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„Wer so etwas sagt, schürt Ressentiments gegen unser Land“

20.08.2012 - Interview

Außenminister Westerwelle äußert sich in einem Interview zur Lage in Europa sowie zur Entwicklung in Syrien.

Außenminister Westerwelle im Interview mit dem Tagesspiegel zur Lage in Europa sowie zur Entwicklung in Syrien. Erschienen am 19.08.2012.

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Herr Westerwelle, wie denken die europäischen Nachbarn über uns?

Wir befinden uns an einem wichtigen Punkt für Deutschland in der europäischen Geschichte. Jetzt wird das Bild Deutschlands in Europa für die nächsten Jahre geprägt. Ich bin deshalb über einige Wortmeldungen deutscher Politiker in den letzten Monaten sehr unglücklich. Ich habe den Eindruck, da werden unsere europäischen Nachbarn mutwillig diffamiert, nur um innenpolitisch Stimmung zu machen.

Meinen Sie CSU-Finanzminister Markus Söder, der Griechenland aus dem Euroraum drängen will und fordert, „an Athen muss ein Exempel statuiert werden“?

Solche Entgleisungen sind geeignet, das falsche Klischee des hässlichen Deutschen zu verbreiten.
Wer so etwas sagt, schürt Ressentiments gegen unser Land. Wenn ich so etwas höre, schüttelt es mich.

Hans-Dietrich Genscher nimmt in der Eurodebatte „neonationalistisches Blech“ wahr. Sie auch?

Das macht auch mir große Sorge. In anderen Ländern sieht man ja nicht, dass nur Wenige und das aus durchsichtigen parteipolitischen Motiven so daherreden. Damit ich nicht falsch verstanden werde: Natürlich vertreten wir konsequent die deutsche Position. Es geht mir aber um den Ton. Wenn man unsere Partner von Haushaltsdisziplin, Wirtschaftswachstum und Reformen überzeugen will, dann muss man respektvoll miteinander umgehen. Die Zeit, in der sich die Völker Europas mit Klischees und Vorurteilen begegnen, sollte endgültig vorüber sein. Deutschland ist eine starke Kraft, der nicht nur in Europa große Aufmerksamkeit zuteil wird. Daraus erwächst eine besondere Verantwortung. Wer die Keule der Renationalisierung schwingt, der muss wissen, dass sie zum Bumerang werden wird, der uns Wohlstand kostet und Arbeitsplätze gefährdet. Wir haben keine Rohstoffe. Deutschland lebt von Ideen und seiner internationalen Vernetzung.

Der Wirtschaftsminister sagt, für ihn hat der Austritt Griechenlands aus der Eurozone seinen Schrecken verloren.

Es ist nicht fair, den Wirtschaftsminister da hineinzuziehen. Philipp Rösler hat darauf hingewiesen, dass Griechenland seine vereinbarten Reformaufgaben erledigen muss. Damit hat er völlig recht.In der notwendigen Debatte wünsche ich mir – gerade wegen der Komplexität der anstehenden Aufgaben – eine differenzierte Sichtweise. Mein Eindruck ist, wir diskutieren in Deutschland viel den Preis dieser Krise, aber zu wenig über den Wert Europas. Das muss sich ändern.

In dieser Woche besucht der griechische Regierungschef Berlin. Soll die griechische Regierung mehr Zeit bekommen, die Reformauflagen zu erfüllen?

Lassen Sie uns den Bericht der Troika über den Stand der Reformen in Griechenland abwarten. Klar ist, dass eine Aufweichung der vereinbarten Reformen in der Substanz aus unserer Sicht nicht in Betracht kommt. Wie soll der mit großer Entschlossenheit handelnde spanische Ministerpräsident seine klare Reformpolitik zu Hause noch durchsetzen, wenn wir gleichzeitig Vereinbarungen woanders aufgeben. Das wäre nicht im Interesse Europas. Es wäre im Übrigen auch nicht im Interesse Griechenlands. Ich bitte die griechische Regierung, die Haltung der Bundesregierung sehr ernst zu nehmen. Ich wünsche mir, dass die Eurozone zusammenbleibt. Der Schlüssel für die Zukunft Griechenlands in der Eurozone und in Europa liegt in Athen.

Können Sie sich eine Eurozone ohne Griechenland vorstellen?

Ich beteilige mich nicht an solchen Spekulationen. Im Gegenteil: Die Menschen in Griechenland können nichts dafür, dass griechische Verantwortungsträger in den letzten Jahren ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden sind. Es wurden Zahlen manipuliert und falsche Statistiken vorgelegt. Deshalb gilt den Menschen in Griechenland meine Solidarität und auch mein Mitgefühl für das, was sie derzeit durchmachen müssen. Dennoch: Es gibt keine Alternative zu den Reformen.

Die Alternative wäre ein Austritt.

Das Ziel der Bundesregierung ist, dass die Eurozone zusammenbleibt. Dass ein Ausfransen der Eurozone ohne erhebliche ökonomische Risiken wäre, glaubt hoffentlich niemand.

Sie plädieren für eine vertiefte Integration Europas. Warum soll die gegen die Krise helfen?

Weil die Entscheidungen in Europa oft nicht schnell, effizient und transparent genug waren. Wir haben zwar eine Währungsunion, aber noch keine wirkliche politische Union. Ich bedaure es, dass die Schaffung einer Europäischen Verfassung bisher nicht gelungen ist. Ich will ein Europa der Heimatländer. Bei all der wunderbaren europäischen Vielfalt gibt es ein gemeinsames europäisches Lebensgefühl, einen europäischen „Way of life“. Ich hoffe, dass wir eines Tages einen neuen Anlauf nehmen können, eine europäische Verfassung zu beschließen – und darüber das Volk in einer Volksabstimmung entscheiden kann.

Mehr Integration heißt Abgabe von Souveränitätsrechten.

Die Bürger wissen, dass wir in der Schuldenkrise besser ausgesehen hätten, wenn die nationalen Haushalte zugänglicher und einsehbarer gewesen wären, wenn in den Staaten, die jetzt Probleme haben, schneller umgesteuert worden wäre. Ich glaube, es gibt in Deutschland eine klare Mehrheit für eine überzeugende europäische Verfassung. Es geht nicht um einen europäischen Superstaat oder gar um die Aufgabe unseres Grundgesetzes. Es geht um eine neu justierte, vernünftige Arbeitsteilung zwischen Europa und den Nationalstaaten im Rahmen einer europäischen Verfassung mit mehr demokratischer Fundierung.

Wozu wollen Sie in Europa eine gemeinsame Haushaltspolitik, wenn Sie eine gemeinsame Schuldenhaftung ablehnen?

Nicht einmal nach mehr als 60 Jahren Bundesrepublik Deutschland gibt es eine gesamtschuldnerische Haftung der Bundesländer untereinander für die Schulden. Eine gesamtschuldnerische Haftung durch Eurobonds würde bedeuten, dass ein Land, zum Beispiel Deutschland, für die Schulden aller anderen, also für ganz Europa, einstehen müsste. Das wäre ein schlimmer Konstruktionsfehler. Das überfordert auch ein starkes Land wie Deutschland. (...)

(...)

Herr Minister, zu einem anderen Thema: Wie lange wird sich der syrische Diktator Baschar al Assad noch halten können?

Wir beobachten, dass die Erosion seines Machtsystems den innersten Machtzirkel erreicht hat. Das ist spätestens seit dem spektakulären Überlaufen des syrischen Ministerpräsidenten zur Opposition deutlich.

Besteht die Gefahr einer Eskalation auch nach dem Sturz des Diktators?

Je länger Assad seine Politik der Gewalt fortsetzen kann, desto größer ist die Gefahr, dass das Blutvergießen auch nach seinem Sturz anhält. Deshalb wäre es von großer Bedeutung, wenn Russland und China nun endlich ihre schützende Hand von Assad wegzögen.

Die USA und die Türkei reden über die Einrichtung einer Flugverbotszone in Syrien. Würde Deutschland sich an ihrer Durchsetzung beteiligen?

Ich rate dazu, sehr überlegt zu handeln. Die Gefahr ist groß, dass aus dem Schrecken in Syrien ein Flächenbrand für die ganze Region werden kann. Die Türkei sieht durch die Flüchtlinge und durch die Unterstützung der PKK durch Syrien ihre Interessen massiv gefährdet. Es gibt Überlegungen für eine militärische Schutzzone.

Wie groß ist die Gefahr, dass Deutschland in einen Krieg hineingezogen wird, wenn es zu Konflikten an der Grenze der Türkei zu Syrien kommt?

Die Türkei hat bisher besonnen und verantwortlich gehandelt. Und das, obwohl sie viele Tausend Flüchtlinge auf ihrem Territorium versorgen muss und mit dem Abschuss eines türkischen Flugzeugs konfrontiert war. Aber wir haben nicht nur die Türkei im Blick. Die hohe Zahl von Flüchtlingen stellt Jordanien vor große Probleme. Ich habe große Sorge, dass die Gewalt von Syrien auf den Libanon übergreifen und den Bürgerkrieg dort wieder aufleben lassen könnte.

Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Tagesspiegel. Fragen: Hans Monath und Antje Sirleschtov.

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