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Interview von Außenminister Steinmeier mit der japanischen Zeitung Tokyo Shimbun
Außenminister Steinmeier im Gespräch mit der Zeitung 'Tokyo Shimbun' über das Ziel einer atomwaffenfreien Welt, die Situation in der Ukraine, Deutschlands Erfahrungen mit der Bewältigung der Vergangenheit und den Stand der deutsch-japanischen Beziehungen. Erschienen am 15.04.2014.
Auf Grund der schwierigen Situation auf der Krim gibt es Meinungen, dass sich erneut ein Kalter Krieg anbahnt. Wenn dem so ist, würde sich das auch fatal auf die Bemühungen um nukleare Abrüstung auswirken. Denken Sie, dass es wirklich eine Welt ohne Atomwaffen geben kann und wie steht die Bundesregierung zu den taktischen Atomwaffen der NATO?
Wir wollen keine neue Spaltung Europas. Deshalb verurteilen wir das völkerrechtswidrige Vorgehen Russlands auf der Krim. Deshalb setzen wir uns gleichzeitig mit aller Kraft für eine Deeskalation der Krise um die Ukraine ein. Ich halte eine politisch-diplomatische Lösung im Wege von direkten Gesprächen zwischen der Ukraine und Russland unter internationaler Begleitung für den richtigen Weg.
Deutschland hält am großen Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt fest. Aber wir wissen, dass das nicht über Nacht zu schaffen ist: Russland hat das in Berlin öffentlich gemachte Angebot von US-Präsident Obama für eine neue Abrüstungsagenda bislang nicht aufgenommen. Einige Staaten rüsten nuklear sogar auf: Nordkorea hat erst 2013 eine Atombombe getestet. Ich begrüße deshalb, dass die Staaten der nuklearen Nichtverbreitungs- und Abrüstungsinitiative in Hiroshima zusammenkommen, um an diesem symbolischen Ort ein deutliches Zeichen zu setzen.
Deutschland und Japan verhalten sich eher zurückhaltend, was Sanktionen gegenüber Russland in der Krim-Krise anbelangt: Deutschland bezieht einen hohen Anteil seiner Energie aus Russland während Japan an der diplomatischen Regelung des Streits um die Südkurilen interessiert ist. Gibt es Abstimmungen zwischen Deutschland und Japan in der russischen Frage, und wie genau sieht sie aus?
Es geht jetzt darum, eine weitere Eskalation zu verhindern. Dabei stimmen wir uns eng mit Japan ab. Ich habe dazu bereits mit meinem japanischen Amtskollegen Fumio Kishida telefoniert. Bundeskanzlerin Merkel hat sich am Rande des Nuklearen Sicherheitsgipfels in Den Haag vor kurzem mit dem japanischen Premierminister Shinzo Abe zu dem Thema ausgetauscht. Auch bei meinen jetzigen Gesprächen mit dem japanischen Premierminister und mit Außenminister Kishida in Tokyo und Hiroshima steht das Thema oben auf unserer Tagesordnung.
Japan hat wegen der atomaren Katastrophe von Fukushima ein außerordentlich hohes Interesse daran, wie Deutschland die Energiewende umsetzt. Könnte Deutschland die Energiewende auch ohne das russische Gas realisieren? Was kann, oder muss, Deutschland tun, um die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen zu verringern?
Die Ukraine-Krise hat auch in der breiten Öffentlichkeit klar gemacht, wie stark die Energieversorgung einiger europäischer Länder von Russland abhängt. Ganz unabhängig von der aktuellen Krise verfolgt die Europäische Union eine aktive Politik der Diversifikation ihrer Energiequellen. Für Deutschland ist die Energiewende ein wichtiger Teil dieser Diversifizierungsstrategie.
Wir verfolgen weiter unser ehrgeiziges Ziel einer Energiewende hin zur vermehrten Nutzung erneuerbarer Energiequellen. Das braucht Zeit und muss mit Blick auf die industrielle Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands mit Augenmaß gemacht werden, aber am Ende wird es auch die Abhängigkeit von Energieimporten reduzieren. Dafür suchen wir starke Partner wie Japan, um die besten Lösungen für die Energieversorgung der Zukunft gemeinsam zu erarbeiten.
Deutschland hat für seine Anstrengungen in der Frage der Vergangenheitsbewältigung viel Lob aus China und Südkorea erhalten. Als hingegen der japanische Premier Abe den Yasukuni-Schrein besuchte, wurde Japan dafür nicht nur von diesen beiden Ländern sondern auch von den USA kritisiert. Wo sehen Sie Defizite in der japanischen Vergangenheitsbewältigung und was sollte Japan von Deutschland übernehmen?
Ich kann hier nur von unseren Erfahrungen in Europa berichten: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass eine Verständigung über eine gemeinsame gute Zukunft ohne einen Dialog über das Geschehene nur schwerlich möglich ist. Deutschland hatte das große Glück, dass unsere europäischen Nachbarvölker schon bald nach dem Zweiten Weltkrieg bereit waren, uns die Hand zur Versöhnung zu reichen. Aus den Trümmern des Krieges ist die europäische Einigung entstanden und hat Europa eine bis dato ungekannten Periode des Friedens, der Freiheit und des Wohlstands gebracht. Aus dem Gegeneinander ist ein Miteinander geworden. Es hat – auf allen Seiten – Kraft gekostet, diesen Versöhnungsprozess in Gang zu setzen. Aber unsere Erfahrung in Europa zeigt, dass der Aufbau von Vertrauen möglich ist und allen Beteiligten nur Vorteile bringt. Natürlich sind unsere europäischen Erfahrungen nicht ohne weiteres auf die Situation in Ostasien übertragbar. Wichtig ist aus unserer Sicht, den Dialog miteinander zu führen, Vertrauen aufzubauen und Missverständnisse aus dem Weg zu räumen.
Zwischen China und Deutschland gibt es einen regen Austausch gegenseitiger Besuche auf Chef-Ebene, hingegen hat Kanzlerin Angela Merkel seit dem G8-Gipfel in Hokkaido Japan nicht mehr besucht. Haben die Beziehungen zu Japan in ihrer Bedeutung für Deutschland abgenommen?
Von einer abnehmenden Bedeutung Japans für Deutschland kann keine Rede sein. Die deutsch-japanischen Beziehungen sind uns sehr wichtig. Sie leben auch in ihrem 153. Jahr von einer engen Partnerschaft und zahlreichen gemeinsamen Interessen und Initiativen. So verbindet uns der Wunsch nach einer Reform der Vereinten Nationen. Hochrangige politische Begegnungen zwischen unseren beiden Ländern finden mit großer Regelmäßigkeit statt, der politische Abstimmungsprozess zwischen Berlin und Tokyo funktioniert reibungslos. Die Regierungschefs und die Außenminister treffen sich regelmäßig, wie jetzt zum Außenministertreffen der Nichtverbreitungs- und Abrüstungs-Initiative in Hiroshima. Die Einladung meines Amtskollegen Kishida in seine Heimatstadt habe ich gerne angenommen – zumal bei einem so wichtigen internationalen Anliegen wie der nuklearen Abrüstung und an einem so symbolträchtigen Ort wie Hiroshima. Wir freuen uns sehr auf den kurz bevorstehenden offiziellen Besuch des japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe, der sich am 29. und 30. April in Berlin aufhalten wird.