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„Wir müssen die deutsch-französische Freundschaft beständig mit neuem Leben füllen“

19.01.2013 - Interview

Interview mit den Beauftragten für die deutsch-französische Zusammenarbeit, Michael Georg Link und Bernard Cazeneuve, zum 50. Jahrestag der Unterzeichnung des Elysée-Vertrages. Erschienen in der gemeinsamen Beilage „Hallo Nachbar, Salut Voisin“ in den Zeitungen Rheinpfalz, Badische Zeitung, Badische Neueste Nachrichten und Dernieres Nouvelles d`Alsace (französisch) am 19.01.2013.

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Noch heute läuft einem ein kalter Schauer über den Rücken, wenn man die Worte von de Gaulle hört: „Sie sind Kinder eines geschichtsmächtigen Volkes“. Von solchem Pathos sind wir weit entfernt. Was kann die Politik tun, um die deutsch-französische Freundschaft mit neuer Emotion zu beleben?

Link: Die Emotionen von einst erklären sich durch den damals gerade erst 17 Jahre zurückliegenden Krieg. Fast jeder hatte ihn selbst erlebt. Heute sind wir bei den Mühen der Ebene angelangt. Das heißt aber nicht, dass die Freundschaft weniger herzlich ist. Im Gegenteil. Aber Sie haben recht: Wir müssen die deutsch-französische Freundschaft beständig mit neuem Leben füllen. Und das geschieht am besten durch persönliches Erleben und das geht, in dem wir die Formen des Austauschs ausbauen. Oder mit anderen Worten: eine emotionale Bindung zum Partnerland herstellen.

Cazeneuve: Wir haben eine besonders Verantwortung vor der Geschichte. Unsere beiden Länder, die sich einst bekriegten, haben Europa in ein Projekt der Hoffnung verwandelt. In Europa herrscht heute dauerhafter Friede. Wir wollen die deutsch-französische Beziehung vertiefen und uns auf die kommenden 50 gemeinsamen Jahre vorbereiten.

Diese Vertiefung klappt natürlich am besten durch konkrete Schritte. Beispiel: Wirtschaftliche Zusammenarbeit. In Deutschland werden vielerorts Auszubildende gesucht, in Frankreich liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei rund 23 Prozent. Könnte die Politik einen gemeinsamen Lehrstellenmarkt fördern?

Cazeneuve: Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit funktioniert schon heute gut. Machen wir so weiter! Junge Franzosen und Deutsche müssen an den Universitäten im jeweiligen Nachbarland studieren können. Und die Abschlüsse müssen gegenseitig anerkannt werden …

Link: … das kann ich nur bestätigen. Ausbildungspartnerschaften sind eine unserer wesentlichen Aufgaben. Wir werden Wege finden, um die Zusammenarbeit auf diesem Gebiet voranzubringen.

2003 zogen Chirac und Schröder die Idee vom Eurodistrikt aus der Schublade, um die Freundschaft aufzupeppeln, außerdem eröffneten sie Deutschen die Möglichkeit die französische Staatsbürgerschaft zu erwerben, ohne die deutsche zu verlieren. Haben Sie zum 50. Jahrestag ebenfalls ein paar Geschenkideen parat?

Cazeneuve: Geschenke? (lacht) 2003 war die Situation völlig anders. Heute stecken wir in einer Krise. Ganz Europa leidet unter der Arbeitslosigkeit, Deutschland und Frankreich haben den Willen, die Bedingungen für ein Wiedererstarken des Wachstums zu schaffen. Es geht uns nicht darum, Geschenke zu machen, wir wollen zu tragfähigen Kompromissen kommen, um die Krise zu bewältigen. Zu den Themen, die wir voranbringen wollen, zählen nachhaltiges Wirtschaften, die Energiewende und eine gemeinsame Industriepolitik. All das hat zwar nicht den Charakter eines Geschenks, aber es sind die Garanten für eine dauerhafte europäische Politik.

Link: Dem ist nichts hinzuzufügen.

Dennoch bedarf es Symbole, um den Bürgern, die Bedeutung der deutsch-französischen Freundschaft zu verdeutlichen. Am 22. Januar werden sich die Parlamente der beiden Staaten in Berlin treffen. Kritiker sagen, das koste nur Geld …

Link: Die Entscheidung über die gemeinsame Sitzung haben die Parlamentspräsidien gefällt. Aber als Abgeordneter füge ich hinzu: Es wäre ein Armutszeugnis, wenn wir dieses Treffen nicht durchführen würden. Es ist ein einzigartiges Zeichen, das der Bundestag setzt: Mit keinem anderen Parlament der Erde haben wir eine solch enge Verbindung wie mit der Assemblée Nationale. Deshalb lautet mein Motto: Deutschland und Frankreich, immer einen Schritt voraus!

Cazeneuve: Wenn sich unsere souveränen Parlamente am 22. Januar treffen wollen, werden wir, die Akteure der Regierung, sie nicht davon abbringen. Diese feierlichen Begegnungen können den Boden bereiten für gemeinsame Arbeitssitzungen. Die beiden Parlamente bereiten eine Erklärung vor, die einen starken Beitrag liefern wird für die Zukunft unserer Beziehungen.

Das Karlsruher Abkommen von 1996 sollte eigentlich dafür sorgen, dass die Zusammenarbeit am Rhein durch Zweckgemeinschaften und ganz konkrete Partnerschaften vorangebracht werden kann. Bald stellte man fest, dass das Abkommen nur ein Strohfeuer war, der französische Zentralismus stößt sich am deutschen Prinzip der Subsidiarität.

Link: Ich stimme der Aussage, das Karlsruher Abkommen sei gescheitert, ausdrücklich nicht zu. Es hat die Grundlage gelegt, ganz entscheidend vorangetrieben vom damaligen Außenminister und Karlsruher Abgeordneten Klaus Kinkel. Wir sehen natürlich, dass es rechtliche Realitäten gibt, die weitere Schritte behindern. Deshalb arbeiten wir jetzt, unterstützt von der Symbolkraft des 50. Jahrestages des Élysée-Vertrags, intensiv an der Weiterentwicklung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Wir könnten zum Beispiel Sondertatbestände schaffen, um die Verwirklichung grenzüberschreitender Projekte auf verschiedenen Verwaltungsebenen zu erleichtern.

Was gedenken Sie gemeinsam zu tun, um im Sitz-Streit um die Europa-Institutionen Straßburg zu konsolidieren?

Cazeneuve: Straßburg ist eine europäische Hauptstadt, das ist nicht verhandelbar. Die Regierung ist da festgelegt. Es gibt Verträge, die es zu respektieren gilt!

Link: Die Verträge sprechen eine deutliche Sprache – und sie sagen: Das Europäische Parlament hat seinen Sitz in Straßburg.

De Gaulle hat deutsch gesprochen: Müssen Politiker nicht öfter mal die Sprache des Nachbarn sprechen, um Zeichen zu setzen?

Cazeneuve (wechselt ins Deutsche): Es gibt zu viele Leute, die nicht deutsch sprechen. Wir müssen deutsch lernen in der Schule.

Link: (wendet sich an Minister Cazeneuve) Ja, du hast letzten Sommer in Berlin verbracht. Ich war schon in der Schulzeit auf Austausch häufig in Béziers. Allerdings muss ich hinzufügen: Am intensivsten habe ich das Französische während meines Studiums in der Romandie gelernt, in der West-Schweiz. Wir sprechen bei jedem unserer Treffen jedenfalls mehr und mehr deutsch miteinander.

Herr Staatsminister, was sollten Franzosen von Deutschen lernen?

Link: Gegenseitige Belehrungen brauchen wir wirklich nicht.

Und was könnten sich Deutsche von Franzosen abschauen?

Link: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das ist ein großes Thema, das in Frankreich viel früher und viel energischer angegangen wurde. Die Geburtenrate zeigt, mit welchem Erfolg: Frankreich ist uns in puncto Demografie weit voraus.

Und was können Deutsche von Franzosen lernen, Monsieur le Ministre?

Cazeneuve: (nach einem Moment des Nachdenkens) Die Deutschen können von Franzosen « un art de vivre » lernen, ein Stück Lebensart. Und wir können von den Deutschen « un art de penser » übernehmen – die Art, wie sie über Probleme nachdenken.

Was schätzen Sie am meisten an Frankreich, Herr Link?

Link: Ich verehre die französische Weinkultur. Sie überlebt jede Mode aus der Neuen Welt.

Und was schätzen Sie an Deutschland, Monsieur le Ministre?

Cazeneuve: Die Musik, der Tiefgang im Schaffen Johann Sebastian Bachs, die Strahlkraft der Kultur.

Wir haben einen konkreten Vorschlag, um die engen Beziehungen zwischen den Staaten auch sichtbar zu machen. Wie wäre es, die Dienstwagen zu tauschen? Einen Peugeot für den Staatsminister im Auswärtigen Amt, einen Mercedes oder BMW für den Minister …

Link: Das wäre fraglos ein starkes Symbol, über das ich noch nie nachgedacht habe. Nicht zuletzt, weil Peugeot aus Montbéliard stammt, dem alten württembergischen Mömpelgard. Allerdings werden in meinem Wahlkreis Heilbronn der A6 und und der A8 von Audi hergestellt, da würde man das wohl zurecht nicht so sehr schätzen …

… der Audi geht dann an Monsieur le Ministre Cazeneuve. Was hielten Sie davon?

Cazeneuve: Wenn wir erst eine europäische Industriepolitik mit europäischen Marken haben, wird sich diese Frage nicht mehr stellen. Daran können wir arbeiten: für eine starke Industrie und für Arbeitsplätze auf unserem Kontinent!

Das Interview führten Peter Pfeil, DNA, und Klaus Gaßner, BNN. Übernahme mit freundlicher Genhehmigung der BNN.

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