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Außenminister Westerwelle im Interview mit der Schwäbischen Zeitung

26.05.2012 - Interview

Das folgende Interview zu außenpolitischen Themen wie Afghanistan, NATO-Gipfel, Libyen und Europa erschien am 25. Mai in der Online-Version der Schwäbischen Zeitung und am 26. Mai in gekürzter Blattfassung:

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Frage: Herr Bundesaußenminister, wir sind auf dem Rückflug von Chicago nach Abschluss des Nato-Gipfels dort. Sind Sie mit dem Ausgang zufrieden?

Außenminister Westerwelle: Das, was auf dem Gipfel möglich war, ist gelungen. Aber natürlich stehen die Mühen der Ebene noch bevor.

Frage: Die finden sich wo? In Afghanistan oder bei der Abrüstungsthematik?

Außenminister Westerwelle: Wir alle wissen, dass wir in Afghanistan nicht auf Dauer bleiben können und bleiben wollen. Also müssen wir die Übergabe der Sicherheitsverantwortung und den eingeleiteten Abzug seriös und verantwortungsvoll umsetzen. Auch im Bereich der Abrüstung müssen weiter dicke Bretter gebohrt werden.

Nun gab es ja, Sie haben es heute in der Pressekonferenz auch gesagt, gewisse Nervositäten auf dem Weg hierher, was mit den Franzosen geschieht. Jetzt scheint eine Lösung gefunden, die es allen ermöglicht, insbesondere dem französischen Präsidenten gegenüber seinen Wählern, das Gesicht zu wahren. Wie kam das zustande?

Allen, auch in Frankreich, ist bewusst, dass es beim Vorsatz „together in, together out“ bleiben muss. Ich begrüße die unzweideutige Erklärung des französischen Präsidenten, dass Frankreich auch nach 2012/2013 Verantwortung in Afghanistan wahrnehmen wird.

Aber wie das dann konkret aussehen wird, dieses französische Engagement, das hat er noch nicht definiert?

Das ist wenige Tage nach der Amtsübernahme auch nicht möglich. Wichtig ist das politische Bekenntnis. Auch nach dem Regierungswechsel in Frankreich hat sich die deutsch-französische Zusammenarbeit auf internationaler Ebene bewährt.

Sie und auch der Bundesverteidigungsminister haben gesagt, dass Deutschland natürlich nach 2014 noch für Afghanistan Verantwortung zeigen wird. Glauben Sie, dass das der deutschen Öffentlichkeit klar ist?

Eine große Mehrheit der Bürger ist froh darüber, dass die jetzige Bundesregierung in den letzten beiden Jahren den Abzug eingeleitet hat. Ich habe das vor der Bundestagswahl versprochen und freue mich darüber, dass der Abzug jetzt in großer Einigkeit mit der internationalen Staatengemeinschaft umgesetzt wird. Natürlich ist klar, dass der Einsatz der letzten zehn Jahre nicht umsonst gewesen sein darf. Wir müssen wachsam bleiben im Kampf gegen den Terrorismus. Das ist auch eine Frage unserer eigenen Sicherheit. Wir dürfen nicht zulassen, dass Staaten zerfallen und zu Rückzugsgebieten für Terroristen werden. In Somalia kam es nach dem staatlichen Zerfall zu einer dramatischen Zunahme der Piraterie. Das gefährdet nicht nur unsere Sicherheit, sondern schadet auch unseren Interessen als größter Handelsnation Europas.

Sie und die Kanzlerin haben in den vergangenen Tagen mehrfach darauf hingewiesen, dass die Kritik an Deutschland, am vermeintlich zögerlichen Verhalten Deutschlands, innerhalb der Nato unberechtigt sei. Es gäbe genügend Beispiele etwa in Afghanistan und dem Kosovo, wo Deutschland sich engagiert. Gleichwohl ist natürlich die Nichtbeteiligung Deutschlands am Einsatz gegen Gaddhafi in Libyen ein immer wiederkehrender Vorwurf an die deutsche Adresse, der sich auch in ihrer Person personifiziert. Wurden Sie in Chicago darauf angesprochen?

Nein. Die Arbeit Deutschlands in der internationalen Staatengemeinschaft wird sehr geschätzt. Ich habe seinerzeit unsere Entscheidung, keine deutschen Soldaten in den Einsatz nach Libyen zu schicken, umfangreich mit unseren Partnern besprochen. Die Mehrzahl der Nato- und EU-Staaten hat keine Soldaten nach Libyen geschickt.

Das heißt, Sie würden heute in einer ähnlichen Situation wieder so entscheiden?

Ich habe die Entscheidung, keine deutschen Soldaten nach Libyen zu schicken, im Ausland und zu Hause ausführlich begründet. Es trifft nicht zu, dass das unser Ansehen international geschwächt hat. Unser internationales Engagement wird hoch anerkannt. In Afghanistan sind wir seit 10 Jahren engagiert und der drittgrößte Truppensteller. Wir sind auch bei der Pirateriebekämpfung, auf dem Balkan oder vor der Küste des Libanon engagiert. Das wird respektiert.

Werden Sie in Libyen darauf angesprochen, ihr habt euch ja seinerzeit nicht daran beteiligt, den Diktator aus dem Amt zu jagen?

Ich bin seither zweimal in Libyen gewesen, auch mit einer Wirtschaftsdelegation. Dort war man dankbar für unsere praktische Unterstützung, etwa durch humanitäre Hilfe, durch die Behandlung von Verletzten oder durch die schnelle Bereitstellung eines Kredites, als der nationale Übergangsrat einen erheblichen Finanzbedarf hatte.

Sie haben ja bevor sie Außenminister wurden sich auch mit außenpolitischen Themen befasst, aber es war sicherlich nicht der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit. Wie füllt man so ein Amt nach und nach aus? Ihnen wurde ja nachgesagt, dass sie mit dem Amt ein bisschen fremdeln würden. Wie wächst man in so ein Amt hinein, in dem man ein neues Deutschland repräsentieren muss?

Schon als Partei- und Fraktionsvorsitzender habe ich mich intensiv auch mit Außenpolitik beschäftigt und regelmäßig die USA, europäische Partner und die neuen Kraftzentren der Welt besucht. Viele meiner Außenministerkollegen sind mir aus dieser Zeit bekannt. Ich bin mit großer Leidenschaft Außenminister.

Wie repräsentiert man denn heutzutage Deutschland im Ausland? Ist eine Sensibilität bei den Gesprächspartnern für deutsche Vergangenheit vorhanden?

W: Ein deutscher Außenminister muss immer auch die deutsche Geschichte im Hinterkopf haben. Oft genug resultiert daraus eine besondere Verantwortung. Wenn ich mich etwa international für Menschenrechte einsetze, tue ich das nicht mit dem erhobenen Zeigefinger eines Lehrmeisters aus dem Westen, sondern stets mit dem Hinweis, dass wir uns selbst nach dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte den Respekt vor den Menschenrechten erarbeiten mussten. Auch deshalb legen wir so viel Wert auf eine werteorientierte Außenpolitik. Wer die Zukunft eines Landes gestalten möchte, muss die Geschichte kennen und daraus die richtigen Lehren ziehen. Ich rate in der Europapolitik dazu, dass gerade wir Deutsche ein ausreichendes Maß an Sensibilität gegenüber unseren Gesprächspartnern in Europa haben. Gerade weil wir wirtschaftlich stark sind, sollten wir ein besonderes Maß an Respekt gegenüber anderen Völkern und anderen Ländern zeigen. Für manches, was in der Debatte über Griechenland bei uns gesagt worden ist, habe ich kein Verständnis.

Weil?

Weil man in einer Schuldenkrise einem Land doch nicht im Ernst vorschlagen kann: Verkauft eure Inseln. Das war eine teutonische Keule, die immer zu einem Bumerang wird und die sich auch nicht gehört.

Wenn sie Deutschland im Ausland repräsentieren, reisen sie auch gelegentlich mit Ihrem Lebenspartner. Ich weiß, dass viele Bürger im Lande die Natürlichkeit oder die Normalität, mit der sie das tun, anerkennen, obwohl es ja, glaube ich, der erste Fall ist, dass ein deutscher Außenminister so etwas tut. Wie reagiert man in Ländern darauf, in denen gleichgeschlechtliche Partnerschaften entweder geächtet oder gar verboten sind.

Das wurde in Deutschland mehr problematisiert als im Ausland. Die Welt hat sich weiterentwickelt, vielleicht auch dadurch, dass zum ersten Mal ein Außenminister seinen gleichgeschlechtlichen Partner nicht verschweigt. Wir hatten vor kurzem ein Treffen in den USA mit Vertretern von Schwulen, Lesben und Transgender-Vertretern. Sie haben es als Ermutigung empfunden, dass ich mich offen mit ihnen getroffen habe. Wir dürfen in der Welt nicht nur unsere Wirtschafts-, Sicherheits- und strategischen Interessen vertreten, sondern wir müssen immer auch für unsere Werte eintreten. Dazu zählen die Menschen- und Bürgerrechte, die religiöse Pluralität, die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit und der Respekt gegenüber Minderheiten.

Für sie als Außenminister: was sind die größten Herausforderungen in den nächsten Monaten?

Zuerst die Zukunft der europäischen Einigung. Auf Europa wirken derzeit viele Fliehkräfte. Manche meinen, man könnte Teile von Europa rückabwickeln. Dabei wird vergessen, dass dann auch andere Errungenschaften wie die Reisefreiheit, die wir alle schätzen, auf dem Spiel stehen. Meine Generation weiß noch, wie wenig selbstverständlich und wie kostbar das alles ist.

Und heute fahrt man mit dem Eurocity von Hamburg nach Budapest und wird nicht kontrolliert.

Ich hoffe, dass wir Deutsche klug genug sind zu begreifen, dass Europa nicht nur die Antwort des Friedens auf Jahrhunderte von Kriegen ist, sondern dass es zugleich unsere wirtschaftliche Lebensversicherung in Zeiten der Globalisierung ist. Allein in Indien werden bald 1,5 Milliarden Menschen leben, also dreimal so viel wie in der gesamten Europäischen Union. Auf diese Wettbewerber und gleichzeitigen Partner müssen wir uns einstellen. Europa muss sich als Kulturgemeinschaft behaupten wollen.

Für unsere Bürger oder unsere Leser ist nicht immer ganz klar, wo denn eigentlich Außenpolitik gemacht wird. Sie sehen die Kanzlerin auf großen Konferenzen und bei Zusammenkünften, sie fragen dann manchmal, macht jetzt eigentlich das Auswärtige Amt oder das Kanzleramt Außenpolitik?
Können Sie das unseren Lesern erklären, wie sich das Auswärtige Amt und das Kanzleramt abstimmen?

Wir stimmen uns in allen außenpolitischen Fragen eng ab. Das gilt auch für den Verteidigungs-, Entwicklungs- und andere Minister. Viele Ministerien haben zunehmend internationale Aufgaben. Ich denke zum Beispiel an die wichtigen Fragen von Bildung, Schulpartnerschaften oder internationaler Forschungszusammenarbeit. Diese Außenwissenschaftspolitik ist genauso wichtig wie die vom Wirtschaftsministerium verantwortete Außenwirtschaftspolitik. Der Außenminister hat die Aufgabe, die Grundlinien zu konzipieren und dafür zu sorgen, dass es einen einheitlichen und überzeugenden Auftritt der verschiedenen Institutionen im Ausland gibt.

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