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Außenminister Westerwelle zur Europa-Rede des britischen Premierministers Cameron

28.01.2013 - Interview

Außenminister Westerwelle zur Europa-Rede des britischen Premierministers

Beitrag von Außenminister Guido Westerwelle zur Europa-Rede des britischen Premierministers David Cameron. Erschienen in der Welt vom 28.01.2013.

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Ich will mit dem Positiven beginnen. Es stimmt: Wir brauchen mehr Wettbewerbsfähigkeit. Es stimmt: Wir brauchen mehr Subsidiarität. Es stimmt: Europa muss demokratischer und transparenter werden. Und es stimmt auch: Europa ist noch nicht gut genug.

Wenn China weiter in einem Tempo wächst, dass es die Wirtschaftskraft Griechenlands alle zwölf Wochen zusätzlich erzeugt oder die von Spanien alle zwölf Monate, dann ist das für ganz Europa ein unüberhörbarer Weckruf, sich besser aufzustellen. Wir teilen den britischen Wunsch nach einem engagierten Ausbau unseres europäischen Binnenmarkts und einem ehrgeizigen neuen Anlauf für mehr Freihandel. Ein transatlantischer Markt könnte gewaltige Wachstumskräfte freisetzen, von denen wir alle profitieren würden.

Auch wir sind für Reformen. Und auch wir sagen: Es geht nicht nur um mehr Europa. Es geht vor allem um ein besseres Europa. Die Frage ist nur, wie man das erreicht. Wir sind deshalb sehr gespannt, was Großbritannien konkret vorschlagen wird. Zwischen London und Berlin wird es Punkte geben, die wir ähnlich sehen, und solche, die mit uns nicht gehen.

Die Regeln der EU müssen für alle gelten, aber die EU muss nicht alles regeln – sondern nur das, was nicht in Großbritannien, Frankreich oder Polen passgenauer gelöst werden kann. Mehr Europa brauchen wir dort, wo es einen europäischen Mehrwert gibt. Aber wo das nicht der Fall ist, wo die kulturelle oder gesellschaftliche Vielfalt Europas besonders ausgeprägt ist, sind zentrale Vorgaben überflüssig. Statt einer Frauenquote in Aufsichtsräten sollte sich Brüssel beispielsweise besser um Geldwäsche und Bankentransparenz kümmern. Ersteres können die Mitgliedsstaaten national selber lösen, letzteres wird nur länderübergreifend gelingen. Wir sollten uns auf eine klare Richtschnur verständigen, in welchen Bereichen Brüssel zu Recht am Zug ist und wo umgekehrt ein höheres Maß an Zurückhaltung klüger wäre.

Selbstbeschränkung ist eines, eine weitreichende Rückholung von Kompetenzen aber wäre etwas völlig anderes. Ich befürchte, dass wir die Geister, die wir wie Goethes Zauberlehrling damit rufen würden, nicht mehr beherrschen könnten. Mit anderen Worten: Man hat das europäische Haus mit der Axt der Kritik schnell eingerissen. Es danach wieder aufzubauen ist dagegen ungleich schwieriger. David Cameron hat recht: Verließe Großbritannien die EU, würde es keine Rückfahrkarte mehr geben.

Wir dürfen nicht aufs Spiel setzen, was wir in mehr als einem halben Jahrhundert an Gemeinsamkeiten erreicht haben. Das Europa von heute ist das Ergebnis jahrzehntelanger mühseliger Kompromissarbeit. Übrigens einschließlich unserer britischen Partner, die jeden Entwicklungsschritt der EU mitgestaltet und mitverantwortet haben. Die Gesamtheit europäischer Vereinbarungen, der sogenannte Acquis, mag nicht jedem in allen Teilen gefallen, aber das ist die Natur jedes guten Kompromisses. Für alle aber muss gelten: Wer Rechte hat, hat auch Pflichten. Keiner kann sich nur das herausnehmen, was ihm besonders gefällt. Der Ansatz: „Entweder Ihr macht, was ich sage, oder ich gehe!“ funktioniert nicht im Privaten, er funktioniert auch nicht in einer Staatengemeinschaft.

Nach unserer festen Überzeugung kann die Lehre aus Finanzkrise und Globalisierung nur lauten: mehr und nicht weniger Europa. Ein wettbewerbsfähigeres Europa muss heißen: Deregulierung und Abbau exzessiver Bürokratie. Andernorts müssen wir aber die europäischen Stellschrauben anziehen, etwa um notwendige Strukturreformen in den Mitgliedsstaaten einfordern und umsetzen zu können. Es geht nicht anders: Wir müssen die Wirtschafts- und Währungsunion stärker machen. Denn es darf uns nie mehr passieren, dass unsolides Haushalten einzelner Staaten ganz Europa in eine Schieflage bringen kann. Deshalb brauchen wir auch hier starke Durchgriffsrechte in Brüssel. Die Forderung nach mehr Demokratie darf sich auch nicht allein auf die Stärkung nationaler parlamentarischer Kontrolle beschränken, sondern muss auch das europäische Parlament einschließen.

Deutschland will wie Großbritannien ein besseres, ein wettbewerbsfähigeres und demokratischeres Europa. An vielen Punkten ziehen wir an einem Strang, an anderen ist das nicht der Fall. Eines aber wird für Deutschland nicht verhandelbar sein: Die Europäische Union ist für uns weit mehr als ein Binnenmarkt, sie ist eine Friedens- und Schicksalsgemeinschaft. Es war dieser politische Kern, den das Nobelpreiskomitee gewürdigt und den wir in der vergangenen Woche mit Frankreich gefeiert haben. Er ist es auch, der letztlich die Euro-Zone in ihrer größten Krise zusammengehalten hat – allen Skeptikern zum Trotz, die ihren Blick allein auf ökonomische Kosten-Nutzen-Rechnung verengt hatten. Es ist an uns, jetzt mit Entschlossenheit und Vision dieses großartige Friedens- und Wohlstandsprojekt fortzuentwickeln.

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