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„Die großartige Idee Europas ist in Gefahr“

21.06.2012 - Interview

Außenminister Guido Westerwelle ruft angesichts der Schuldenkrise zu Solidarität in der EU auf. Gleichzeitig warnt er davor, Deutschland zu überlasten.

Außenminister Guido Westerwelle ruft angesichts der Schuldenkrise zu Solidarität in der EU auf. Gleichzeitig warnt er davor, Deutschland zu überlasten. Erschienen in der Passauer Neuen Presse vom 21.06.2012.

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Antonis Samaras ist nun neuer Regierungschef Griechenlands. Aufatmen und Erleichterung gab es bereits nach dem Ergebnis der griechischen Parlamentswahl. Ist es für Entwarnung nicht noch viel zu früh?

Ich war über das griechische Wahlergebnis sehr erleichtert. Griechenland hat eine zweite Chance erhalten. Aber die Arbeit ist noch nicht getan. Wir müssen gemeinsam weiter arbeiten, um die Krise zu bewältigen.

Sie haben noch am Wahlabend Änderungen am Reform-Zeitplan in Aussicht gestellt. Unionsfraktionschef Volker Kauder pocht dagegen auf strikte Einhaltung der Vereinbarungen und fordert von den Griechen, Reformen und Sparziele noch schneller umzusetzen. Was gilt denn nun?

An der Substanz der Reformvereinbarungen gibt es keine Abstriche. Es muss bei der Umsetzung des Reformprogramms bleiben, ohne Rabatte. Deshalb ist es sehr positiv, dass die Griechen eine parlamentarische Mehrheit gewählt haben, die sich vorher zur Umsetzung dieses proeuropäischen Reformkurses bekannt hat. Die Troika wird sich schnell einen Überblick über die Lage verschaffen. Es ist offensichtlich, dass in den letzten Monaten durch zwei Wahlkämpfe wertvolle Zeit verloren worden ist. Mit dieser Lage müssen wir umgehen. Im Übrigen ist die Frage der Umsetzung der Reformen in Griechenland eine Frage von großer europäischer Bedeutung, die nicht für die innenpolitische Auseinandersetzung bei uns taugt. Die Zukunft Europas ist deutsche Staatsraison. Dafür müssen wir alle mit ganzer Kraft arbeiten.

Regierung und Opposition ringen weiter um die Zustimmung zum dauerhaften Euro-Stabilisierungsmechanismus ESM und dem europäischen Fiskalpakt. Wird es heute einen Durchbruch bei den Verhandlungen geben?

Staaten, die zu viel Schulden aufgenommen haben, müssen jetzt ihre Hausaufgaben machen. Deutschland wird besonders glaubwürdig, wenn es hier mit gutem Beispiel vorangeht. Ich hoffe darauf, dass die Partei- und Fraktionsvorsitzenden heute eine grundsätzliche Einigung über den Fiskalpakt mit der Regierung erzielen. Ich vertraue darauf, dass die Opposition ihre staatspolitische Verantwortung für Europa wahrnimmt. Was wir zur Finanzmarktbesteuerung vereinbart haben, wird selbstverständlich von der Bundesregierung in Europa verfolgt. Zusagen halten wir.

Der Ruf nach einem größeren deutschen Beitrag zur Bewältigung der Euro-Krise wird immer lauter.

Auch die deutschen Schultern sind nicht beliebig breit und stark. Europa würde an zu wenig Solidarität scheitern, aber auch an zu viel. Deutschland hilft den anderen Ländern in vorbildlicher Weise. Man kann dankbar sein, dass der deutsche Steuerzahler diese Politik der Unterstützung Europas mit trägt. Wir haben viel investiert, aber das liegt in unserem eigenen Interesse. Denn wenn wir jetzt nicht helfen, würde uns das ein x-faches der heutigen Garantien kosten. Eine Vergemeinschaftung der Schulden wäre der falsche Weg. Ohne unsere Krisenstrategie hätten wir die Haushaltsdisziplin und die Abkehr von der Schuldenpolitik niemals durchsetzen können. Das sind Fortschritte und Erfolge, die wir nicht kleinreden sollten. Leider gibt es viele, die Europa und den Euro immer wieder leichtfertig in Frage stellen.

Sie wollen einen direkt gewählten europäischen Präsidenten, eine europäische Armee und eine politische Union. Ist mehr Europa tatsächlich die richtige Antwort auf die Schuldenkrise?

Es ist die schwerste Krise Europas. Wir müssen daraus die richtigen Lehren ziehen. Entscheidungen in Europa dauern oft zu lange. Es gibt zu viele Reibungsverluste und nicht immer klare Zuständigkeiten. Leider geht durch die Europäische Union ein kalter Wind der Renationalisierung. Die großartige Idee Europas ist in Gefahr. Die Wahrheit aber ist, dass wir mehr Europa brauchen und nicht weniger. Europa muss kulturellen Selbstbehauptungswillen zeigen. Schritte zur einer wirklichen politischen Union sind ein echter Beitrag zur Krisenbewältigung.

CSU-Chef Horst Seehofer will die Deutschen künftig über zusätzliche Milliardenhilfen für die Euro-Rettung per Volksabstimmung entscheiden lassen. Was spricht eigentlich dagegen?

Ich habe schon vor einigen Jahren für mehr direkte Demokratie in Grundsatzfragen geworben, vergeblich. Für Volksabstimmungen fehlt derzeit die verfassungsrechtliche Grundlage.

Das Bundesverfassungsgericht verlangt eine bessere Einbindung des Bundestages bei Entscheidungen zur Euro-Rettung. Muss dafür eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden?

Die Bundesregierung wird das Urteil mit Sorgfalt und Nachdruck umsetzen. Aus meiner Sicht als Außenminister ist es wichtig, dass wir in Fragen der Europapolitik möglichst eine breite Unterstützung im Bundestag haben. Die Basis dafür sind möglichst frühzeitige Information und die Einbindung aller Fraktionen.

Themenwechsel: Das Morden in Syrien geht weiter, ohne dass eine friedliche Lösung auch nur in Ansätzen erkennbar wäre. Was muss jetzt geschehen?

Die Lage in Syrien ist unverändert bestürzend. Die Arbeit an einer tragfähigen politischen Lösung ist trotz aller Hindernisse immer noch die beste aller Möglichkeiten. Wir unterstützen die Bemühungen des UN-Sondergesandten Kofi Annan. Es kommt jetzt darauf an, dass der Friedensplan mit nicht-militärischen Sanktionen verbunden wird. Darum bemühen wir uns bei den Vereinten Nationen.

Fragen: Andreas Herholz und Rasmus Buchsteiner. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Passauer Neuen Presse.

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