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„Deutschland will das europäische Haus weiterbauen“

23.02.2013 - Interview

Außenminister Guido Westerwelle im Interview mit der Passauer Neuen Presse (23.02.2013). Themen: Europäische Integration, Parlamentswahlen in Italien, Türkei-Reise der Bundeskanzlerin, deutsches Engagement in Mali, Bürgerkrieg in Syrien, Arabischer Frühling und Berlin-Besuch US-Außenminister John Kerrys.

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Der Bundespräsident beklagt allgemeine Ungeduld, Erschöpfung und Frustration angesichts des gegenwärtigen Zustands Europas. Joachim Gauck fordert Reformen und eine neue europäische Kraftanstrengung. Wo sehen Sie Handlungsbedarf?

Der Bundespräsident hat ein klares Bekenntnis dafür abgelegt, dass wir die europäische Integration fortsetzen. Das ist ein Signal an die Menschen unseres Landes und an die Länder Europas: Deutschland steht zu Europa und will das europäische Haus weiterbauen. Denn Europa ist für uns nicht nur die Antwort auf die Schrecken der Vergangenheit, sondern vor allem auf die Herausforderungen der Zukunft. Ich begrüße auch die klaren Worte des Herrn Bundespräsidenten an unsere europäischen Partner, dass Partnerschaft in Europa für Deutschland immer eine Partnerschaft von Respekt und auf gleicher Höhe bedeutet.

Gauck vermisst eine europäische Öffentlichkeit und fordert dazu auf, Sprachen zu lernen. Wie kann das Europa der Bürger stärker zusammenwachsen?

Europäischer Patriotismus ist nicht nur das Wort des Tages, sondern auch das Gebot der Stunde. Aus meiner Sicht wäre es zum Beispiel sinnvoll, wenn die europäischen Parteienfamilien schon bei der nächsten Europawahl mit gemeinsamen europaweiten Spitzenkandidaten antreten würden, die dann auch in ganz Europa für ihre Politik werben müssten. Mittel- und langfristig wünsche ich mir auch, dass ein europäischer Präsident in direkter europaweiter Wahl gewählt wird.

Europa auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft: Bundespräsident Joachim Gauck hat in seiner Berliner Rede seine Vision für die künftige Entwicklung der EU beschrieben. Ein wichtiger Impuls?

Es war eine glückliche Entscheidung des Bundespräsidenten, Europa zum Schwerpunkt seiner zentralen Rede in diesem Jahr zu machen. Europa ist mehr als die Antwort auf das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte. Wir müssen Europa neu begründen. Es ist eine Schicksals- und Kulturgemeinschaft, die sich in der Welt der Globalisierung mit eigenen Werten behaupten muss. Wir Europäer sind Kinder der Aufklärung, mit Menschenwürde, Demokratie, sozialer Marktwirtschaft und Rechtsstaatlichkeit.

Wird es eines Tages die Vereinigten Staaten von Europa geben?

Europa ist nicht nur der Binnenmarkt und die gemeinsame Währung. Wir sollten es zu einer echten politischen Union entwickeln. Aber wir sollten auch ein Europa der Heimatländer bleiben. Wir können nur gemeinsam in der Welt des 21. Jahrhunderts bestehen. Deutschland ist in Europa groß, in der Welt aber relativ klein. Es wird der deutschen Wirtschaft nicht auf Dauer gut gehen, wenn es Europa auf Dauer schlecht geht.

Haben wir in der Eurokrise inzwischen das Schlimmste hinter uns?

Ich hoffe, dass wir aus dem tiefsten Tal heraus sind. Aber über den Berg sind wir noch lange nicht. Wir sehen Licht am Horizont, aber auch viele dunkle Wolken. Deshalb kommt es darauf an, die Ziele, die wir uns gemeinsam gesetzt haben, politisch nicht gleich wieder in Frage zu stellen. Die Reformen in den Mitgliedsstaaten müssen weitergehen. Die erfreulichen Veränderungen in Portugal und Irland zeigen, dass die Strukturreformen positiv wirken. Die Defizitziele, die wir uns gemeinsam gesetzt haben, dürfen nicht in Frage gestellt werden.

Kann sich Zypern, das als Schwarzgeldparadies gilt, begründete Hoffnungen auf finanzielle Hilfen Europas machen?

Zypern hat Anspruch auf unsere Solidarität. Aber dafür muss es auch Gegenleistungen bringen. Die neue Regierung in Zypern muss handeln und die Reformen endlich umsetzen. Es wird vor allem Zeit für mehr Transparenz im Bankensektor.

Schicksalswahlen in Italien: Wäre ein Machtverlust der Regierung von Mario Monti und ein Wahlerfolg von Silvio Berlusconi ein Schaden für Europa?

Wir sind der Überzeugung, dass der proeuropäische Kurs und der Weg der Reformen in Italien fortgesetzt werden müssen. Daran muss sich jede neue Regierung messen lassen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel reist nach Ankara und besucht auch die deutschen Truppen an der türkisch-syrischen Grenze. Sollte die Türkei Vollmitglied der Europäischen Union werden, oder würde das die Gemeinschaft überfordern?

Die Reise der Bundeskanzlerin kommt zur richtigen Zeit und ist ein wichtiges Signal. Der Besuch unserer Soldaten an der türkisch-syrischen Grenze ist ebenfalls ein wichtiges Zeichen der Solidarität.

Und die EU-Mitgliedschaft der Türkei?

Die Frage, ob die Türkei eines Tages Mitglied der Europäischen Union wird, stellt sich heute doch gar nicht, sondern erst am Ende unserer Verhandlungen. Wichtig ist mir: Wir sollten mit der Türkei fair und respektvoll umgehen. Es muss wieder neue Bewegung in den Verhandlungsprozess kommen. Viel zu lange schon sind keine Kapitel im Beitrittsprozess mehr eröffnet worden. Einige meiner Amtskollegen und ich arbeiten daran, dass noch im ersten Halbjahr eine Öffnung von bisher blockierten Kapiteln erfolgt. Seit Anfang des Jahres gibt es auch Bewegung in den Verhandlungen. Wenn wir nicht achtgeben, wird die Stunde kommen, in der Europa mehr Interesse an der Türkei, als die Türkei Interesse an Europa haben wird.

Thema Mali: Erst hat die Bundeswehr nur einige wenige Flugzeuge zur Verfügung gestellt – jetzt werden mehr als 300 deutsche Soldaten entsandt. Gerät Deutschland in ein militärisches Abenteuer?

Nein. Wir trainieren die Afrikaner, damit sie ihre Aufgaben für die Stabilisierung Malis wahrnehmen können. Die EU hat diese Ausbildungsmission sorgfältig vorbereitet. Wichtig ist, dass neben der militärischen Stabilisierung auch der politische Prozess glaubwürdig umgesetzt wird und Mali über Wahlen zur Demokratie zurückkehrt.

Werden Deutschlands Sicherheit und Freiheit tatsächlich auch in Timbuktu verteidigt?

Wir müssen uns wappnen, wo immer der Terror seine Burgen bauen mag. Der Norden Malis darf nicht zu einem sicheren Hafen für den internationalen Terrorismus werden. Sonst wäre auch unsere Sicherheit in Europa in Gefahr. Deutschland muss nicht nur nach innen, sondern auch außen hin eine wehrhafte Demokratie sein.

Droht Mali nicht allmählich zu einem zweiten Afghanistan zu werden?

In Afghanistan geht es um einen Kampfeinsatz mit mehreren Tausend deutschen Soldaten. Das ist mit unserem Beitrag jetzt in Afrika nicht vergleichbar. Wir stellen in Mali von Beginn an besonders den politischen Prozess in den Mittelpunkt unserer Bemühungen.

Mitunter hört man die Kritik, Sie seien zu zurückhaltend, was den Einsatz militärischer Mittel angehe - zu sehr Taube und zu wenig Falke. Wie reagieren Sie darauf?

Ich mache, was ich für notwendig halte. Die Kultur der militärische Zurückhaltung steht nicht nur in der besten Tradition liberaler Außenpolitik, sondern ist auch in der Präambel unseres Grundgesetzes angelegt. Deutschland nimmt international viel Verantwortung wahr. Derzeit sind rund 6000 deutsche Soldaten überall auf der Welt im Einsatz. Militärische Einsätze können nur das letzte Mittel sein. Ich setze immer erst auf politische Lösungen und diplomatische Bemühungen.

Zeigt nicht der Fall Syriens und der Bürgerkrieg dort das Versagen der Diplomatie?

Die Lage in Syrien ist bestürzend. Wir haben die Haltung Russlands und Chinas im Weltsicherheitsrat kritisiert. Wir müssen den Menschen in Syrien helfen. Gleichzeitig muss ein Flächenbrand in der Region verhindert werden. Die Gefahr ist sehr groß, dass dieser Flächenbrand von Syrien aus auf die Nachbarländer übergreift – auf Israel, auf Jordanien, auf Irak, auf den Libanon und die Türkei.

Was halten Sie von Forderungen, den Aufständischen mit Waffen zu helfen?

Die Europäische Union hat das Waffenembargo gerade erst verlängert. Das ist richtig. Eine Aufhebung würde nur zu einem Aufrüstungswettlauf und zu noch mehr Gewalt und Eskalation führen. Wir sollten aber der Opposition helfen, sich besser zu schützen und den Wiederaufbau voranzutreiben.

Zwei Jahre nach dem Beginn des Arabischen Frühlings drohen andauerndes Chaos und Instabilität nicht nur in Ägypten und Libyen, sondern auch in Tunesien. Frisst die Revolution jetzt ihre Kinder?

Ich habe schon früh vor überzogenen Erwartungen gewarnt. Wir brauchen einen langen Atem in der arabischen Welt. Die Lage ist sehr unterschiedlich: Marokko und Jordanien machen Fortschritte. Ich hoffe, dass Tunesien seine Chancen nutzt und den Weg in Richtung parlamentarische Demokratie unbeirrt fortsetzt. Und es wäre ein Fehler, Ägypten abzuschreiben. Wir sollten den sicher noch schwierigen Weg des Landes dort nach Kräften unterstützen. Ägypten bleibt das Schlüsselland der arabischen Welt.

Der neue US-Außenminister John Kerry besucht in der nächsten Woche nach Berlin. Welche Impulse erhoffen Sie sich?

Dass der amerikanische Außenminister John Kerry so früh nach seinem Amtsantritt nach Europa reist, ist ein wichtiges transatlantisches Signal. Wir freuen uns auf seinen Besuch. Das gibt all denen Unrecht, die gemeint haben, Europa sei für die USA nicht mehr wichtig.

Wie schnell kann der Durchbruch für das geplante europäisch-amerikanische Freihandelsabkommen gelingen?

Wir sind jetzt endlich so weit, dass der amerikanische Präsident Barack Obama, sein Vizepräsident und der Außenminister die Pläne einer Freihandelszone mit Europa mit Verve auf die politische Tagesordnung gesetzt haben. Ich rechne damit, dass bis zum Sommer diesen Jahres die Verhandlungen zwischen Europa und den USA beginnen können. Einen erfolgreichen Abschluss noch während der Präsidentschaft von Barack Obama halte ich für realistisch. Natürlich gibt es hier und da schwierige Fragen: Vom Agrarsektor bis zu technischen Standards.

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Fragen: Andreas Herholz und Rasmus Buchsteiner. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Passauer Neuen Presse.

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