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Offene Grenzen und offene Gesellschaften tun uns gut!
Beitrag von Staatsminister Michael Roth. Erschienen im Handelsblatt am 20.02.2014.
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Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst der ungebremsten Masseneinwanderung. Seit Wochen geistert es über unseren Kontinent. Ob es um die Folgen der „Armutszuwanderung“ in einigen deutschen Kommunen geht oder um die Volksabstimmung in der Schweiz: Viel zu häufig wird der Eindruck erweckt, dass der Ausverkauf nationaler Sozialsysteme und der massenhafte Verlust von Arbeitsplätzen für Einheimische droht, wenn wir die Zuwanderung nicht strikt begrenzen.
Solche Debatten rütteln an den Grundfesten Europas. Das Recht der Unionsbürger, frei zu wählen, wo sie leben oder arbeiten möchten, zählt zu den größten Errungenschaften der EU. Europa ist eben mehr als nur ein Binnenmarkt. Europa ist vor allem ein Raum der Freiheit, in dem Menschen unterschiedlicher Herkunft ihr Leben selbstbestimmt gestalten können.
Wie können wir die Chancen der Freizügigkeit auch denjenigen näher bringen, die nicht unmittelbar an ihr teilhaben? Wir dürfen die Ängste der Bevölkerung jedenfalls nicht ignorieren. Stattdessen müssen wir mit Fakten belegen, wo sie unbegründet sind. Und dort, wo Zuwanderung tatsächlich zu Problemen führt, müssen wir solidarische Lösungen finden, ohne die europäischen Grundfreiheiten über Bord zu werfen. Darin unterscheiden wir uns von den Populisten, die unterschlagen, dass ein Großteil der bestehenden Probleme besser auf nationaler, regionaler oder kommunaler Ebene gelöst werden kann. Ein bürgernahes Europa bedeutet auch, dass die EU nicht alles regelt.
Zunächst die Fakten: Deutschland hat von der Arbeitnehmerfreizügigkeit und vom freien Warenverkehr in Europa enorm profitiert. 60% unserer Exporte gehen in die EU und sichern damit Arbeitsplätze und Wohlstand. Um unsere wirtschaftliche Stärke und das Niveau der sozialen Sicherung zu erhalten, sind wir in Zukunft mehr denn je auf Einwanderung durch Fachkräfte angewiesen – von der Krankenpflegerin bis zum IT-Spezialisten. In der aufgeheizten Debatte wird meist unterschlagen, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit unsere Sozialsysteme sogar entlastet. Mobile Unionsbürger zahlen insgesamt mehr in unsere Sozialkassen ein als sie entnehmen – das gilt für Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherungen.
Richtig ist aber auch: Die sozialen und wirtschaftlichen Probleme mit Zuwanderern konzentrieren sich auf einige strukturschwache Kommunen. In diesen sozialen Brennpunkten müssen wir das friedliche Zusammenleben fördern sowie Bildungs- und Integrationsangebote finanzieren. Die Bundesregierung nimmt die Sorgen der betroffenen Kommunen ernst und wird vor der Sommerpause konkrete Hilfsmaß-nahmen vorschlagen. Wenn Migranten auf dem „Arbeiterstrich“ schamlos von deut-schen Betrieben ausgebeutet werden, ist das ein Verbrechen und gehört geahndet.
Viele Europäer kommen zu uns, weil sie in ihren Heimatländern wegen der schlechten Lebensbedingungen keinerlei Perspektive sehen. Wir müssen daher alles daran setzen, das Wohlstandsgefälle innerhalb Europas durch eine echte europäische Sozial- und Beschäftigungspolitik zu überwinden. Dafür brauchen wir ein Europa, das die Mobilität seiner Bürger als Chance und nicht als Bürde begreift. Wenn das gelingt, dann könnte auch das Schreckgespenst der Masseneinwanderung endlich wieder aus den Köpfen der Menschen verschwinden.