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Rede von Außenminister Guido Westerwelle beim Deutsch-Niederländischen Forum am 27.11.2012 in Berlin
--es gilt das gesprochene Wort--
Frau Präsidentin,
lieber Frans,
Exzellenzen,
sehr geehrte Damen und Herren,
zum 12. Deutsch-Niederländischen Forum heiße ich Sie sehr herzlich willkommen. Besonders freut mich, Sie hier an der Friedrichsgracht willkommen zu heißen. Die Friedrichsgracht wurde im 17. Jahrhundert mit Hilfe holländischer Spezialisten im Auftrag von Friedrich Wilhelm von Brandenburg angelegt. Nicht nur war Friedrich mit Luise Henriette von Oranien verheiratet, der Tochter eines niederländischen Prinzen. Er hatte seine Lehrjahre in Holland verbracht und an der ehrwürdigen Universität Leiden studiert. In seiner Zeit wurde das Land durch holländische Künstler, Baumeister, Landwirte und Kaufleute von Grund auf modernisiert. Schon damals lernte man in Europa voneinander.
Die Niederlande und Deutschland sind einander in der Europäischen Union seit über einem halben Jahrhundert engste Partner. Als Gründungsmitglieder tragen wir eine besondere Verantwortung: Unsere bilaterale Zusammenarbeit ist ein Grundpfeiler der europäischen Einigung. Es freut mich besonders, dass Du, lieber Frans, heute bereits zum zweiten Mal so kurz nach Deinem Amtsantritt als Außenminister Deines Landes nach Berlin gekommen bist.
Wir suchen den Schulterschluss mit den Niederlanden, um darüber auch eine engere Abstimmung mit allen übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union befördern zu können. Wichtige Impulse gibt das Deutsch-Niederländische Forum, das heute zum 12. Mal seit 1996 stattfindet. „Die Zukunft Europas und unsere Zukunft in Europa“ ist das Thema des diesjährigen Forums. Mit dem „Europäischen Jahr der Bürgerinnen und Bürger“ wird im nächsten Jahr der 20. Jahrestag der Gründung der Unionsbürgerschaft gefeiert.
Jeder Unionsbürger kann zum Beispiel seinen Wohnsitz in Europa frei wählen. Wir können uns bei Europa- und Kommunalwahlen als Kandidaten bewerben, wir haben das Petitionsrecht beim Europäischen Parlament.Neben der Reisefreiheit sind dies alles europäische Errungenschaften, die das Leben der Menschen in Europa tagtäglich spürbar erleichtern.
Europa durchlebt eine historische Prägephase. Wie wir heute in Europa handeln und über Europa reden, wird die politische Kultur unseres Kontinents lange prägen. Jetzt entscheidet sich auf Jahre, welches Bild sich die Menschen von Europa machen. In den Niederlanden wie in Deutschland fragen sich die Bürgerinnen und Bürger, ob es Europa gelingen wird, die Schuldenkrise zu überwinden. Von unserer Antwort wird abhängen, wie die Europäer künftig auf das europäische Projekt blicken, hadernd und verzagt oder zuversichtlich und mit Selbstvertrauen. Wir brauchen dafür nicht nur „mehr Europa“, wir alle müssen als überzeugte und engagierte Europäer auch an einem „besseren Europa“ arbeiten.
Wir prägen heute auch das Bild Europas in einer Welt im Wandel. Kommt Europa in den Ruf eines alten und alternden Kontinents, der gegenüber den aufstrebenden politischen und wirtschaftlichen Kraftzentren unserer Zeit ins Hintertreffen gerät? Oder bleibt Europa ein einzigartiges Zukunftsprojekt, dessen Strahlkraft die Menschen über seine Grenzen hinaus inspiriert? Es liegt an uns, diese Fragen zu beantworten. Schließlich entscheidet sich heute, wie wir künftig als europäische Nachbarn zueinander stehen werden. Eine Wiederkehr alter Ressentiments darf es nicht geben. Die europäische Kulturgemeinschaft sollte unter dem Druck der Krise fester zusammenwachsen.
Im Mittelpunkt dieser Prägephase steht das Vertrauen in Europa. Wir müssen neues Vertrauen in Europa begründen: Vertrauen unter europäischen Nachbarn, Vertrauen in den Euro und Selbstvertrauen in die europäische Idee.Unter dem Vorzeichen der Globalisierung erleben wir eine tiefgreifende Verschiebung der Kräfteverhältnisse in der Welt. Indien wird in zwanzig Jahren rund dreimal so viele Einwohner haben wie die Europäische Union. Der relative Einfluss der europäischen Staaten wird abnehmen. Im Alleingang werden wir den Herausforderungen der Globalisierung nicht gerecht werden können. Das gilt für die Niederlande genauso wie für Deutschland.
Im geeinten Europa dagegen können wir unsere Belange kraftvoll behaupten. Wir müssen Europas Einigung voranbringen, weil es nur in Europa eine gute Zukunft für uns gibt. In den letzten Monaten haben wir wichtige Fortschritte erzielt. Fiskalpakt, dauerhafter Rettungsschirm und Wachstumspakt haben einen Paradigmenwechsel eingeleitet. Sie stehen für eine Politik, die Stabilität, Solidarität und Wachstum verbindet. Und wenn in allen Mitgliedsstaaten gespart werden muss, dann kann der EU-Haushalt nicht anwachsen. Es geht uns um „better spending“ statt immer bloß „more spending“. Wachstum entsteht durch Wettbewerbsfähigkeit, nicht durch neue Schulden.Wir müssen die Konstruktionsschwächen der Wirtschafts- und Währungsunion beheben und zu einer engeren Zusammenarbeit in der Finanzpolitik, der Wirtschaftspolitik und der Haushaltspolitik kommen.
Wenn wir der europäischen Ebene aber neue Zuständigkeiten geben, brauchen wir auch entsprechende demokratische Mitsprache. Ein Europa ohne angemessene demokratische Legitimation wäre auf Sand gebaut. Am Ende des Weges, den wir jetzt einschlagen, muss eines Tages eine Politische Union stehen. Sie sollte eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik im vollen Wortsinn verwirklichen. Wir wollen Europa als globalen Akteur stärken. Ein umfassender Ansatz europäischer Diplomatie muss die vielen Facetten europäischer Außenpolitik zu einem Ganzen bündeln, von der Sicherheitspolitik über die Energiepolitik bis hin zur Handelspolitik.
Europa hat die Kraft und die Kreativität, die Menschen über seine Grenzen hinaus zu inspirieren. Als Gründungsmitglieder der Europäischen Union wollen wir die europäische Erfolgsgeschichte fortschreiben. Die Zukunft liegt nicht im Rückzug ins Nationale. Sie liegt in der Zusammenarbeit, in der Zusammenarbeit, wie sie die Bürger unserer beiden Länder vorleben. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen heute und morgen viele inspirierende Gespräche und uns allen viel Erfolg!
Vielen Dank.