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„Wir wollen eine Europäische Union, die politisch und wirtschaftlich stark und zugleich sozial gerecht ist.“

09.01.2014 - Interview

Im Vorfeld seiner Reise nach Athen sprach Außenminister Steinmeier mit der der griechischen Tageszeitung TA NEA. Lesen Sie hier das am 09.01.2014 erschienene Interview.

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Was kann Europa und Griechenland von der neuen großen Koalition in Deutschland erwarten? Warum ist es dieses Mal anders mit der SPD?

Unsere Botschaft nach Europa und an unsere Partner in Griechenland ist: Wir glauben an Euren Erfolg! Wir stehen an Eurer Seite! Wir sind durch ein tiefes Tal gegangen. Wir haben in Europa tief greifende Reformen angepackt und wir haben Respekt vor dem, was die Griechen im eigenen Land auf den Weg gebracht haben. Noch sind wir nicht über den Berg. In dieser schwierigen Zeit können unsere europäischen Partner auf die Unterstützung Deutschlands bauen. Das ist das Leitmotiv der neuen deutschen Bundesregierung, und dafür steht auch die SPD.

Gibt es Hoffnung auf einen Wandel der deutschen Europapolitik, so dass mehr Gewicht auf Wachstum und Beschäftigung und weniger auf strenge Sparpolitik gelegt wird? Das ist es jedenfalls, was die Leute im Großen und Ganzen von der SPD-Beteiligung an der Regierung erwarten. Denkt Deutschland an einen grundlegenden Politikwechsel in der Eurozone?

Wir wollen eine Europäische Union, die politisch und wirtschaftlich stark und zugleich sozial gerecht ist. Beides gehört zusammen. Denn so wichtig unsere europäische Wettbewerbsfähigkeit im harten globalen Wettbewerb ist: Wir dürfen den inneren Zusammenhalt in unseren Gesellschaften und zwischen den Ländern Europas nicht aus dem Auge verlieren. Das Gefühl, in einer Gemeinschaft der Werte und der Lebensverhältnisse in Europa zusammenzugehören, ist zu vielen Menschen in Europa abhanden gekommen. Hier hat es bereits wichtige Impulse gegeben, das müssen wir jetzt noch verstärken, da müssen wir noch kreativer werden. Ich denke besonders an unser Engagement für mehr Beschäftigung. Die Jugendarbeitslosigkeit und die Hoffnungslosigkeit, die das für eine ganze Generation mit sich bringt, ist vielleicht die größte Gefahr für Europa. Es hat höchste Priorität, dass wir hier mit europäischer Politik gegensteuern.

Griechenland hat eine einzigartige Neuausrichtung des Haushalts vorgenommen, mit Maßnahmen in Höhe von 70 Milliarden Euro innerhalb von dreieinhalb Jahren (das entspricht 35 Prozent des BIP). Aber die strengen Sparmaßnahmen haben die Menschen polarisiert und die Koalitionsmehrheit auf drei Stimmen zusammenschmelzen lassen. Beunruhigt Sie das nicht?

Griechenland hat in der Tat präzedenzlose und mutige Reform- und Sparanstrengungen unternommen. Das wird überall in Europa anerkannt. Natürlich sehen wir auch, was das für das tägliche Leben der Menschen in Griechenland bedeutet, und dass nach so vielen schwierigen Jahren die Skepsis tief sitzt. Wir müssen besonders diejenigen im Blick haben, die unter der Krise am meisten zu leiden haben: Die Jugendlichen, die berufliche Perspektiven verdient haben, Menschen, die ihre Arbeit verloren haben, alte Menschen und auch in Not geratene kleine und mittelständische Unternehmen.

Sollte nicht bald eine Diskussion über neue Schuldenerleichterungen beginnen, weil Griechenland voraussichtlich einen Primärüberschuss im Haushalt aufweisen wird? Was ist mit der Diskussion über den Bedarf für ein drittes Programm?

Griechenland ist bei der Gesundung seiner Staatsfinanzen auf dem richtigen Weg. Voller Anerkennung blicken wir auf die weite Strecke, die Griechenland in wenigen Jahren zurückgelegt hat – von einem Haushaltsdefizit über zehn Prozent vielleicht sogar zu einem Primärüberschuss im vergangenen Jahr. Wie wir Griechenland auf seinem Weg zu wirklich nachhaltig soliden Finanzen weiter helfen können, wird in den kommenden Monaten mit den Partnern in der Eurogruppe beraten. Das aktuelle Hilfsprogramm für Griechenland läuft noch bis Ende 2014. Es macht keinen Sinn, jetzt schon über weiteren Finanzbedarf für die Zeit danach zu spekulieren. Ich begrüße den Ehrgeiz von Premierminister Samaras und Außenminister Venizelos, so bald wie möglich die Hilfsprogramme zu beenden und eigenständig an die Finanzmärkte zurückzukehren. Und ich sehe einen Silberstreif am Horizont: Es gibt nach langen Jahren der schlechten Nachrichten dank der engagierten Reformpolitilk der griechischen Regierung endlich – und zum ersten Mal seit Beginn der Krise – viel versprechende Anzeichen für eine Rückkehr Griechenlands zu Wachstum und mehr Beschäftigung. Genau darum ging es ja bei den europäischen Hilfsprogrammen.

Beunruhigt Sie die Popularität anti-deutscher Stimmung in Griechenland? Wie verhält es sich mit der anti-griechischen Stimmung in Deutschland, besonders in der deutschen Presse? Griechenland hat extremistische Stimmen innerhalb des Landes häufig verurteilt. Glauben Sie, dass Deutschland genug getan hat, um eigene extremistische Stimmen zu verurteilen?

Griechenland und Deutschland sind enge Partner, Griechen und Deutsche gute Freunde. Uns verbinden Werte und Überzeugungen, uns verbinden engste gesellschaftliche Bande. Wir sollten Übertreibungen in den Medien nicht überbewerten, sie sprechen nicht für die Gefühle der großen Mehrheit der Menschen in beiden Ländern. Allerdings muss da absolut Schluss sein, wo es beleidigend wird oder Gewalt zur Anwendung kommt. Ich bin deshalb für die schnelle und entschiedene Reaktion von Ministerpräsident Samaras und Außenminister Venizelos auf den Anschlag auf die Residenz unseres Botschafters in Athen dankbar. Eines ist klar: Es wird den Tätern nicht gelingen, die guten Beziehungen zwischen Deutschland und Griechenland und zwischen Deutschen und Griechen kaputt zu machen.

Warum hat Deutschland Angst davor, eine Führungsrolle in Europa zu übernehmen? Warum treiben Sie den Einigungsprozess nicht schneller voran? Fürchten Sie, dass euroskeptische und populistische Bewegungen bei den kommenden Europawahlen obsiegen könnten? Wenn ja, wenn die pro-europäische Mehrheit sich ändert, ist es dann nicht schon zu spät?

Deutschland weiß um seine Verantwortung für Europa und für den europäischen Einigungsprozess. Europa ist für uns keine Option unter mehreren: Es ist die Lehre aus unserer Geschichte und die einzige Zukunft, die wir haben.
Gerade deswegen will ich nicht verhehlen, das ich mir um den Zustand unserer Union Sorgen mache: Zum einen, weil trotz aller Fortschritte die ökonomische Krise noch längst nicht überwunden ist. Zum anderen aber auch, weil die wirtschaftliche Krise politische Fliehkräfte freisetzen könnte, die für die Europäische Union insgesamt gefährlich wären.

Im Jahr 2014, genau hundert Jahre nach dem Ausbruch des ersten Weltkriegs, müssen wir uns deswegen erneut gemeinsam versichern, dass das europäische Projekt weit mehr ist als ein großer Markt, eine gemeinsame Währung und die Verteilung von Haushaltsmitteln: Es geht um unser aller Leben in Frieden und Sicherheit, es geht um gute Arbeit und Wohlstand. Das müssen wir immer wieder und gerade jetzt vor den Wahlen zum Europäischen Parlament deutlich machen. Der Auseinandersetzung mit den Populisten, den Nationalisten, mit jenen Schlafwandlern, die sich „Euroskeptiker“ nennen und auf die simple nationale Karte setzen, ohne eigene Lösungsmodelle anzubieten, dürfen wir nicht ausweichen. Wir müssen engagiert argumentieren und die Menschen in Europa nicht durch Worte, sondern durch Taten immer aufs Neue überzeugen, dass Europa die Grundlage für Fortschritt und Grund für Zuversicht ist.

Im Rückblick auf den Ausbruch der Krise in der Eurozone und die Fehler, die gemacht wurden: Was glauben Sie, hätte anders angepackt werden können/sollen?

Es wäre schlechter Stil, wenn der neue deutsche Außenminister, kaum im Amt, wohlfeile Noten für die Krisenbewältigung verteilt. Wir müssen immer im Blick haben, dass der Kampf gegen die europäische Schuldenkrise schwierigste Entscheidungen in einer hochkomplexen Lage und unter hohem Zeitdruck gefordert hat. Wir Deutsche müssen im Dialog mit unseren Partnern in Europa stärker zum Ausdruck bringen, was für uns den Kern der EU ausmacht und was wir – auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten – selbst erleben durften: Verständnis und Vertrauen. Beides hatten wir in einer für unser Land extrem bedrohlichen wirtschaftlichen Situation erfahren dürfen, die erst gut zehn Jahre zurück liegt. Und beides hat uns den Rückhalt gegeben, den wir für notwendige Reformen in Deutschland brauchten.

Stimmen Sie jenen Stimmen zu, die behaupten, dass Griechenland von vornherein nicht in die Eurozone hätte aufgenommen werden sollen?

Solche Fragen helfen in Wahrheit niemandem. Griechenland ist Teil der Eurozone, und das bleibt auch so. Jetzt ist wichtig, dass wir unsere Hausaufgaben machen, damit wir so tiefe Einbrüche wie die Schuldenkrise in Zukunft verhindern können.

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