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Eine Freundschaft für die Zukunft

15.01.2013 - Interview

Außenminister Guido Westerwelle im Interview zu den deutsch-französischen Beziehungen. Gesendet im Deutschlandfunk am 15.01.2013.

Außenminister Guido Westerwelle im Interview zu den deutsch-französischen Beziehungen. Gesendet im Deutschlandfunk am 15.01.2013.

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Man dürfe die deutsch-französische Freundschaft nicht als selbstverständlich nehmen, sagt Außenminister Guido Westerwelle (FDP) mit Blick auf das 50. Jubiläum der Annäherung der Länder nach dem Zweiten Weltkrieg. Europäer, Franzosen und Deutsche bildeten eine Schicksals- und Kulturgemeinschaft.

„Die deutsch-französische Freundschaft, die muss man nicht lernen, das hat man in den Genen“ - damit zitiere ich Sie, Herr Bundesaußenminister Westerwelle, bei Ihrem Antrittsbesuch vor drei Jahren in Paris. Aus der Erbfeindschaft ist also eine Erbfreundschaft geworden, Freundschaften muss man pflegen. Wo sehen Sie denn besonderen Pflegebedarf?

Ich glaube, dass gerade die jungen Menschen unsere deutsch-französische Freundschaft, auch diese Reife und Intensität unserer Freundschaft, nicht selbstverständlich nehmen dürfen. Wir sind ja in den 60er- und 70er-Jahren groß geworden, die erste Generation gewissermaßen unbelastet, jedenfalls was das persönliche Erleben angeht, vom Zweiten Weltkrieg. Und die heutige Generation ist natürlich so weit weg von der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, dass sie möglicherweise nicht dieselben Erinnerungen hat. Wir haben ja noch von unseren Eltern erzählt bekommen, wie es war im Krieg, wie es zum Krieg gekommen ist, wie man nach dem Krieg mit den ersten zarten Anfängen der deutsch-französischen Freundschaft begonnen hat. Und mein Rat ist, dass die jungen Menschen beider Länder nie diese besondere Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich als selbstverständlich annehmen, sondern als etwas, was man, wie es bei Freundschaften der Fall ist, jeden Tag sich neu erarbeiten muss.

Nun ist interessant, dass in der Gemeinschaftsumfrage von Radio France, arte, Deutschlandradio und ARD eben gerade diese Kriegs- und Nachkriegszeit weniger eine Rolle spielt, sondern dass es etwas Selbstverständliches geworden ist. Dennoch muss man ja solche Freundschaften ernähren. Wo sehen Sie da einen konkreten Handlungsspielraum. Wo möchten Sie aktiv werden, auch um dieses gemeinsame Europa, vielleicht gemeinsam mit Frankreich, weiter zu gestalten?

Für mich ist das das erfreulichste Ergebnis dieser Untersuchung, dass nämlich die Notwendigkeit der deutsch-französischen Freundschaft nicht nur aus der Geschichte abgeleitet wird, sondern vor allen Dingen aus der gemeinsamen Aufgabenstellung für die Zukunft. Wir leben in einer Welt des Wandels, das sind atemberaubende Umbrüche in der Welt, neue Kraftzentren in Asien, in Lateinamerika, auch in Afrika entstehen, und dass wir Europäer, wir Franzosen, wir Deutsche, uns nur gemeinsam als Schicksals- und Kulturgemeinschaft in dieser Welt des Wandels behaupten können, das ist eine großartige Erkenntnis, die sich ganz augenscheinlich in beiden Völkern wirklich weit verbreitet hat.

Wir haben die Hörer und die Zuschauer auch gefragt, wie privilegiert, wie besonders ist denn dieses Verhältnis. Wie privilegiert ist es aus Ihrer Sicht, Herr Bundesaußenminister?

Die deutsch-französische Freundschaft ist das kostbarste Juwel in unserem europäischen Schatz, und dennoch rate ich uns dazu, auch zum Beispiel unseren wichtigen östlichen Nachbarn, Polen, nicht zu vergessen, und mehr und mehr auch in unsere Gespräche und Beratungen mit einzubeziehen. Dennoch: Frankreich und Deutschland, das sind zweifelsohne die Pfeiler auch der Europäischen Union - das soll niemanden zurücksetzen -, und nicht nur aufgrund der Größe, sondern auch aufgrund einer in die Welt gerichteten Blickrichtung, die die Globalisierung annimmt und ernst nimmt, ist es wichtig, dass Deutsche und Franzosen sich engstens abstimmen. Ich sehe teilweise, dass von Unstimmigkeiten gesprochen wird zwischen Deutschland und Frankreich - ich kann das nicht erkennen. Was es in der Tat gelegentlich gibt, sind Meinungsunterschiede zwischen Regierungen unterschiedlicher politischer Färbung. Aber das hat ja nichts mit Irritationen zwischen zwei Staaten oder zwischen zwei Völkern zu tun, sondern das ist ein ganz normaler politischer Prozess, und auch nicht zum ersten Mal. Ich denke an François Mitterand und Helmut Kohl, die auch unterschiedliche politische Familien anführten, aber die es dennoch geschafft haben, immerhin bis hin zur deutschen Einheit große geschichtliche Leistungen zu vollbringen.

In diesem Sinne, es gab ja einen Regierungswechsel in Frankreich, und man hat schon den Eindruck, als würde das unter der neuen Regierung nicht mehr ganz so reibungslos laufen mit dem deutsch-französischen Motor. Planen Sie denn jetzt ganz konkret auch mit ihren französischen Amtskollegen Fabius demnächst eine Initiative, dem Wunsch zu entsprechen, der auch in unserer Umfrage sich wiederspiegelt, nämlich dass die Menschen mehr Vertiefung in Europa wollen?

Laurent Fabius und ich haben ja gemeinsam in der von mir einberufenen Zukunftsgruppe über Europa beraten. Und wir haben ja auch dort Vorschläge vorgelegt, wie man beispielsweise auch mit praktischen, konkreten Schritten es schaffen kann, Europa weiterzuentwickeln. Ich könnte mir zum Beispiel sehr gut vorstellen, dass bei der nächsten Europawahl es gesamteuropäische Spitzenkandidaten der jeweiligen europäischen Parteifamilien gibt. Ich fände es sehr gut, wenn diejenigen, die sich um Verantwortung in Europa bewerben, das nicht nur zu Hause in ihrer eigenen Heimat tun müssten, sondern wenn sie in ganz Europa für ihre Ideen und ihr Programm und für ihre Person werben müssten. Das wäre auch ein Beitrag zur Integration, das heißt, auch unterhalb der Ebene von großen Vertragsänderungen, von großen neuen institutionellen Aufbrüchen, sind wir schon heute in der Lage, mehr für die europäische Integration zu tun, und das sollten wir auch. Nach der europäischen Wahl, nach der Wahl zum Europaparlament, denke ich, ist es sinnvoll und auch notwendig, dass wir noch einmal darüber beraten, einen Konvent einzuberufen, der sich über die institutionelle, vertragliche Weiterentwicklung Europas auseinandersetzt, denn bei aller Freude über die deutsch-französische Freundschaft wollen wir nicht vergessen, in diesem letzten drei Jahren der Schuldenkrise in Europa hat man auch gemerkt, dass die Entscheidungsmechanismen in Europa noch nicht transparent genug sind, auch noch nicht demokratisch legitimiert genug sind, noch nicht effizient genug sind, manches müsste schneller gehen, und das sollten wir als gemeinsame Aufgabe begreifen, und da werden Deutschland und Frankreich ganz sicher die Debatten auch anführen, nicht immer in allem einer Meinung - das war auch noch nie so, das muss auch nicht so sein -, aber doch mit dem gemeinsamen Ziel, dass Europa sich selbst behauptet in der Welt.

Herr Westerwelle, besteht da nicht die Gefahr, dass die Deutschen so in die Rolle des dominanten Buhmanns rücken und auch mit Frankreich nicht mehr auf Augenhöhe verhandelt und gesprochen wird?

Das ist eine gefährliche Verführung. Das Ansehen Deutschlands in Europa, aber gerade auch, wie diese Studie zeigt, in Frankreich, ist ja gewachsen. Und dennoch rate ich uns, aus dieser Position der Stärke mit Respekt und auch mit der notwendigen Portion Bescheidenheit zu agieren. Ich bin gegen jedes Auftrumpfen, nur weil es im Augenblick Deutschland so gut geht, es wird auch Deutschland auf Dauer nicht gut gehen, wenn es unseren europäischen Nachbarländern auf Dauer schlecht geht. Und man darf nie vergessen, vor etwas mehr als zehn Jahren war Deutschland der kranke Mann Europas, wir haben hart zu kämpfen gehabt mit Massenarbeitslosigkeit. Glücklicherweise ist es uns gelungen, diese schwierige Zeit zu überwinden, gemeinsam, alle Beteiligten in Deutschland, aber man darf nicht den Schluss ziehen, nur weil wir im Augenblick gut dastehen, dass die gleiche Augenhöhe nicht mehr gefragt wäre. Lasst uns auf gleicher Augenhöhe weiter miteinander reden, respektvoll - Europa ist eine Gemeinschaft unter Gleichen.

Herr Außenminister, zum Abschluss gestatten Sie mir noch eine eher persönliche Frage, jenseits von politischer Correctness: Wann war Ihr erster Berührungspunkt, Ihr erster Kontakt mit Frankreich, und wie ist Ihre ganz persönliche Einstellung zu Frankreich? Mögen Sie es leidenschaftlich sehr, oder ist das eine eher pragmatische Beziehung für Sie? Ganz persönlich.

Ich mag Frankreich sehr, das hat auch was mit meiner Jugend zu tun. Ich bin im Rheinland aufgewachsen, das Deutsch-Französische Jugendwerk hatte damals ja seinen Sitz im Rheinland, für mich als jungen Schüler war das natürlich etwas, was man wusste und kannte. Ich habe meine erste wirklich nachhaltige Erfahrung mit Frankreich so einprägsam erlebt, dass man es nie vergessen wird: Ich war 14 oder 15 Jahre alt, in der Bretagne, habe dort mit meinen Kumpels Zelturlaub gemacht. Und ich betrat ein kleines Geschäft, einen kleinen Laden, der nur aus einem Zimmer bestand, und wollte dort irgendein paar Kleinigkeiten für unseren Zelturlaub einkaufen zusammen mit zwei Freunden. Und die Frau war deutlich älter - wir reden über Mitte der 70er - sie sah uns, erkannte, dass wir Deutsche sind, ging nach nebenan, und wir hörten sie weinen. Und etwas später kam eine deutlich jüngere Frau heraus und sie sagte zu uns: Jungs, das hat nichts mit euch zu tun, das liegt daran, dass mein Vater, ihr Mann, der Mann meiner Mutter im Krieg von den Deutschen umgebracht worden ist. Und wenn man sich vergegenwärtigt, wie kurz das eigentlich her ist, dann kann man nur sagen, das ist eine so glückliche Fügung, dass die deutsch-französische Freundschaft so weit und so gut sich entwickelt hat, und das sollten wir als Auftrag nehmen, auch bei Meinungsunterschieden zu begreifen, dass wir nur gemeinsam wirklich stark sind.

Gestatten Sie mir eine allerallerletzte Frage, Herr Minister: Haben Sie im vergangenen Jahr französische Musik gehört, ein Buch eines französischen Autors, einer Autorin oder vielleicht einen Film gesehen aus Frankreich?

Ja, das habe ich. Ich habe auch französische Autoren immer gerne gelesen, und in meiner Jugend natürlich auch, aber ich muss zu meiner Schande gestehen, immer nur in deutscher Übersetzung. Mein Französisch ist so grottenschlecht, das muss ich zu meiner Schande gestehen, dass ich die Ohren von niemandem kränken will, indem ich mit Französisch radebreche. Wenn ich so mit Freunden unterwegs bin, dann traue ich mich das gelegentlich, weil ich dann nicht so auf die Grammatik achten muss, und weil es dann auch nicht schlimm ist, wenn es sich furchtbar anhört, aber ich glaube, die französische Kultur, die französische Lebensart, die wunderschöne Melodie der Sprache, die ich etwas verstehe, aber leider überhaupt nicht gut sprechen kann, das ist etwas Wunderschönes, das hat einen ganz tollen Klang. Und wir hatten gerade ein wunderschönes Konzert hier im Auswärtigen Amt, das Neujahrskonzert, die Musik von Debussy, das ist eine ganz große Kultur.

Merci - vielen Dank, bleibt mir da nur noch zu sagen.

Avec plaisir!

Fragen: Burkhard Birke. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Deutschlandfunks.

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