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Rede von Außenminister Guido Westerwelle vor der 68. Generalversammlung der Vereinten Nationen am 28. September 2013, New York

28.09.2013 - Rede

--- Es gilt das gesprochene Wort ---


Herr Präsident,
Exzellenzen,
meine Damen und Herren,

vor genau 40 Jahren traten die zwei deutschen Staaten den Vereinten Nationen bei. Für uns Deutsche war dies die volle Rückkehr in die Gemeinschaft der Völker. Deutschland unterstützt die Vereinten Nationen als Herzstück einer Weltordnung, die auf Zusammenarbeit, friedlichen Ausgleich und kooperative Lösungen setzt.

Die Welt hat sich seither dramatisch verändert. Neue wirtschaftliche und auch politische Kraftzentren entstehen.

Deutschland hat in den letzten Jahren mit den neuen Gestaltungsmächten in Asien, in Lateinamerika und in Afrika neue strategische Partnerschaften begründet.

Wir sprechen heute in einer anderen Halle als sonst. Die Vereinten Nationen werden renoviert. Die Renovierung der Vereinten Nationen darf sich nicht allein auf die Gebäude beschränken. Die Vereinten Nationen müssen die Welt widerspiegeln, wie sie ist, nicht wie sie war. Nur so sind sie den Herausforderungen unserer Zeit gewachsen.

Ein Sicherheitsrat ohne ständigen Sitz für Afrika und für Lateinamerika, das ist nicht die Welt von heute. Ein Sicherheitsrat, in dem das aufstrebende bevölkerungsreiche Asien nur mit einem einzigen ständigen Sitz vertreten ist, das ist nicht die Welt von heute. Deutschland ist mit seinen Partnern Japan, Indien und Brasilien bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen. Im Kern geht es um einen Stärkung der Vereinten Nationen. Die Autorität der Vereinten Nationen hängt von ihrer Repräsentativität ab.

Wir setzen uns für eine Reform der Vereinten Nationen ein, damit ihre Kraft zur Konsensbildung, zur globalen Regelsetzung und ihre Handlungsfähigkeit in Krisen und Konflikten spürbar gestärkt wird. Das ist nicht nur eine Forderung an die Vereinten Nationen, sondern auch ein Anspruch an jeden einzelnen Mitgliedstaat. Nur mit Bereitschaft zum Kompromiss und dem Willen zum gemeinsamen Handeln können wir die Vereinten Nationen stark machen. Deutschland bleibt den Vereinten Nationen verpflichtet. Starke Vereinte Nationen sind deutsches Interesse.

Im Zeitalter der Globalisierung werden unsere kulturellen Unterschiede und vielfältigen Traditionen nicht verschwinden. Aber nicht nur die Märkte der Welt sind immer enger vernetzt, auch die Erwartungen, Hoffnungen und Ideen der Menschen globalisieren sich.

Die Entwicklungen in der arabischen Welt haben uns vor Augen geführt, dass die Stabilität eines Landes nicht zuerst von der Stabilität einer Regierung, sondern von der Stabilität einer Gesellschaft abhängt.

Die Achtung der individuellen Menschenrechte, die Überwindung von Willkür durch Rechtsstaatlichkeit, und breite wirtschaftliche, soziale und politische Teilhabe der Menschen sind die besten Garantien für den inneren Zusammenhalt einer Gesellschaft.

Deutschland setzt sich für demokratischen Wandel und für die Achtung der Menschen- und Bürgerrechte nicht aus Belehrung ein, sondern aus Erfahrung. Aus der leidvollen Erfahrung unserer eigenen Geschichte.

In Syrien sind die Menschen auf die Straße gegangen, um gegen ein repressives Regime zu protestieren. Die Antwort des Regimes ist seit mehr als zwei Jahren brutale Gewalt, die unendlich viel Tod, Leid und Zerstörung über das syrische Volk gebracht hat und inzwischen die Stabilität der gesamten Region bedroht.

Der von den Vereinten Nationen festgestellte Einsatz von Chemiewaffen ist ein zivilisatorisches Verbrechen.

Er hat in seiner schrecklichen Dimension weit über Syrien hinaus Bedeutung. Alle uns zugänglichen Fakten zeigen, dass für den Einsatz der Chemiewaffen das Regime die Verantwortung trägt.
Der Einsatz von chemischen Waffen darf nicht straffrei bleiben. Das schulden wir nicht nur den Opfern in Syrien, sondern auch künftigen Generationen.

Die Verantwortlichen für diesen Einsatz müssen vor dem Internationalen Strafgerichtshof zur Verantwortung gezogen werden. Er muss seine unabhängigen Untersuchungen endlich beginnen können.

Wir begrüßen die Einigung im Sicherheitsrat und in der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen in Den Haag.
Diese Waffen müssen nach einem fest vereinbarten Zeitplan vollständig vernichtet werden. Deutschland ist bereit, bei der Vernichtung dieser Chemiewaffen zu helfen, finanziell und technisch. Eine Welt ohne Massenvernichtungswaffen wird eine bessere Welt sein.

Wir müssen die Chancen nutzen, die die Einigung über die Chemiewaffenvernichtung für einen politischen Prozess bietet. Denn noch immer sterben täglich Menschen in Syrien durch konventionelle Waffen. Aber es wird in Syrien keine militärische Lösung geben. Nur eine politische Lösung wird dauerhaften Frieden nach Syrien bringen.
Dazu zählt eine unverzügliche Waffenruhe. Ich begrüße, dass es endlich einen Zeitplan für eine mögliche Friedenskonferenz gibt, der aber auch nach der gestrigen Entscheidung im Sicherheitsrat noch präzisiert werden muss. Nur mit einem substanziellen politischen Prozess lässt sich auch der Destabilisierung der gesamten Region entgegenwirken.

Deutschland hat bis heute über 420 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um die schlimmste Not der Menschen in Syrien zu lindern. Aber trotz aller Hilfe von außen sind Millionen Syrer auf der Flucht. Immer mehr Menschen sind akut von Hunger und sehr bald auch von Kälte bedroht.
Es fehlt ihnen an der notwendigsten ärztlichen Versorgung. Wir müssen alle Möglichkeiten nutzen, um den humanitären Zugang zur notleidenden Bevölkerung so rasch wie möglich zu verbessern. Inmitten all der Zerstörung und des Hasses sind die Vereinten Nationen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Gesicht der Mitmenschlichkeit und für viele Syrer die einzige Hoffnung. Diese Leistung möchte ich ausdrücklich würdigen.

Die syrische Tragödie unterstreicht die herausragende Bedeutung, die der Abrüstung von Massenvernichtungswaffen und der Stärkung der Nichtverbreitungsregime zukommt.
Eine Welt frei von Massenvernichtungswaffen ist die große Zukunftsaufgabe unserer Generation. Abrüstung ist eine Schicksalsfrage der Menschheit.

Der Iran muss die Zweifel der internationalen Gemeinschaft an der ausschließlich friedlichen Natur des iranischen Nuklearprogramms ausräumen. Wir begrüßen, dass Iran sich dazu in dieser Woche bereit erklärt hat. Die Gespräche mit der iranischen Regierung waren ermutigend. Sie öffnen ein Fenster der Gelegenheit. Jetzt kommt es darauf an, Vertrauen neu aufzubauen.

Deutschland ist bereit, die Verhandlungen konstruktiv zu führen. Den neuen Worten aus Teheran müssen aber auch konkrete Taten folgen. Nicht irgendwann, sondern jetzt. Aber ich wiederhole: Ein neuer Anfang ist gemacht.

Wir begrüßen das große Engagement von Präsident Obama und Außenminister Kerry, den Verhandlungen zwischen Israel und der palästinensischen Führung einen neuen Impuls zu geben.

Ministerpräsident Netanyahu und Präsident Abbas verdienen unseren Respekt für ihren Mut, diesen Weg gemeinsam einzuschlagen. Sie haben unsere volle Unterstützung, um ihn gemeinsam bis zu einem ausgehandelten Abkommen zu gehen. Nur eine Zwei-Staaten-Lösung als Ergebnis von Verhandlungen kann die berechtigten Interessen beider Seiten zu einem friedlichen Ausgleich bringen.

Diese Woche in New York war eine ermutigende Woche. Ich begrüße, dass nicht militärische Lösungen im Vordergrund standen, sondern das Ringen um politische und diplomatische Lösungen. Auf diesem Weg muss die Weltgemeinschaft bleiben.

Jenseits der Krisendiplomatie sind die Vereinten Nationen der wichtigste Ort, um der Staatengemeinschaft verbindliche Ziele zu setzen. Die Generalversammlung hat sich vor wenigen Tagen auf die nächsten Schritte geeinigt, um eine neue Agenda für nachhaltige Entwicklung für die Zeit nach 2015 zu erarbeiten. Deutschland will hierzu mit seinen Erfahrungen bei der Verbindung von wirtschaftlichem Wohlstand, politischer Teilhabe und nachhaltigem Wirtschaften beitragen.

Armutsbekämpfung und Nachhaltigkeit sind nicht nur gesellschaftliche, sie sind auch außenpolitische Schlüsselthemen. Bei der Formulierung der künftigen Agenda müssen Menschenrechtsschutz und gute Regierungsführung stärker als bisher berücksichtigt werden. Die neue Agenda muss alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit und damit wirtschaftliche, soziale und umweltpolitische Aspekte einschließen.
Mit einem solchen umfassenden Ansatz können wir auch in vielen Ländern die fragile Staatlichkeit stärken und Rückzugsorte für Terroristen bekämpfen.

Gesellschaftliche Stabilität ist der beste Schutz gegen Radikalisierung und Extremismus.

Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik. Sie setzt auf Krisenprävention. Wir Deutsche nehmen unsere Verantwortung für die internationale Friedenssicherung wahr. Wir setzen auf persönliche und gesellschaftliche Entwicklung.
Wir setzen auf die Stärkung der Zivilgesellschaft. Wir wollen beitragen zu einem weltweiten Prozess, in dem wir voneinander lernen und zwischen Nord und Süd, Ost und West gemeinsame Lösungen entwickeln.

Für Frieden und Ausgleich wird Deutschland sein wirtschaftliches Gewicht und seine ganze politische Kraft auch in Zukunft einsetzen.

Das digitale Zeitalter bringt völlig neue Chancen und auch Herausforderungen.

Wir brauchen ein Internet, in dem Freiheit, Sicherheit und der Schutz der Privatsphäre zu einem angemessenen Ausgleich gebracht werden.

So wie wir die internationalen Finanzströme regulieren müssen, um weltweite Krisen zu verhindern, so brauchen wir auch für die weltweiten Datenströme verbindliche Regeln und Standards. Deutschland hat deshalb eine Initiative zum Schutz des Rechtes auf Privatsphäre im digitalen Zeitalter im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen eingebracht.

Wer das Internet nutzt, sollte sicher sein können, dass seine Rechte weltweit gewahrt werden, gegenüber privaten Unternehmen genauso wie gegenüber Staaten. Es darf nicht alles geschehen, was technisch möglich ist. Nicht alles, was technisch möglich ist, ist auch legitim.

Deutschland bleibt fest verankert in Europa. Europa ist eine Kultur- und eine Schicksalsgemeinschaft.

Der enge Zusammenschluss der Völker Europas ist und bleibt die Antwort auf unsere Geschichte und auf unsere Zukunft in einer Welt des Wandels.
Deutsche Außenpolitik ist fest eingebettet in die europäische Außenpolitik. Europa wird sein Gewicht, seinen Einfluss und seine Ressourcen auch in Zukunft für Frieden und Gerechtigkeit, für Entwicklung und Zusammenarbeit, für Klimaschutz und Abrüstung in der Welt in die Waagschale werfen.

Dieses ist Deutschlands doppelte Verpflichtung: Ein geeintes und starkes Europa in der Welt, und starke und handlungsfähige Vereinte Nationen für die Welt.

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