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Rede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier bei der Amtsübergabe im Auswärtigen Amt am 17. Dezember 2013
Lieber Herr Westerwelle,
liebe Frau Pieper,
lieber Herr Link,
liebe Frau Haber,
lieber Herr Braun,
liebe Frau Böhmer,
lieber Michael Roth,
Exzellenzen,
liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
etwas mehr als vier Jahre ist es her, dass ich zum letzten Mal hier in diesem Saal gesprochen habe. Ich erinnere mich noch wie heute an Ihren überaus freundlichen Abschied. Die letzten Worte meiner Abschiedsrede waren: „Ich gehe, aber ich gehe nicht aus der Welt.“
Nun, ich bin nicht aus der Welt gegangen! Mit Europa und Außenpolitik hatte ich auch als Fraktionsvorsitzender viel zu tun. Den einen oder anderen von Ihnen habe ich in den letzten Jahren wiedergesehen. Hier in Berlin, in Kabul, in Kairo, in Tel Aviv, in Abu Dhabi und an vielen anderen Plätzen in der Welt. Nie in meiner schon längeren politischen und beruflichen Laufbahn bin ich allerdings dorthin zurückgegangen, von wo ich kam. Der Grundsatz war gut und hat getragen. Wenn ich heute damit breche und nach vier Jahren zurück komme, dann: weil es Ehre und Auszeichnung ist, ein weiteres Mal das Amt des deutschen Außenministers zu übernehmen. Es geht nicht nur darum, das Land zu repräsentieren, sondern auch die Chance zu haben, an Dingen weiterzuschmieden, an die man schonmal Hand angelegt hat. Ich freue mich auf die nächsten vier Jahre, ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit!
Lieber Herr Westerwelle,
ich danke Ihnen für Ihre freundlichen Worte und Ihren herzlichen Empfang. Aber ich danke Ihnen noch mehr für das, was Sie in den letzten Jahren für unser Land getan haben!
Sie haben in Ihrer Verantwortung von hier aus dazu beigetragen, dass Deutschland auch in der Krise der letzten Jahre europapolitisch in der Spur geblieben ist. Das war, wir wissen das beide, keine Selbstverständlichkeit. Es bleibt richtig, was Hans-Dietrich Genscher gesagt hat: „Europa bleibt unsere Zukunft, eine andere haben wir nicht.“ Das ist unsere gemeinsame Auffassung in einem Umfeld, in dem es an der Tagesordnung ist, herablassend-leichtfertig über die Rolle Europas zu urteilen
Sie haben an der „Kultur der militärischen Zurückhaltung“ festgehalten. Das hat Ihnen nicht nur Lob eingebracht – auch in Deutschland gibt es wieder einige, für die – ausschließlich und nur - Androhung und Einsatz militärischer Gewalt der Lackmustest für außenpolitische Glaubwürdigkeit ist. Daraus spricht nicht nur Missachtung kluger Diplomatie zur Krisenlösung und –entschärfung. Es lässt auch in Vergessenheit geraten, dass wir Deutsche – mit Blick auf unsere Geschichte – besondere Verantwortung für die Erarbeitung von Alternativen zur militärischen Lösung tragen. Selbst wenn wir auch solche für die Vergangenheit nicht völlig ausgeschlossen haben und für die Zukunft nicht immer ausschließen können.
Danke also Ihnen, Herr Westerwelle, und danke Ihnen allen für den freundlichen Empfang. Sie alle werden kein Verständnis haben für die Frage, die mir gleichwohl mehrfach in den letzten Tagen gestellt worden ist: „Warum willst Du denn eigentlich noch einmal ins Auswärtige Amt?“ Dabei ist die Antwort darauf von den Wissenden so einfach! „Weil dies nicht ein Ressort wie jedes andere ist. Und weil ein Land wie Deutschland gute Außenpolitik braucht!“
Und die gibt es nicht ohne Frauen und Männer wie Sie. Nicht ohne Professionalität, kreatives Denken und Mut, den Eigenschaften, die einen guten Diplomaten auszeichnen. Solange diese drei Eigenschaften hier in diesem Haus zu finden sind, ist es um die Zukunft des Auswärtigen Amtes nicht allzu schlecht bestellt.
Dennoch verändert sich etwas! Natürlich sind auch die anderen Ressorts heute stärker als früher unterwegs im internationalen Geschäft. Und was würden wir klagen, wenn es anders wäre! Natürlich gibt es eine stärkere mediale Konzentration auf die Staats- und Regierungschefs.
Gipfel sind wichtig. Aber jeder weiß auch: Außenpolitik findet in der Substanz nicht auf den Gipfeln statt, sondern dazwischen und davor. Was nicht seriös vorbereitet ist, lässt Gipfelbemühungen scheitern, die Beweise dafür füllen Bibliotheken! Deshalb werden außenpolitische Profis nicht weniger, sondern mehr gebraucht. Die Vergipfelung von Politik ersetzt nicht Außenpolitik, sondern setzt sie voraus! Form und Inhalt werden da oft verwechselt. Und die Inhaltsproduzenten sind Sie und werden es auf geraume Zeit bleiben. Auch der Europäische Auswärtige Dienst ist noch ein Stück entfernt davon, außenpolitisches Denken und Handeln in den europäischen Hauptstädten überflüssig zu machen!
Gute deutsche Außenpolitik braucht auch in Zukunft ein gutes Auswärtiges Amt – mit Mut, mit Kreativität und Professionalität! Ich weiß, dass ich mich in dieser Hinsicht auf Sie verlassen kann!
Professionalität, das ist mehr als Fremdsprachenkenntnisse und sicheres Auftreten auf internationalem Parkett. Professionalität, das ist auch die Fähigkeit, in langen, historischen Linien zu denken. Sie alle wissen um die Abgründe unserer deutschen Geschichte, und Sie wissen auch, wie präsent diese Geschichte fast überall in der Welt noch ist.
Das Erinnerungsjahr 2014 wird ganz im Zeichen der „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ stehen, wie George Kennan den Ersten Weltkrieg genannt hat. Und ich hoffe, dass diese Erinnerung für uns zur Mahnung wird! Mahnung, was passieren kann, wenn Politiker und Diplomaten wie „Schlafwandler“ in der Gegend herumirren und nicht im Entferntesten ahnen, auf welchen Abgrund sie gerade zusteuern. Hundert Jahre nach Ausbruch des 1. Weltkrieges ist unsere Welt immer noch ein gefährlicher Ort. Lassen Sie uns keine Schlafwandler sein – wie es bei Clarke heißt -, sondern als aufgeklärte Patrioten handeln in Verantwortung unserer Geschichte, ganz in der Tradition eines Willy Brandt und eines Hans-Dietrich Genscher! Ob dieser unserer Geschichte in der Ausbildung von Diplomaten noch angemessener Stellenwert zukommt, das sollten wir überprüfen.
Zu den Gemeinplätzen in den Antrittsreden deutscher Außenminister gehört, die Kontinuität zu beschwören. Aber weil ich hier zum zweiten Mal bin, seien mir ein paar Fragezeichen erlaubt.
Ja, die Grundkoordinaten der deutschen Außenpolitik stehen fest und haben sich bewährt: europäische Integration, transatlantische Partnerschaft, eine aktive Rolle bei der Gestaltung einer globalen Friedensordnung in den Vereinten Nationen und anderen internationalen Organisationen.
Das kennen Sie - dieses Koordinatensystem gilt und prägt auch die außen- und sicherheitspolitischen Kapitel des Koalitionsvertrages. Dennoch bin ich der festen Überzeugung: Mit einer bloßen Beschwörung des Altbekannten und Bewährten kommen wir in Zukunft nicht mehr durch! In einer Welt im Umbruch müssen wir uns die kritische Frage stellen, ob die Pfeiler, auf denen dieses Koordinatensystem fußt, noch hinreichend belastbar und verlässlich sind.
Die grassierende Europaentfremdung habe ich bereits erwähnt. Das transatlantische Verhältnis ist – Stichworte Irak-Krieg, Guantánamo, Snowden, NSA – unter erheblichem Stress. Und auch wenn der erfolgreiche Abschluss der WTO-Runde in Bali endlich einmal wieder ein Zeichen der Hoffnung war, ist doch klar erkennbar, dass sich die großen Weltorganisationen und der multilaterale Ansatz in einer Krise befinden. Der überall spürbare Trend hin zur Bilateralisierung und Bildung von „coalitions of the willing“ ist nur ein Ausdruck dafür.
Hier kommt jetzt das zweite Stichwort ins Spiel, das ich vorhin genannt habe: „kreatives Denken“. Und das fängt bekanntlich mit dem Stellen der richtigen Fragen an. Ich begrüße es ausdrücklich, dass unter der Überschrift „Werte und Interessen“ in den letzten Jahren eine Diskussion über die Grundausrichtung der deutschen Außenpolitik begonnen hat.
In einem sehr lesenswerten Aufsatz über die „Gestalt deutscher Macht“ haben Thomas Kleine-Brockhoff und Hanns Maull vor kurzem geschrieben: „Die bewährten Leitlinien der deutschen Außenpolitik werden nur dann forttragen, wenn sie politisch neu erfunden und zeitgerecht adaptiert werden.“ Genau das ist die Aufgabe, die vor uns liegt. Und die hat nichts zu tun mit dem halbstarken Gerede über wachsenden deutschen Einfluss und neue deutsche Macht. Jeder, der die Zahlen kennt, weiß, dass in den nächsten Jahrzehnten unser Anteil an der Weltbevölkerung und am Welthandel kontinuierlich abnehmen wird. Für Mittelmachtsphantasien nach dem Motto „Wir sind wieder wer“ ist da wenig Grundlage!
Mir geht es um etwas anderes sehr viel Grundsätzlicheres: Wir brauchen heute einen erwachsenen, aufgeklärten Diskurs über den institutionellen Rahmen, in dem sich unser außenpolitisches Handeln bewegen soll, über das Maß an Verantwortung, das wir in den nächsten 10, 20 Jahren schultern können, aber auch darüber, wo die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit sind. Die Antworten darauf ergeben sich nicht im Alltag unserer Arbeit so ganz nebenbei.
Viele Länder, die uns nahestehen, die USA, Frankreich, Norwegen, um nur einige zu nennen, haben in den letzten Jahren ihre Außen- und Sicherheitspolitik einer kritischen Selbstüberprüfung unterzogen. Status und Perspektiven in exemplarischen Feldern zu untersuchen, Abgleich zu machen mit anderen außenpolitischen Playern in Europa – das scheint mir notwendig und gewinnbringend für uns zu sein. Deshalb will ich an den Beginn meiner zweite Amtszeit eine solche Selbstverständigung über die Perspektiven deutscher Außenpolitik setzen. Und ich will das ganz bewusst nicht als klassischen innerministeriellen Prozess anlegen, sondern als Dialog des Auswärtigen Amtes mit den wichtigsten außen- und sicherheitspolitischen Stakeholdern unter Einschluss der Zivilgesellschaft. Ich habe deshalb den früheren Leiter der „Stiftung Wissenschaft und Politik“, Christoph Bertram, gebeten, einen solchen Prozess im Auswärtigen Amt organisieren zu helfen. Ich freue mich, dass er zugesagt hat. Jemand von Ihnen wird die Leitung übernehmen und innerhalb eines Jahres Ergebnisse vorstellen. Ich hoffe, dass Sie mich dabei unterstützen!
Der europäischen und deutschen Außenpolitik stehen turbulente Zeiten bevor. Wir leben in einer unruhigen Nachbarschaft, und wenig spricht dafür, dass sich daran so schnell etwas ändern wird. Sicher nicht in der Ukraine, aber erst recht nicht in Nordafrika können wir darauf vertrauen, dass andere, die USA am Ende schon für die notwendige Stabilität sorgen werden, sei es durch politisches, finanzielles oder militärisches Engagement. Wie auf dem Balkan in den 90er Jahren ist in all diesen Ländern heute vor allem Europa gefragt. Ein Europa, das immer noch vor allem mit sich und seiner eigenen Krise beschäftigt ist! Und das seine Rolle als außenpolitischer Akteur nur tastend und zögernd übernimmt.
Es ist empörend, wie die russische Politik die wirtschaftliche Notlage der Ukraine für sich genutzt hat, um den EU-Assoziierungsvertrag zu verhindern. Und genau so empörend war das gewaltsame Vorgehen der ukrainischen Sicherheitskräfte gegen die friedlichen Demonstranten auf dem Majdan. Aber bei aller Empörung haben uns gerade polnische Politiker, wie Präsident Komorowski in seinem Interview vor 2 Wochen in der FAZ darauf hingewiesen, dass wir Europäer uns mit Blick auf unsere Ukraine-Politik auch an die eigene Nase zu fassen haben. Wir müssen uns fragen, ob wir unterschätzt haben, wie zerrissen und schwach dieses Land ist; ob wir nicht gesehen haben, dass es dieses Land überfordert, wenn es sich zwischen Europa und Russland entscheiden muss; ob wir die Entschlossenheit Russlands unterschätzt haben, das mit der Ukraine wirtschaftlich, aber auch historisch emotional eng verbunden ist. Ich habe Antworten darauf nicht! Das alles sind Fragen, die wir und die Europäer uns zu beantworten haben. Sicher bin ich mir nur, dass wir ein finanzielles und wirtschaftliches Hilfsangebot präsentiert haben, das weit hinter dem zurückblieb, was notwendig ist, um die Ukraine vor dem wirtschaftlichen Konkurs zu bewahren und dauerhaft wirtschaftlich an Europa zu binden. Ich werde noch an diesem Donnerstag nach Polen reisen, um mit unserem polnischen Nachbarn, die mehr als fast alle anderen Europäer von der Ukraine verstehen, zu überlegen, was gemeinsam getan werden kann, um die politische Blockade in Kiew aufzulösen.
Ähnliche Herausforderungen warten auf uns in der südlichen Nachbarschaft. Ägypten kommt nicht zur Ruhe. Libyen ist auf dem Weg zu einem failed state. Tunesien ringt um seine Zukunft. Und von der Begeisterung, mit der viele in Deutschland auf den arabischen Frühling geschaut haben, ist allenfalls Ernüchterung übrig geblieben.
Aber auch, wenn die Kameras auf dem Tahrir-Platz abgebaut sind: Wir müssen und wir wollen all jene mutigen Frauen und Männer unterstützen, die sich auf den langen und beschwerlichen Weg zu Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaat gemacht haben. Der Weg wird länger sein, als wir und sie es uns gewünscht haben. Voller Widersprüche dazu. Aber gerade weil er lang und schwierig ist, müssen wir die Richtung unterstützen, nicht nur mit Worten und klugen Ratschlägen. Herr Westerwelle, ich vermute: Sie sehen es wie ich. – Demokratie darf im Alltag der einfachen Menschen in Kairo nicht dauerhaft den Beigeschmack von Hunger und Chaos bekommen, sonst leidet auch der Glanz demokratischer Verheißung! Europa muss helfen, den Prozess innergesellschaftlicher Versöhnung zu stützen und Sorge tragen, dass wirtschaftliche Verbindungen nicht völlig erodieren.
Mit konkreter Hilfe einhergehen muss aber ein besseres Verständnis für das, was in der arabischen Welt derzeit passiert. Konfuzius hat einmal gesagt: „Wenn die Begriffe nicht richtig sind, so stimmen die Worte nicht; stimmen die Worte nicht, so kommen die Werke nicht zustande.“ Wir wissen heute, dass die einfache Entgegensetzung von autokratischen Regimen und demokratischen Opposition der Tiefenstruktur der Konflikte in der arabischen Welt nicht überall gerecht wird. Diese Analyse war schon in Libyen schief, und sie versagt in eklatanter Weise bei der Beschreibung des Syrienkonflikts. Dort war am Anfang die Sehnsucht nach einer demokratischen Opposition nach Freiheit dominant. Die gibt es weiterhin. Daneben aber eben auch einen wachsenden, anderen Teil von Opposition, der sich an Brutalität und Rücksichtslosigkeit in nichts vom Regime unterscheidet. Übersehen worden ist- nach meiner Auffassung – dass der Syrienkonflikt von Anfang an eben auch ein Stellvertreterkrieg um die Vorherrschaft in der islamischen Welt war und ist, ein Ringen um die Ausweitung der sunnitischen und schiitischen Einflusssphäre. Wenn das richtig ist, dann war die Debatte um die militärische Lösung des Konflikts vor wenigen Wochen eigentlich absurd!
Die größte Bedrohung für das Assad-Regime sind nicht Bomben auf Damaskus - so jedenfalls meine Überzeugung – die größte Bedrohung ist die Überwindung der Differenzen zwischen den USA und Russland in der Syrienpolitik. Und genau dies ist mit der Initiative zur Abrüstung der syrischen Chemiewaffen gelungen. Aber das ist nicht mehr als ein Zwischenschritt! Im nächsten muss es darum gehen, die humanitären Korridore zur Versorgung der schrecklich notleidenden Zivilbevölkerung zu öffnen. Dann die Bürgerkriegsparteien mit den sie unterstützenden Nachbarstaaten an den Verhandlungstisch zu bringen. Wenn das nicht gelingt, werden ein Zerfall Syriens und die Auflösung jeder Ordnung im Mittleren Osten kaum noch zu verhindern sein.
Es gibt aber auch hoffnungsvolle Zeichen. Mit der vorläufigen Verständigung mit dem Iran sowie den bewundernswert hartnäckigen Vermittlungsbemühungen von John Kerry im Nahost-Friedensprozess öffnet sich im nächsten Jahr ein einzigartiges Fenster der Gelegenheit für die gesamte Region. Wir Europäer müssen unsere gesamte Energie daran setzen, die amerikanischen Bemühungen zu flankieren und zu unterstützen. Ich hoffe sehr, dass alle Akteure, Israel, Palästina, der Iran, aber auch die Golfstaaten und Saudi-Arabien, die einzigartige Chance ergreifen, die die derzeitige amerikanische Politik liegt. Scheitern Präsident Obama und Außenminister Kerry mit ihrer Politik, ist nicht nur die Geschichte des Nahen und Mittleren Osten reicher um eine weitere verschenkte Chance. Ich befürchte, dann passiert das, was viele schon lange prophezeien: ein langsamer strategischer Rückzug Amerikas aus der Region, mit unabsehbaren Folgen für Israel, für die gesamte Region, aber auch für uns.
Das transatlantische Bündnis ist und bleibt das Rückgrat unserer Sicherheit. Diese Feststellung klingt in diesem Haus sicher banal – bis vor kurzem. Heute muss man sich nur ein wenig in diesem Land umhören und die einschlägigen Blogs lesen, um zu sehen, dass dieser Satz nicht mehr für jeden selbstverständlich ist. Zumindest mental ist der Atlantik wieder deutlich breiter geworden, breiter vielleicht, als er es in den schwierigen Bush-Jahren war. Allen Beschwörungen der westlichen Wertegemeinschaft zum Trotz ist Vertrauen verloren gegangen. Und es wird einer großen gemeinsamen Anstrengung bedürfen, es wieder aufzubauen. Wir stehen heute vor der Frage, wie es uns gelingen kann, in einer digital vernetzten Welt und angesichts neuer Bedrohungen, die es ja gibt, Freiheit und Sicherheit wieder ins Lot zu bringen. Wir müssen unseren amerikanischen Freunden klar machen, dass nicht alles, was technisch möglich ist, auch politisch klug ist. Und da geht es um weit mehr als um die Frage, ob Spionage zwischen Freunden erlaubt ist oder nicht; es geht auch um die Frage: Wie sichern wir im 21. Jahrhundert unter völlig veränderten Kommunikationsbedingungen eigentlich den Schutz der Privatsphäre der Bürger als elementares Grundrecht? Wie verhindern wir, dass das weltweite Netz, auf denen ein Großteil unseres Wohlstandszuwachses beruht, technisch und rechtlich parzelliert wird?
Dieses Vertrauen wird nicht über Nacht wachsen, aber wir werden hart arbeiten dafür. Von Heinrich August Winkler stammt der schöne Satz: „Der Westen ist eine Wertegemeinschaft, die sich über die politischen Folgerungen streitet, ja streiten muss, die sich aus den gemeinsamen Werten ergeben.“
Meine Damen und Herren, solange wir das tun, ist mir um unsere gemeinsame Zukunft nicht bang.
Das Konzept des Westens lebt von seiner Offenheit und Diskursivität. Und deshalb halte ich nichts davon, die Welt in Freunde des Westens und seine Feinde einzuteilen. Wir brauchen kein Wiederaufleben des Blockdenkens in einer neuen, den Bedingungen der Globalisierung angepassten Gestalt. Nicht Abgrenzung ist das Gebot der Stunde, sondern Offenheit, gegründet auf Selbstbewusstsein.
Ich bin fest davon überzeugt, dass einem solchen Westen die Zukunft gehört. Wohin man auch kommt: Überall träumen die Menschen von Freiheit, von Demokratie, von einer solidarischen Gesellschaft, die die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit bewahrt. Ich habe mich, wie Sie wissen, immer für eine Stärkung der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik eingesetzt. Und ich werde das mit demselben Nachdruck auch in meiner zweiten Amtszeit tun. In der Welt von morgen müssen wir uns anders verständlich machen, unsere Werte übersetzen in andere Sprachen, in andere kulturelle Codes. Soft power ist sicher kein Ersatz für hard power. Aber ohne soft power kommt man auch mit hard power nicht sehr weit!
Von Gelassenheit und Selbstbewusstsein sollte auch unser Verhältnis zu schwierigen Partnern wie Russland und China geprägt sein. Beides sind ja keine neuen, aufstrebenden Mächte, sondern Staaten mit einer langen, stolzen Geschichte, einer unruhigen Gegenwart und – vergessen wir es nicht – einer ebenso offenen Zukunft!
Ich habe mit Blick auf Russland vor fünf Jahren eine „Modernisierungspartnerschaft“ vorgeschlagen, deren Entwicklung ich nüchtern und ohne Verklärung verfolge. Das ist ein Konzept, das Investitionen von beiden Seiten verlangt, dafür fehlt es bisher an ausreichend Mut, Kreativität und Bereitschaft. Die brauchen wir aber, wenn das Gepflanzte bessere Ernte tragen soll. Mir ist der Name des Konzepts egal, weil entscheidend ist, ob wir Formen der Kooperation entwickeln, die uns nicht zurückfallen lassen in unselige Zeiten der Sprachlosigkeit, sondern eine Zukunft bauen, in der Russland und der Westen nicht nur ökonomisch, sondern auch durch gemeinsame Grundüberzeugungen verbunden sind. Auch das ist ein langer Weg, aber wir werden ihn gehen müssen, selbst wenn Hindernisse und Fallgruben zahlreich bleiben. Auch deshalb, weil weiter östlich sich die Interessen schon sichtbar stärker im Raum stoßen. Beim letzten Asean-Gipfel in Wladiwostok erklärten sich gleich drei Staaten als pazifische Macht: China sowieso, und der selbstbewussten Konkurrenz der USA „Wir sind eine atlantische und eine pazifische Macht“ wollte Putin nicht nachstehen. Ich befürchte, wir stehen erst am Beginn von Konflikten um Einflusssphären und Kombattanten, die ihre Auswirkungen unweigerlich auf Europa haben werden.
Was das bedeutet, für unsere Politik gegenüber Russland, gegenüber Zentralasien, aber auch gegenüber diesem ganzen riesigen Kontinent Asien, werden wir in den nächsten Jahren neu ausbuchstabieren müssen. Die Welt wird uns nicht den Gefallen tun, dieselbe zu bleiben, wie wir vor Jahren kennengelernt haben. „Bewährte Sprache“ müssen wir ersetzen durch Neugier und den Ehrgeiz unsere Rolle gerade in Asien neu zu definieren.
Auch dazu gehört Mut. Den werden wir brauchen an vielen Stellen! Denn uns stehen schwierige Zeiten bevor. Was ich an dem großen Geburtstagskind Willy Brandt immer am meisten bewundert habe, ist dieser Mut, jenseits ausgetretener Pfade zu denken. Zwänge anzuerkennen, Bündnistreue nicht in Frage zu stellen, aber Eigenständigkeit des Denkens zu bewahren. Und dort wo immer es die eigene Überzeugung gebietet, auch den politischen und journalistischen Mainstream gegen den Strich zu bürsten. Das ist schwerer geworden in einer außenpolitisch stärker formatierten Öffentlichkeit, aber die Freiheit müssen wir uns nehmen, wenn wir die Qualität unserer Arbeit nicht selbst in Frage stellen wollen.
Ich habe nichts gegen klare Sprache und wortstarke Statements – ganz im Gegenteil – aber nur dann, wenn sie sich auf kluge Analyse gründet. Genau das dürfen wir bei noch so starkem medialen Druck nicht aufgeben: genau hinzusehen, Gründe und Entwicklung von Konflikten nachzuverfolgen, Schuldige und Beschuldigte auseinander zu halten, Konfliktdynamiken einzudämmen, Grundlagen für längerfristige Lösungen zu entwickeln. Genau das ist die Substanz von Außenpolitik und Diplomatie!
Willy Brandt hat einmal gegen manche Unwissenheit und Ignoranz gesagt: „Diplomatie ist Generalstabsarbeit für den Frieden.“
Meine Damen und Herren, diese Arbeit zu leisten, dafür sollte uns keine Anstrengung zu groß sein. Sie alle werden teilhaben an dieser vornehmen Aufgabe für unser Land. Und ich freue mich, dass wir es die nächsten Jahre wieder gemeinsam tun können.