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Außenminister Westerwelle: Keine Erosion bei Europas Werten!

23.05.2013 - Interview

Gastbeitrag von Außenminister Guido Westerwelle anlässlich der deutsch-niederländischen Regierungskonsultationen. Erschienen am 23.05.2013 in der Rheinischen Post.

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Die europäische Einigung wurzelt in der Erkenntnis, dass Demokratie und Toleranz, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit der Schlüssel für ein Zusammenleben in Frieden, Freiheit und Wohlstand sind.

Europa war immer mehr als ein Binnenmarkt, mehr als eine gemeinsame Währung. Europa ist vor allem eine Kultur- und Wertegemeinschaft. Die gemeinsamen Werte sind das Erbe jahrtausendalter, gemeinsamer Geschichte. Sie sind das Fundament, auf dem das europäische Haus steht.

Heute befindet sich Europa in schwerer See. Durch die Staatsschuldenkrise sind die Fliehkräfte auf unserem Kontinent gewachsen. Das Vertrauen vieler Menschen in das Projekt Europa ist gesunken. Besonders alarmierend ist, dass heute verschiedenen Orts sogar die gemeinsame Wertebasis infrage gestellt wird.

Vertrauen entsteht durch Glaubwürdigkeit. Und glaubwürdig müssen wir zuallererst bei der Bewahrung des Wesenskerns von Europa sein. Bei den Grundwerten dürfen wir keine Erosion tolerieren. Nur wenn sie geschützt und intakt bleiben, kann Europa weiter Inspiration und Vorbild sein, werden wir junge Menschen weiter für den Europagedanken begeistern können. Auch für eine starke Außenpolitik ist ein glaubwürdiger Wertekompass unabdingbare Voraussetzung.

Grundwerteschutz ist nicht nur eine Frage der Überzeugung, die EU braucht dafür auch wirksame Instrumente. Doch ist seit langem evident, dass hier eine Lücke klafft. Die sogenannten Vertragsverletzungsverfahren sind häufig zu technisch oder greifen zu kurz.

Umgekehrt besteht mit dem Artikel 7 des EU-Vertrages zwar die Möglichkeit, schweres Geschütz aufzufahren wie die Aussetzung von Stimmrechten, doch wird eine Anwendung durch kaum überwindbare politische Hürden verstellt.

Auf Initiative Dänemarks, Finnlands, der Niederlande und Deutschlands haben die Außenminister der EU eine Debatte darüber geführt, ob und wie wirksamere und flexiblere Instrumente geschaffen werden können, um die Grundwerte zu schützen.

Aus meiner Sicht sollte dazu ein Element der Frühwarnung gehören, das rasch und möglichst frei von politischen Opportunitäten in Gang gesetzt werden kann. Diese Aufgabe könnte die Europäische Kommission übernehmen, die als Hüterin der Verträge auch über die dort niedergelegten Grundwerte wacht.

Sie sollte im Falle einer begründeten Gefährdung grundlegender Werte das Thema auf die Brüsseler Tagesordnung setzen können. Anschließend müsste im Dialog mit dem betreffenden Mitgliedsstaat Abhilfe gefunden werden.

Die Diskussion im Kreis der Außenminister hat gezeigt, dass die große Mehrheit der Mitgliedstaaten einen verbesserten Grundwerteschutz befürwortet und einen Anstoß von der Kommission erwartet. Dabei waren wir uns einig: Kein Land darf aufgrund seiner Größe oder Geographie benachteiligt werden. Eine Änderung der EU-Verträge steht jetzt nicht zur Debatte.

Wir sollten jetzt unverzüglich die Arbeiten an einem neuen Mechanismus beginnen. Es ist deshalb wichtig, dass die Europäische Kommission jetzt den Ball aufnimmt und konkrete Vorschläge vorlegt. Ich hoffe, dass dies nun sehr bald geschieht. Die drängende Reform sollte auch nicht durch eine Diskussion über Vertragsänderungen überfrachtet und dadurch weit in die Zukunft verschoben werden.

Wie es uns gemeinsam gelingt, unsere Wertebasis intakt zu halten, ist ein Gradmesser für die politische Reife und das gegenseitige Vertrauen in Europa. Diese Aufgabe hat aus meiner Sicht höchste Priorität.

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