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Rede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier beim Festakt „Eröffnung des Scientific Advisory Boards der Vereinten Nationen“

30.01.2014 - Rede

-- es gilt das gesprochene Wort --

Hochverehrter Herr Generalsekretär Ban Ki-Moon,
Hochverehrte Frau Generaldirektorin Bokova,
Exzellenzen,
Sehr verehrte Damen und Herren,

vor 40 Jahren ist die Bundesrepublik Deutschland den Vereinten Nationen beigetreten. Willy Brandt sagte damals, in der ersten Rede eines deutschen Bundeskanzlers vor der Vollversammlung, einen Satz, der bis heute nicht an Aktualität eingebüßt hat.

Er stellte fest: „Manche Kritik an den Vereinten Nationen klingt bitter, zynisch, ist von fast jubilierendem Pessimismus – so als hoffe man heimlich, dass die Schwächen der Organisation Idee und Ziel widerlegten. Doch Rückschläge auf dem Weg zu einem Ideal beweisen nicht notwendig, dass jenes Ideal falsch ist, sondern oft nur, dass der Weg besser sein könnte.“

Wir alle kennen die Vorurteile über die Vereinten Nationen. Sie seien zu schwach, ineffizient und ohnmächtig angesichts aktueller Konflikte und globaler Herausforderungen. Aber hat uns nicht allein die vergangene Woche gezeigt, wie unverzichtbar die Vereinten Nationen sind?

Nach drei Jahren Bürgerkrieg, über 130.000 Toten und sieben Millionen Vertriebenen. Den Vereinten Nationen ist es gelungen, in Montreux die Konfliktparteien Syriens an einen Tisch zu bringen. Unter Aufsicht von VN-Inspekteuren werden die syrischen Chemiewaffen endlich vernichtet. Zehntausende Menschen im Südsudan fanden Zuflucht in den Lagern der Vereinten Nationen.

Das Treffen von Montreux mag für manche wie eine Niederlage der internationalen Politik aussehen. Doch wer sich erinnert, welch unvorstellbares Maß an Gewalt und Grausamkeiten sich die Beteiligten zugefügt haben, der weiß, welch Erfolg es ist, dass die Konfliktparteien nicht nur am Verhandlungstisch sondern im gleichen Raum sitzen.

Ohne solche Anfänge, aus denen Größeres entstehen kann, bleibt jede angemahnte politische Lösung Illusion. Nur durch solche Anfänge entsteht überhaupt Hoffnung auf konkrete Verbesserungen: etwa durch lokale Waffenstillstände und den Zugang für humanitäre Hilfe. Das sind kleine Schritte. Aber jeder Schritt zählt im Angesicht des anhaltenden Leids.

Für politische Beobachter sind die Vereinten Nationen viel zu oft eine ferne Institution, die mit ihren mühsamen Konfliktlösungsprozessen einfach nicht Schritt hält mit der Dynamik an der andernorts neue Krisen entstehen.

Hinzu kommt: Der Krieg, die Krise, der Konflikt liefert Bilder. Die geduldigen Gespräche, endlos und über Monate ohne Durchbrüche, sind ohne journalistischen Reiz.

Doch für viele Menschen sind die Vereinten Nationen tägliche Helfer in der Not. Für die syrischen Kinder, die nach den Strapazen der Flucht Schutz im Lager Zaatari finden. Für die Bürgerkriegsopfer in der Zentralafrikanischen Republik oder die Obdachlosen nach dem Erdbeben auf den Philippinen, die ein Dach über dem Kopf und ärztliche Hilfe erhalten.

In den Krisenherden dieser Welt sind die Vereinten Nationen ein ganz konkreter Hoffnungsanker in der Not. Dort leuchtet ihre hellblaue Fahne als Sinnbild der internationalen Solidarität.

Die, die über die Unzulänglichkeiten der Vereinten Nationen lamentieren, sollten nicht vergessen: Die Vereinten Nationen leisten ihre Dienste, wenn Nationalstaaten an ihre Grenzen stoßen. Sie helfen dort, wo andere längst aufgegeben haben. Sie engagieren sich da, wo es keine einfachen Lösungen mehr gibt. Nur sie können das Dach und den Rahmen für weltweit verbindliche Lösungen bieten.

Die Architektur der Vereinten Nationen ist reformbedürftig – keine Frage. Doch Reformen sind notwendig, nicht weil die Vereinten Nationen überflüssig geworden sind. Sie sind notwendig, weil die Vereinten Nationen unverzichtbar sind.

Wir wollen unsere Vereinten Nationen an die Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts anpassen. Für diese Aufgabe haben die Werte der VN-Charta nichts von Ihrer Aktualität eingebüßt.

Das gilt zum Beispiel für die Entwicklungsarbeit. Wir brauchen den Rahmen der VN, um unsere Anstrengungen für die Millenniumsziele effektiv zu bündeln.

Und wir brauchen ihren Rahmen, um auch über 2015 hinaus eine gemeinsame, nachhaltige Entwicklungsagenda auf den Weg zu bringen.

1973 hat Willy Brandt den versammelten Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen angekündigt: „Wir sind gekommen, um – auf der Grundlage unserer Überzeugungen und im Rahmen unserer Möglichkeiten – weltpolitische Mitverantwortung zu übernehmen.“

An diesem Anspruch wollen wir uns auch in Zukunft messen lassen. Unser Engagement in und für die Vereinten Nationen ist und bleibt Kernbestand deutscher Außenpolitik.

Deshalb brauchen wir in Deutschland eine ehrliche Debatte über unsere Rolle in der Welt.

Was heißt die „weltpolitische Mitverantwortung“, von der Willy Brandt sprach, in unserer Zeit konkret? Wie definiert sich der „Rahmen unserer Möglichkeiten“? Welche Ziele verfolgen wir und welche Kosten und Risiken sind wir bereit, dafür einzugehen?

Ich bin der Überzeugung: Deutschland muss sich auch in Zukunft nicht nur finanziell, sondern auch vor Ort und personell engagieren. Das bedeutet nicht, dass wir uns in militärische Abenteuer stürzen.

Ich habe erst gestern in meiner Rede vor dem Deutschen Bundestag gesagt: Eine Politik der militärischen Zurückhaltung ist richtig. Der Beweis, dass militärische Interventionen die Dinge zum Besseren wenden, ist selten geführt. Aber so richtig militärische Zurückhaltung ist, sie darf nicht münden in ein Prinzip des Heraushaltens.

Derzeit sind fast 6.000 deutsche Soldatinnen und Soldaten, Polizisten und zivile Experten in Friedensmissionen der Vereinten Nationen oder von ihr mandatierten Missionen tätig.

Und wir diskutieren mit unseren Bündnispartnern, wie wir unser Engagement in Zukunft weiter verbessern können. In Mali zum Beispiel beraten wir, ob wir unseren Einsatz im Rahmen der Ausbildung von Sicherheitskräften verstärken.

Im Bereich der humanitären Hilfe hat Deutschland seinen Beitrag deutlich erhöht. Mit einer Rekordsumme von 358 Millionen Euro hat die Bundesregierung 2013 zur Linderung menschlichen Leids in humanitären Krisen beigetragen.

Dazu gehört auch die Entscheidung, 10.000 syrische Flüchtlinge aus den Nachbarstaaten Syriens in Deutschland aufzunehmen.

Das Beispiel unseres Engagements für Syrien zeigt: Unsere Verantwortung in den Vereinten Nationen wächst und wandelt sich.

Wichtige VN-Einrichtungen haben ihre Heimat in Deutschland gefunden: In Berlin, Frankfurt am Main und Hamburg, vor allem aber in Bonn. Bonn ist zu einem Zentrum für Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Entwicklung geworden. Wir werden auch in Zukunft den Vereinten Nationen die bestmöglichen Arbeitsbedingungen bieten.

Es freut mich daher sehr, dass Sie, Herr Generalsekretär, morgen den VN-Standort persönlich Bonn besuchen werden.

Es macht uns stolz, dass Sie, Herr Generalsekretär, Berlin als Ort für die konstituierende Sitzung des wissenschaftlichen Beirats der Vereinten Nationen ausgewählt haben. Wir verstehen Ihre Auswahl als Anerkennung und Ansporn für unser Engagement in den Vereinten Nationen zugleich.

Mit diesem Gremium hochkarätiger Wissenschaftler erhält die politische Spitze der Vereinten Nationen nicht nur einen akademischen Berater, sondern einen gesellschaftlichen Partner. Die Aufgabe des Gremiums soll nicht allein der kluge Rat aus dem Elfenbeinturm sein.

Sondern er soll Ihnen, dem Generalsekretär, helfen, die Erkenntnisse der Wissenschaft in realisierbare Politik zu übersetzen.

Ein erster Prüfstein für diese ehrgeizige Mission ist die schon erwähnte Debatte um die nachhaltigen Entwicklungsziele der Post-2015-Agenda. Wir alle sind gespannt auf Ihre Arbeit und Zusammenarbeit.

Wir wünschen Ihnen für die ersten Schritte viel Erfolg. Sie sind uns hier im Auswärtigen Amt herzlich willkommen – auch über den heutigen Tag hinaus. Sie können sich auf die tatkräftige Mitarbeit und Unterstützung Deutschlands verlassen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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