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„Ein Sieg Assads scheint nicht mehr denkbar“

15.12.2012 - Interview

Staatsminister Michael Link im Interview zum Bürgerkrieg in Syrien. Erschienen in der Heilbronner Stimme vom 15.12.2012.

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Wie lange geben Sie dem Regime noch?

Bei Zeitprognosen bin ich sehr vorsichtig, da hat man sich in der Vergangenheit immer wieder geirrt. Klar ist aber, dass wir uns auf die Endphase zubewegen. Und in einer solchen Endphase besteht seitens des Regimes die Gefahr, dass irrational agiert wird, und dass Verzweiflungstaten begangen werden.

Bislang hat man die Opposition für zu schwach gehalten. Wieso könnte es auf einmal schnell gehen?

Schnell ist relativ. Es könnte durchaus noch mehrere Wochen – oder gar Monate - dauern. Der entscheidende Punkt ist, dass ein Sieg Assads mittlerweile nicht mehr denkbar scheint. Da spielt eine wichtige Rolle, dass das Regime immer mehr isoliert ist, innerhalb wie außerhalb Syriens. Und dass die Opposition in den vergangenen Wochen deutliche militärische Erfolge markieren konnte.

Wieso ist die Opposition so stark? Wer hat sie hochgerüstet?

Sie hat zunächst einmal großen Zulauf in der Bevölkerung. Immer mehr Menschen wenden sich vom Regime Assad ab. Waffen sind in der Region in allergrößter Anzahl vorhanden. Sie werden nicht nur aus dem Ausland hereingebracht, sondern auch von der Opposition – zum Beispiel aus Waffenlagern – erbeutet. So werden die Aufständischen Schritt für Schritt stärker.

Sie haben die Sorge angesprochen, das Assad-Regime könnte Verzweiflungstaten begehen. Ist das der Hauptgrund für die Patriot-Stationierung? Syrien scheint rational keinen Grund zu haben, die Türkei anzugreifen.

Der Hauptgrund für die Stationierung liegt darin, dass der Nato-Bündnispartner Türkei sich bedroht fühlt. Wir können das nachvollziehen, weil Syrien eine größere Anzahl von Raketen zur Verfügung steht, die zum großen Teil auch im Lande verlegbar sind und eingesetzt werden können. Der Einsatz der Patriot Raketen ist eine ausschließlich defensive Maßnahme, die nicht der Errichtung oder Überwachung einer Flugverbotszone in Syrien dient. Die große Zustimmung heute im Bundestag sendet ein doppeltes deutliches Signal: An die Türkei, dass wir den Bündnispartner Türkei schützen wollen, und an Damaskus, dass wir die Lage deeskalieren wollen. Die NATO ist kein Schönwetterbündnis. Sie ist eine gegenseitige Rückversicherung unter Bündnispartnern.

Für wie akut halten Sie die Gefahr durch Chemiewaffen aus Syrien?

Wir haben keine konkreten Hinweise, dass der Einsatz in irgendeiner Form geplant wäre. Aber die Waffen existieren und in der Endphase eines Regimes kann es – wie gesagt – zu Verzweiflungstaten kommen.

Dennoch werden keine ABC-Spezialkräfte in die Türkei verlegt. Sind die Bundeswehrsoldaten also zu schwach ausgerüstet?

Die Frage der konkreten Ausrüstung schauen wir uns weiter an. Die Ausstattung kann aber auch jederzeit innerhalb des Mandats nachgerüstet werden.

Über die syrische Opposition ist wenig bekannt. Für wie stark halten Sie die Gefahr durch radikale Islamisten?

Die syrische Opposition ist ein Sammelbecken vieler unterschiedlicher Kräfte. Uns war es wichtig, Struktur in unsere Kontakte zu bringen. Deshalb haben wir die Anerkennung der nationalen Koalition als Dachverband der Opposition, zuletzt auch beim Treffen der Freunde Syriens in Marrakesch, unterstützt. Damit verbunden ist, dass wir auch klipp und klar unsere Forderungen an die Opposition äußern : Wir erwarten, dass nach dem Niedergang Assads keine Racheaktionen stattfinden. Dass wir ein klares Bekenntnis zu Demokratie und Toleranz einfordern, auch religiöser Toleranz, sowie zu Einhaltung der Menschenrechte. Denn sonst haben wir einen Konflikt nach dem Konflikt. Die Gefahr al-Kaida-naher Gruppen nehmen wir dabei sehr ernst.

Russland scheint auch von einem absehbaren Ende Assads auszugehen. Welchen Spielraum eröffnet dies für diplomatische Lösungen?

Das Umdenken Russlands wünschen wir uns. Es wäre wichtig, dass es die schützende Hand vom Regime Assad nimmt. Allerdings hören wir von Russland einen Tag das eine, am nächsten erfahren wir, dass Assad doch weiter unterstützt wird. Russland selbst muss sich und der Welt beantworten, wo es in der Endphase des Regimes Assad und danach stehen will.

Fragen: Jens Dierolf. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Heilbronner Stimme: www.stimme.de

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