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Rede von Staatsminister Link anlässlich der Debatte „50 Jahre Élysée-Vertrag - Zusammenarbeit und gemeinsame Verantwortung für die Zukunft Europas“ im Deutschen Bundestag

16.01.2013 - Rede

---es gilt das gesprochene Wort---

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Mit dem Élysée-Vertrag haben Frankreich und Deutschland nach zwei Weltkriegen ihre Versöhnung besiegelt und eine Erfolgsgeschichte ohnegleichen eingeleitet. Sie haben das aber nie nur mit Blick auf sich gemacht, sondern von Anfang an immer mit Blick auf die gemeinsame europäische Verantwortung.

Tiefe und Intensität der deutsch-französischen Freundschaft sind einzigartig. Das gilt für den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereich. Das gilt vor allem aber auch für das beispielhaft enge Netzwerk zwischen den Bürgerinnen und Bürgern. Die Kollegen, die vor mir gesprochen haben, haben völlig zu Recht genau darauf hingewiesen.

Wenn wir die letzten 50 Jahre betrachten, sehen wir, dass sich eine tief in der Gesellschaft verwurzelte, echte Freundschaft entwickelt hat. Das ist es, was die deutsch-französische Freundschaft einzigartig macht: ihre Dichte und die gelebte Nähe zwischen den Bürgerinnen und Bürgern. Die erste der heute 2 200 Städtepartnerschaften wurde schon 1950 geschlossen. Allein über 8 Millionen Jugendliche haben seit der Gründung des Deutsch-Französischen Jugendwerks - auf seine Verdienste ist zu Recht hingewiesen worden - an einem Austauschprogramm teilgenommen. In wirtschaftlicher Hinsicht sind Deutschland und Frankreich - man muss es immer wieder betonen, weil es sonst manchmal in Vergessenheit gerät - füreinander immer noch die wichtigsten Exportmärkte.

Dabei sollte uns allen klar sein: Die Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich ist keine Selbstverständlichkeit. Sie muss in jeder Generation von den Bürgerinnen und Bürgern und vor allem auch von uns politisch Verantwortlichen in beiden Ländern neu mit Leben gefüllt werden. Sie speist sich, außer aus gemeinsamen Werten, vor allem aus zwei Hauptquellen: gemeinsam erlebter Geschichte und gelebter Nähe.

Weil die gelebte Nähe so wichtig ist und viele Kolleginnen und Kollegen der Bundesregierung Anregungen gegeben haben, was bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit besser werden muss ‑ ein Punkt, der, wie ich weiß, über die Fraktionsgrenzen hinweg viele umtreibt ‑, wollen wir bei diesem Jubiläum einen besonderen Schwerpunkt auf die Verbesserung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit legen, bei der in der Tat noch einiges unterstützt und besser gemacht werden müsste. Vorbilder für diese Zusammenarbeit haben wir. Ich nenne beispielhaft den Eurodistrikt; ich könnte noch viele andere Bereiche nennen. Hier muss aber wirklich noch einiges konkret vorangebracht werden. Genau daran arbeitet auch die Bundesregierung.

Das Ziel des deutsch-französischen Jubiläumsjahres ist das gegenseitige Verständnis. Das geht, Kollege Gloser, natürlich bis in die Sprache hinein; denn da geht Verstehen los. Wir wollen das gegenseitige Verständnis steigern und junge Menschen für das Projekt begeistern. Lassen Sie mich, auch mit Blick auf die vielen Schülerinnen und Schüler, sei es, dass sie uns heute zuhören oder diese Debatte nachlesen, sagen: Es muss einfach auch wieder cool werden, die Sprache des Nachbarn zu sprechen und einen Teil der eigenen Ausbildung im Nachbarland zu absolvieren.

Im deutsch-französischen Jubiläumsjahr werden wir deshalb nicht nur das in der Vergangenheit Erreichte feiern, sondern uns auch auf unsere gemeinsame Zukunft und Verantwortung für Europa ausrichten. Der Élysée-Vertrag hatte immer eine europäische Dimension. Deutschland und Frankreich haben Europa bisher gemeinsam vorangebracht. Für die nächsten Jahrzehnte gilt, dass unsere beiden Länder die zukünftigen Herausforderungen nur im Rahmen eines einigen und starken Europa werden bewältigen können.

Wir als Bundesregierung haben immer wieder gesagt ‑ das ist in vielen Debatten, gerade im letzten Jahr, als wir über die Stabilisierung der Euro-Zone diskutiert haben, deutlich geworden ‑: Die Europäische Union ist unsere Antwort auf die Fragen, die die Globalisierung an uns stellt. Das europäische Projekt steht vor ganz entscheidenden Herausforderungen. Viele Krisen sind beileibe noch nicht gelöst, im Gegenteil: Ich nenne die Schuldenkrise, den Verlust von Wettbewerbsfähigkeit, die Bedrohungen unserer inneren und äußeren Sicherheit und den Auftritt neuer Kraftzentren. Wir sind mitten drin, Antworten auf diese Herausforderungen zu gestalten. Dazu können Deutschland und Frankreich mit ihrem Vorbild und unserem europäischen Modell einer offenen, sozialen und toleranten Gesellschaft vieles beitragen.

Das haben wir nicht so gemacht ‑ ich habe es gesagt ‑, dass wir nur aufeinander geblickt oder versucht haben, andere zu dominieren. Vielmehr haben wir es von Anfang an so gemacht, dass wir versuchten, die deutsch-französische Freundschaft im Dienste einer Öffnung nach außen zu wenden. Wir haben die deutsch-französische Freundschaft im Rahmen des Weimarer Dreiecks exemplarisch um Polen erweitert. Das Weimarer Dreieck ‑ ich möchte es ganz ausdrücklich hervorheben ‑ steht ebenfalls für gelebte Nähe und gelebte Nachbarschaft aufgrund gemeinsam erlebter Geschichte. Es ist zur nicht mehr wegdenkbaren Ergänzung der deutsch-französischen Freundschaft geworden; das sei auch mit Blick auf unsere polnischen Freunde und Nachbarn ausdrücklich erwähnt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, um die Schuldenkrise, die uns aktuell trifft, zu überwinden, muss sich die EU hin zu einer wirklichen wirtschaftlichen und politischen Union entwickeln. Deutschland und Frankreich haben die Aufgabe ‑ ich bin davon überzeugt: auch den Mut ‑, die hierzu notwendigen Maßnahmen zu treffen.

Bei unserer Zusammenarbeit müssen wir jedoch ein Missverständnis vermeiden: Die Ziele und Interessen Deutschlands und Frankreichs sind natürlich nicht immer und automatisch deckungsgleich. Deutschland und Frankreich bleiben, bei allen Gemeinsamkeiten, zwei Länder mit vielen Unterschieden im politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Bereich. Kontroversen gehören in der EU wie auch in der deutsch-französischen Partnerschaft dazu; sonst wären wir ein Museum.

Um Fortschritte und Kompromisse wurde in der Vergangenheit und wird auch jetzt stets hart gerungen. Wenn aber erst einmal eine Einigung gefunden war ‑ das ist das, was Deutschland und Frankreich so besonders auszeichnet ‑, dann stand sie, und dann war dieser Kompromiss meist auch das Vorbild für eine Einigung in der gesamten EU. Für mich bestehen deshalb die Aufgabe und der Beitrag des deutsch-französischen Motors vor allem darin, europäische Entscheidungen vorzustrukturieren und sie dadurch oft überhaupt erst zu ermöglichen. Unsere Fähigkeit zum Kompromiss, trotz aller unterschiedlichen Auffassungen und Herangehensweisen, ist es, was das deutsch-französische Verhältnis so einmalig macht und auszeichnet. Deshalb stellt sich die Bundesregierung, wenn sie eine europapolitische Position formuliert, von Anfang an, vom ersten Moment an, die Frage: Wo steht Frankreich in dieser Angelegenheit? Diesen deutsch-französischen Reflex, wenn ich es einmal so nennen darf, kann man gar nicht hoch genug schätzen. So etwas lässt sich nicht vertraglich anordnen, das wächst über Jahrzehnte.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Deutschland und Frankreich können viel voneinander lernen. Deutschland kann, um ein Beispiel zu nennen, bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf außerordentlich viel von Frankreich lernen. In diesem Bereich gibt es viele Impulse, die wir mit Interesse studieren. Umgekehrt ist, wie wir an den vielen Fragen unserer französischen Freunde - über alle Parteigrenzen hinweg - merken, die duale berufliche Ausbildung in Deutschland für Frankreich wie für viele unserer Nachbarn von großem Interesse.

Die gegenseitige Wertschätzung spiegelt sich auch in dem Bild wider, das die Bürger vom jeweiligen Partnerland haben. Aus einer ganz aktuellen Umfrage geht hervor, dass sowohl in Deutschland als auch in Frankreich zwischen 80 und 90 Prozent der Bürger die deutsch-französische Freundschaft positiv sehen und sie für wichtig und entscheidend für Europa halten.

Meine Damen und Herren, beim Aufbau unseres zukünftigen Europas und bei der Wahrung unseres Wohlstandes und des europäischen Gesellschaftsmodells ist Frankreich unser unverzichtbarer Partner. In diesem Sinne wollen wir den 22. Januar begehen - nicht versteckt, sondern feierlich, festlich und selbstbewusst.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die deutsch-französische Freundschaft, sie ist keine Nostalgie und auch keine Rhetorik; sie ist eine hochaktuelle Strategie, um unsere Europäische Union Schritt für Schritt voranzubringen.

Ich danke Ihnen.

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