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„Datenschutz muss ein Menschenrecht werden“

31.07.2013 - Interview

Außenminister Guido Westerwelle im Interview zu den Umbrüchen in der arabischen Welt, zur Spähaffäre um die National Security Agency, zu Papst Franziskus und zur europäischen Schuldenkrise. Erschienen in der Rheinischen Post vom 31.07.2013.

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Was hat Ihre bisherige Amtszeit am stärksten geprägt?

Außenpolitisch Europa und die Revolutionen in der arabischen Welt, vor allem der historische Moment auf dem Tahrirplatz in Kairo. Die Sehnsucht nach Freiheit, die Hoffnung, die Aufbruchstimmung der jungen Menschen dort werde ich nie vergessen. Übrigens werde ich auch nicht vergessen, wie Deutschland mit Sprechchören gefeiert wurde. [...]

Zu den blutigen Konflikten in Syrien oder Ägypten: Sollte sich Deutschland vielleicht einfach raushalten, wenn sich andere Völker die Köpfe einschlagen?

Das wäre eine kurzsichtige und gefährliche Betrachtungsweise. Kein Land ist so abhängig von der Welt wie das rohstoffarme, aber exportabhängige Deutschland. Wir leben nicht von Rohstoffen unter unseren Füßen, sondern allein vom Grips zwischen unseren Ohren. Damit haben wir großartige Produkte entwickelt, die wir in der Welt verkaufen möchten. Wenn ganze Regionen instabil werden oder gar in Kriege hinein geraten, dann gefährdet das auch unsere nationalen Interessen.

[...]

Wie hart sollen wir mit den Amerikanern umgehen als Folge der NSA-Spähaktionen?

Wir drängen auf Aufklärung und erwarten, dass sich die Amerikaner in Deutschland an deutsches Recht halten. Wir sind bisher mit dem, was von den USA an Aufklärungsarbeit geleistet wurde, noch nicht zufrieden.

[...]

Was lehrt uns die Spähaffäre?

Dass Datenschutz ein Menschenrecht werden muss. Die völkerrechtlichen Regeln zum Schutz der Privatsphäre stammen aus der Zeit um die Mitte der 1960er Jahre. Ich will gemeinsam mit einigen europäischen Außenminister-Kollegen eine internationale Initiative für eine Vertragsstaaten-Konferenz ergreifen. Dadurch sollte der Datenschutz als Menschenrecht auch international verankert werden, in Zeiten von neuen Technologien, die Mitte der sechziger Jahre noch niemand erahnen konnte.

Was halten Sie von Franziskus?

Er ist neu in seiner Berufung. Seine Hinwendung zu Ländern, die vor großen sozialen Herausforderungen stehen, ist sehr klug und bedenkenswert. Seine jüngsten Bemerkungen zur Homosexualität lassen aufhorchen. Vielleicht setzt das eine Diskussion in Gang. Ich wünschte mir, dass auch die Rolle der Frau in der katholischen Kirche überdacht wird.

Teilen Sie die Einschätzung „Scheitert der Euro, scheitert Europa“?

Wenn wir die gemeinsame Währung verlieren, gerät Europa auf die schiefe Bahn. Dann werden die Fliehkräfte, die derzeit so stark wie nie auf Europa einwirken, obsiegen. Europa befindet sich derzeit in seiner größten Bewährungsprobe.

Viele Bürger treibt die Sorge um, dass Deutschland immer die Zeche zahlt.

Wenn Europa und die gemeinsame Währung zerfallen, würden wir die größten Leidtragenden sein und schnell wieder bei fünf bis sechs Millionen Arbeitslosen landen. Ein Großteil unserer Exporte geht in die EU. Wir haben gerade erst begonnen, Europa auf den Weg der soliden Finanzen zurückzubringen. […].

Gibt es einen Punkt, an dem es heißt: Bis hierher und nicht weiter?

Die Bundesregierung hat eine unbegrenzte gesamtschuldnerische Haftung für europäische Schulden erfolgreich abgewehrt. Jetzt muss europaweit das Subsidiaritätsprinzip wiederbelebt werden. Europa soll nur das regeln dürfen, was es regeln muss. Es soll sich aber nicht in Angelegenheiten einmischen, die von den Nationalstaaten viel besser erledigt werden können. Es ist bestimmt nicht die Aufgabe von Brüssel, einem mittelständischen Betrieb in Westfalen eine Frauenquote vorzuschreiben.

Interview: D. Hübel und R. Michels. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Rheinischen Post.
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