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Rede von Staatsminister Michael Roth in Warschau: „Die Zukunft heißt Europa. 10 Jahre Polen und Deutschland in der EU.“
-- es gilt das gesprochene Wort --
Sehr geehrte Damen und Herren,
Wim Wenders sagte 2006: „Als ich ein Junge war, träumte ich von einem Europa ohne Grenzen. Nun reise ich quer hindurch, virtuell und realiter, ohne je meinen Pass zu zeigen, zahle sogar mit einer Währung, aber wo ist meine Emotion geblieben?“
Ich bin in Osthessen, in unmittelbarer Nachbarschaft zur innerdeutschen Grenze aufgewachsen. Auch für mich war bis zu meinem Abitur Grenzenlosigkeit und Freiheit beschränkt. Hinter dem Horizont in Richtung Osten ging es eben nicht weiter. Hier standen Mauer, Zaun und Selbstschussanlagen. Furchtbar für die Nachbarn in der DDR, aber auch deprimierend für meine Freunde und mich im Westen.
Nicht erst durch mein Amt als Staatsminister für Europa komme ich auf unserem Kontinent viel herum, dessen Teilung wir vor 25 Jahren endlich überwunden haben.
Bundespräsident Joachim Gauck sprach 2012 nicht ohne Grund von dem unbedingten Freiheitswillen des polnischen Volkes. Schmerz- und freudvolle Erinnerungen dieses Freiheitswillens liegen für viele von Ihnen nah beieinander.
Wir gedenken in diesem Jahr des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren sowie des Beginns des Zweiten Weltkriegs, der vor 75 Jahren mit dem deutschen Überfall auf Polen seinen furchtbaren Lauf nahm. Ebenso erinnern wir uns 2014 aber auch an freudige Ereignisse in der Geschichte Europas: den Fall des Eisernen Vorhangs vor 25 Jahren und die Erweiterung der EU um zehn Mitgliedstaaten vor zehn Jahren.
Die Euphorie der Wendejahre war sagenhaft! Erinnern Sie sich noch an die Kraft der Bilder aus Słubice und Frankfurt an der Oder zur Grenzöffnung, oder an die Freude über den EU-Beitritt im Frühjahr 2004? Heute, nur zehn Jahre später, ist diese Euphorie weitgehend verflogen und Europa droht in nicht enden wollenden Krisendebatten zu versinken. Statt gemeinsam an einem besseren Europa zu arbeiten, lassen sich viele auf die verkürzte Debatte über mehr oder weniger Europa ein.
Populisten und Europakritiker nähren die Skepsis, ja gar die feindliche Einstellung gegenüber der europäischen Erfolgsgeschichte. Das darf uns gerade im Jahr der Europawahl nicht gleichgültig sein.
Deshalb stehen wir heute mehr denn je in gemeinsamer Verantwortung, Europa wieder zu einem Ort von Zuversicht und Hoffnung zu machen. Europa ist nicht das Problem, sondern unsere Lebensversicherung in Zeit der Globalisierung.
Ein handlungsfähiges, wirtschaftlich erfolgreiches und solidarisches Europa ist die gestaltende Macht der Globalisierung. Kurz gesagt: Wir brauchen nicht mehr oder weniger Europa, sondern ein besseres Europa.
Gerade in diesen Tagen, in denen Europa eine erneute Spaltung droht, ist der hoffnungsvolle Ausblick in die Zukunft undenkbar ohne einen Blick zurück auf unsere wechselhafte Vergangenheit mit ihren Höhen und Tiefen. Nur wenn wir verstehen, wie unsere Partner und Nachbarn Europa und die Welt sehen, können wir zu gemeinsamen Lösungen gelangen.
Als Willy Brandt 1970, im Jahr meiner Geburt, erstmals nach Polen reiste, sprachen viele von seiner schwersten Reise. Polen war das erste Opfer des Hitler-Regimes.
Nazi-Deutschland entfesselte mit dem Überfall auf unseren Nachbarn den Zweiten Weltkrieg. Das unermessliche Leid, die Verbrechen und die Zerstörung durch Faschismus und Krieg ließen die Vision eines friedlichen und geeinten Europas zunächst in weite Ferne rücken. Die verbrecherische Besatzungszeit kostete Millionen Menschen das Leben. Auch die Trennung des Kontinents in Ost und West während des Kalten Krieges stand der Einigung Europas über Jahrzehnte im Weg. Denn Aussöhnung gelingt nur dort, wo Dialog möglich ist und nicht wo Mauern die Menschen trennen.
Es ist es vor allem Menschen wie Herrn Bartoszewski zu verdanken, dass wir heute trotz der für Polen so schmerzhaften Geschichte über eine gemeinsame Zukunft sprechen. Der Mut und unbedingte Wille, „den Hass aus der Seele zu reißen“ haben das Zusammen-wachsen Europas erst möglich gemacht.
Denn insbesondere in der Aussöhnung zwischen Polen und Deutschen liegt der Schlüssel zu einem geeinten Europa.
Auf deutscher Seite war Willy Brandt einer der Wegbereiter, der mit einer unvergessenen Geste um Vergebung bat. Der Kniefall von Willy Brandt vor dem Denkmal für die Opfer des Warschauer Ghettoaufstands im April 1943 bleibt für uns alle unvergessen. Willy Brandt bekannte sich damit auf symbolische Weise zur deutschen Verantwortung für die Millionen Opfer des Holocaust und bat um Vergebung für die nationalsozialistischen Verbrechen.
Durch diese emotionale Geste und seine politische Beharrlichkeit hat er mit den polnischen Partnern ein neues Kapitel der deutsch-polnischen Beziehungen aufgeschlagen. Nicht im Gegeneinander, sondern nur im Miteinander und durch Annäherung kann eine gemeinsame Zukunft gelingen.
Die heutige deutsch-polnische Partnerschaft verdanken wir aber vor allem dem Freiheitswillen der Polen und ihrer Bereitschaft, neues Vertrauen in ihre deutschen Nachbarn zu fassen.
Die polnische Gesellschaft hat sich auch in schwierigen Zeiten immer ihre Freiräume bewahrt: im kirchlichen Engagement, in Kunst und Kultur. Der Aufnahme politischer Beziehungen gingen Schritte der Versöhnung wie der Hirtenbrief der katholischen Bischöfe aus Polen „Wir vergeben und bitten um Vergebung“ voraus. Bemerkenswert für die damaligen Verhältnisse war auch die Ostdenkschrift der Evangelischen Kirche Deutschlands 1965, die um des Friedens willen die Anerkennung der Oder/Neiße-Grenze forderte.
Das schaffte moralischen Rückhalt, den Kampf um die Freiheit zu wagen, den Kampf gegen die empfundene Fremdbestimmung und kommunistische Diktatur, der der deutschen Einheit und der Einigung Europas vorausging. Ich verneige mich dankbar vor der historischen Leistung des polnischen Volkes.
Mit der Gewerkschaftsbewegung Solidarność erlangte die Freiheitsbewegung neue Kraft und eine Richtung. Als die damalige polnische Regierung im Dezember 1981 das Kriegsrecht verhängte, um die Gewerkschaftsbewegung zu zerschlagen, zeigten viele Deutsche Solidarität mit Polen.
Und die Polen haben sich nicht entmutigen lassen und bereiteten dem friedlichen Übergang am Runden Tisch den Weg.
Auch dieser Runde Tisch hat im Übrigen in diesem Jahr 25-jähriges Jubiläum. Ich bin sicher, dass es eben genau dieses zivilgesellschaftliche Engagement war, das zur gelungenen Transformation in Polen beigetragen hat.
Gerade die Menschen in den Beitrittsländern des Jahres 2004 haben bewundernswerten Mut bewiesen, als sie im Geiste der europäischen Werte Politik, Wirtschaft und das Alltagsleben umwälzten.
Ihr erfolgreicher und beharrlicher Umgang mit politischen Umbrüchen, mit der Umgestaltung gesellschaftlicher Systeme, aber auch mit gelegentlichen Rückschlägen sind ein unverzichtbarer Erfahrungsschatz für ganz Europa. Er kann Vorbild und Ansporn sein, wenn es heute darum geht, die Europäische Union für die Aufgaben unserer Zeit zu ertüchtigen.
Polen hat nie einen Zweifel daran gelassen, wo es hingehört: In die Mitte Europas! Mit dem EU-Beitritt am 1. Mai 2004 ist Polen nach einer langen Reise in den Kreis des freien Europas zurückgekehrt. Die Osterweiterung der EU besiegelte endgültig das Ende der Spaltung des Kontinents in Ost und West. Und auch den praktischen Mehrwert der europäischen Einigung kann wohl niemand ernsthaft bestreiten.
Erst kürzlich hat eine Studie des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit erneut belegt: Deutschland gehört zu den großen Gewinnern der Osterweiterung und der Arbeitnehmerfreizügigkeit im europäischen Binnenmarkt: Weder haben wir Arbeitsplätze verloren noch hat sich das Lohnniveau nach unten entwickelt.
Stattdessen haben wir mit Polen einen starken Partner dazu gewonnen. Denn die polnische Wirtschaft hat der Krise bislang getrotzt und befindet sich seit Jahren auf Wachstumskurs.
Für mich wiegt jedoch etwas ganz anderes weitaus gewichtiger:
Polen gehört zu den Motoren der europäischen Integration. Es hat im zweiten Halbjahr 2011 in schwierigen Zeiten für Europa die EU-Ratspräsidentschaft übernommen – mit großem Erfolg!
Die polnischen Bürgerinnen und Bürger stehen wie in kaum einem EU-Mitgliedstaat auch zehn Jahre nach dem Beitritt eindeutig hinter dem pro-europäischen Kurs der Regierung; die Zustimmungsraten der Bevölkerung zur europäischen Integration von über 70 Prozent sind beeindruckend – insbesondere in einer Zeit, in der euroskeptische Töne in Mode gekommen sind.
Und wir brauchen überzeugte Europäerinnen und Europäer, die sich entschlossen für ein besseres Europa einsetzen – für ein Europa der Solidarität, des sozialen Zusammenhalts und der gemeinsamen Werte.
Die Europäische Union steht heute mit der Ukraine-Krise vor der größten außenpolitischen Bewährungsprobe seit dem Zweiten Weltkrieg. Heute geht es darum, das große Friedenswerk der europäischen Einigung zu wahren und mit kraftvoller und kluger Außenpolitik eine neue Spaltung Europas zu verhindern.
Solidarität nach innen, aber auch gegenüber unseren Nachbarn außerhalb der EU, ist eines der Schlüsselprinzipien, auf denen Europa gründet. Jetzt ist die Zeit, das auch ganz praktisch zu beweisen!
Die Solidarität nach innen schließt für mich mit ein, bei jeglichen Maßnahmen gegenüber Russland zu bedenken, wen sie am härtesten treffen, wer den höchsten Preis für mögliche Sanktionen zu zahlen hat.
Mir ist bewusst, dass für einige unserer Partner die Sicherung der Energieversorgung die entscheidende Frage ist. Ja, und ich wünschte mir, dass wir auch hier mehr europäischen Geist bewiesen.
Die Krise in der Ukraine zeigt uns, dass wir im Bemühen um eine europäische Energiepolitik noch viel Arbeit vor uns haben. Neue Lieferanten und Lieferwege sind aber nur eine Seite der Medaille.
Denn ebenso gilt es, unsere Abhängigkeit von Energieimporten aus anderen Teilen der Welt durch mehr Energieeffizienz und die Förderung von erneuerbaren Energien weiter abzubauen.
Um das europäische Friedensprojekt zu bewahren, müssen die Mitgliedstaaten der EU geschlossen und in enger Abstimmung vorgehen – sowohl gegenüber Russland als auch bei der Begleitung der Ukraine auf ihrem weiteren Weg der demokratischen Stabilisierung. Wir sind uns in der EU einig: Der Bruch des Völkerrechts durch Russland ist absolut inakzeptabel und darf nicht ohne Folgen bleiben. Wir müssen ein klares Zeichen setzen: In Europa regiert die Stärke des Rechts, nicht das Recht des Stärkeren!
Es gilt, eine weitere Eskalation der Gewalt zu verhindern und der Diplomatie immer wieder eine neue Chance zu geben. Was wäre denn auch die Alternative?
Insgesamt muss die europäische Außenpolitik noch schlagkräftiger werden, strukturell wie inhaltlich. Die Ereignisse der letzten Monate geben auch Anlass, unsere Nachbarschaftspolitik kritisch zu überprüfen. Sollten wir hier nicht flexibler werden und den Ländern in unserer Nachbarschaft passgenauere und kreativere Lösungen anbieten? Es liegen hierzu kluge Vorschläge des Weimarer Dreiecks vor.
Wir sind gefragt, und insbesondere von Ihren Erfahrungen in Polen können wir nur profitieren. Auch in Polen galt 1989 die von Adam Michnik eingeforderte Devise: „Dialog statt Konfrontation“. Es war der Dialog, der dem Systemwechsel in ein friedliches, demokratisches, rechtsstaatliches, tolerantes und weltoffenes Europa die Tür geöffnet hat.
Willy Brandt war nicht nur Vordenker einer neuen deutschen Außenpolitik des Wandels durch Annäherung, sondern auch Sozialdemokrat durch und durch:
Er sagte 1973 vor dem Europäischen Parlament: „Vielleicht war in den Aufbaujahren die Zeit noch nicht reif für eine stärkere Betonung sozialer, gesellschaftspolitischer Ziele über die nationalstaatlichen Grenzen hinaus.“ Heute, 41 Jahre später, ist sie es jedoch allemal. Und es bleibt noch viel zu tun auf dem langen Weg zu einem sozialeren Europa!
Wir brauchen ein wettbewerbsfähiges Europa, um in der globalisierten Welt bestehen und unseren Wohlstand erhalten zu können. Aber der innere Zusammenhalt unserer Gesellschaften ist mindestens genauso wichtig: Wir brauchen eine EU, die nicht nur politisch und wirtschaftlich stark, sondern auch sozial gerecht ist. Dafür muss sich Europa künftig stärker als soziales Korrektiv verstehen. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Rückkehr zu soliden Finanzen und die Bewahrung des Sozialstaats gegeneinander ausgespielt werden.
Die ersten Erfolgsmeldungen aus den krisengeschüttelten Staaten ermutigen uns, dass der Weg der Strukturreformen und der Konsolidierung der richtige ist. Aber: Dieser Weg ist lang und steinig und verlangt den Menschen in Griechenland, Portugal oder Spanien große Anstrengungen und Opfer ab.
Aus diesem Grund darf unsere Antwort nicht bloß aus strikten Sparmaßnahmen oder Liberalisierung der Märkte bestehen. Deswegen wollen wir Wachstum und Beschäftigung noch stärker fördern und das soziale Fundament Europas festigen.
Das dringendste Problem ist der dramatische Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit. In Griechenland und Spanien haben derzeit mehr als 60 Prozent der jungen Leute keinen Arbeitsplatz. Genau hier hat die Wirtschafts- und Finanzkrise zu einer schweren Vertrauenskrise geführt. Wenn die junge Generation Europa eher als Problem denn als Problemlöser sieht, dann treiben wir die Menschen nicht nur in die Perspektivlosigkeit, sondern auch in die Arme derer, die die EU eigentlich abschaffen wollen.
Sie kennen in Polen die schmerzhaften Nebenwirkungen rasanter ökonomischer Modernisierung nur zu gut, aber Sie wissen auch wie wichtig sozialer Zusammenhalt für politische Systeme ist. Soziale Schieflagen vermögen der Politik die Legitimationsgrundlage zu entziehen.
Polen hat seit dem Fall des Eisernen Vorhangs eine beeindruckende Transformationsleistung erbracht.
Die Anstrengungen von Politik und Wirtschaft, vor allem aber auch der Bürgerinnen und Bürger auf dem Weg in die EU waren enorm – dies kann man gar nicht oft genug betonen. Ihr Land verfügt daher über wichtige Erfahrungen bei der Umsetzung schmerzhafter Reformen und den damit verbundenen sozialen Problemen. Heute, fast zehn Jahre nach dem EU-Beitritt im Mai 2004, können wir aber durchaus selbstbewusst sagen: Es war ein schwerer und steiniger Weg. Doch er hat sich ausgezahlt für die Mehrheit der Polinnen und Polen.
Von diesen Erfahrungen können wir heute in ganz Europa lernen. Das gilt insbesondere für die vielen Menschen in den krisengeschüttelten Staaten Europas, die sich heute als die großen Verlierer des Reform- und Konsolidierungsprozesses fühlen.
Sie müssen ganz reale Einschnitte in ihrem täglichen Leben, einen Verzicht auf ihren bislang gewohnten Lebensstandard hinnehmen. Während man die Einschnitte sofort spürt, entfalten sich die positiven Effekte oft erst viel später. Strukturreformen brauchen eben Zeit, bis sie wirken.
Es sind gerade diese Erfahrungen mit der Ungleichzeitigkeit von schmerzvollen Einschnitten und dem späteren Einfahren der „Ernte“ der Reformpolitik, die die Menschen aus mittel- und osteuropäischen EU-Staaten an die Bürgerinnen und Bürger in den heutigen Krisenstaaten weitergeben können.
Das Europäische Sozialmodell gehört zu unserem Markenkern. Mitnichten sollen nationale Sozialsysteme vereinheitlicht werden. Doch der Ausgleich wirtschaftlicher und sozialer Interessen gelingt in einigen Ländern besser als in anderen. Ich bin ein Freund davon, dass wir in Europa immer wieder voneinander lernen.
Ich erhoffte mir in diesem Bereich, dass gerade die nordischen Länder ihr Gewicht als sozial stabile, wirtschaftlich starke und inklusive Gesellschaften noch stärker nutzen würden. All dies wird uns kaum ohne eine bessere Koordinierung im Bereich der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik gelingen. Das stellt jedoch nicht das Ziel in Frage:
Die Bewahrung der sozialen Marktwirtschaft in Europa ist die Voraussetzung für nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg.
Und nicht nur um unser Europäisches Sozialmodell beneidet man uns über unsere Grenzen hinaus. Die vergangenen Monate haben uns einmal mehr vor Augen geführt: Die Europäische Union ist eine einzigartige Wertegemeinschaft, die weit über unsere Außengrenzen hinausstrahlt.
Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, kulturelle und religiöse Vielfalt, der Schutz von Minderheiten sowie Presse- und Meinungsfreiheit – auch das ist Europas Markenzeichen.
Damit entfaltet die EU eine enorme Anziehungs- und Transformationskraft in der europäischen Nachbarschaft und darüber hinaus. Es sind die Rufe nach politischer Teilhabe, freier Meinungsäußerung und Rechtsstaatlichkeit, die die Menschen auf den Majdan und auf den Taksim-Platz getrieben haben. Und es waren eben diese Werte, nach denen sich die Menschen in den mittel- und osteuropäischen Staaten vor nunmehr 25 Jahren sehnten.
Doch zuletzt hat sich wiederholt gezeigt, dass unser gemeinsames Wertefundament in Europa keine Selbstverständlichkeit ist, sondern jeden Tag aufs Neue gepflegt und verteidigt werden muss.
Wir können es uns nicht erlauben, auch nur den geringsten Zweifel an unserer eigenen Glaubwürdigkeit aufkommen zu lassen. Wir müssen diese Grundwerte nach innen uneingeschränkt vorleben, um sie auch nach außen glaubhaft einfordern zu können. Deshalb sollten wir für einen besseren Schutz der Grundwerte und der Rechtsstaatlichkeit in der ganzen Europäischen Union sorgen. Die EU- Kommission hat diese Initiative aufgegriffen und kürzlich Vorschläge dazu vorgelegt. Allgemeine, objektive und verbindliche Standards für eine konsequente Beachtung der Grundwerte in der ganzen EU sind unverzichtbar für eine starke Werteunion, die auch Belastungen standhält.
Die deutlichen Worte von Radek Sikorski in Berlin aus dem Jahr 2011 sind mir in Erinnerung geblieben. Seine Mahnung an uns Deutsche, noch sichtbarer zu unserer Verantwortung in Europa zu stehen, klingt nach. Wir sind in der Vergangenheit stets gut damit gefahren, unsere wirtschaftliche und politische Stärke nicht dominant auszuspielen. In den vergangenen Jahren konnte mancherorts der Eindruck entstehen, Deutschland suche die Rolle eines Oberlehrers und wolle seine eigenen Vorstellungen von Europa kompromisslos durchsetzen. Dieses verzerrte Bild möchte ich gerade rücken.
Der Verantwortung wollen wir uns stellen, aber eben nur mit starken, verlässlichen Partnern an unserer Seite - Polen gehört ganz gewiss dazu.
Deutschland und Polen haben gemeinsam viel erreicht, in unseren bilateralen Beziehungen und für Europa.
In allen aktuellen europäischen Fragen arbeiten Berlin und Warschau eng zusammen. Zusammen mit Frankreich haben wir im Format des „Weimarer Dreiecks“ eine Reihe von gemeinsamen Initiativen auf den Weg gebracht. Aber jetzt gilt es, verloren gegangenes Vertrauen in die EU zurückgewinnen, und zwar in allen Mitgliedstaaten, egal ob innerhalb oder außerhalb der Eurozone.
Das möchte ich hier zum Abschluss noch einmal ganz klar betonen: Die Wirtschafts- und Währungsunion braucht eine Stärkung, um künftig krisenfest zu sein. Zumindest von deutscher Seite kann ich jedoch sagen: Was auch immer das dann konkret bedeuten wird, es wird ganz sicher nicht heißen, dass jemand ausgeschlossen wird.
Die Währungsunion ist und bleibt ein offener Club, in dem neue Mitglieder jederzeit willkommen sind. Ich wünsche mir, dass auch Polen baldmöglichst mit dabei ist!
Meine Erfahrung sagt mir: In jeder Krise steckt ein Kern von Hoffnung. Europa hat es in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder geschafft, aus der Krise die richtigen Lehren zu ziehen und gestärkt daraus hervorzugehen.
Jetzt stehen wir wieder vor einer schwierigen Bewährungsprobe. Wir werden das schaffen, wenn wir gemeinsam mit Geduld, Erfahrung und Hoffnung ans Werken gehen. Gemeinsam. Hand in Hand.