können.

Lieber Jean-Marc, als Träger des Carlo-Schmid-Preises verkörperst du diese Einsicht wie wenige. Du stehst in einer Reihe mit Menschen, die Großes für die deutsch-französische Freundschaft und das europäische Projekt geleistet haben. Ich nenne nur Jacques Delors, Hans-Dietrich Genscher oder Helmut Schmidt.

Zu dieser verdienten Auszeichnung gratuliere ich dir herzlich. Ich hoffe, du begreifst sie als Ansporn, dich als Abgeordneter der Assemblée und als Mensch weiterhin als Brückenbauer und Übersetzer zwischen Frankreich und Deutschland einzubringen. Wir setzen fest darauf!

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