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Außenminister Westerwelle im Interview mit der 'Passauer Neuen Presse'
Das folgende Interview mit Außenminister Guido Westerwelle erschien am 10. März 2012 in der 'Passauer Neuen Presse„ (Samstag-Ausgabe).
Kein Ende der Massaker an der Bevölkerung in Syrien durch den Diktator Assad. Ein Jahr nach Beginn der Revolte werden in Syrien die Gräber knapp. Wie lange will die Welt noch zuschauen?
Die Welt, Europa und Deutschland schauen nicht zu. Wir handeln und haben drei Ziele: Die Gewalt muss gestoppt und humanitäre Hilfe ermöglicht werden. Der politische Wandel in Syrien muss unterstützt werden. Wir arbeiten dafür, dass es durch die Außenminister-Sitzung des UN-Sicherheitsrates am Montag, an der ich auch teilnehmen werde, endlich Bewegung zur Unterstützung des syrischen Volkes geben wird.
Was mag Russland und China bewegen, sich einer Syrien-Resolution im Weltsicherheitsrat zu verweigern und weiter die schützende Hand über den Diktator zu halten?
Russland muss wissen, dass es nicht um Schwächung seiner strategische Interessen in der Region geht. Wir wollen den Menschen in ihrem berechtigten Anliegen nach Freiheit und ihren Bürgerrechten beistehen. Es wird mit Hochdruck auf allen Kanälen dafür gearbeitet, dass in den Vereinten Nationen neue Bewegung möglich wird. Ich hoffe, dass nach den Wahlen in Russland in der Syrien-Frage noch einmal nachgedacht wird.
Die humanitäre Situation wird immer dramatischer. Die Vereinten Nationen planen ein Notprogramm. Wie lässt sich Hilfe durchsetzen?
Wir leisten seit Monaten humanitäre Hilfe und unterstützen das Engagement unter anderem des Internationalen Roten Kreuzes. Kofi Annan, der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga, hat unsere volle Unterstützung. Er wird heute in Damaskus sein und genießt auch in Moskau und Peking eine große Autorität. Angesichts der entsetzlichen Lage vor Ort ist es leider nicht leicht, den notleidenden Menschen zu helfen. Aber wir müssen Wege finden. Das ist eine unserer Prioritäten im Moment.
Warum soll in Syrien nicht gehen, was im Kosovo oder in Libyen möglich war? Weshalb werden militärische Optionen ausgeschlossen?
Die Lage ist in jedem Land anders. Lösungen müssen immer passgenau sein. Ich beteilige mich nicht an Spekulationen über militärisches Eingreifen und teile die Einschätzung von Kofi Annan hierzu. Wir haben das Ziel, den Menschen zu helfen, aber es darf kein Flächenbrand in der Region ausgelöst werden. Eine regionale Eskalation muss verhindert werden. Oberstes Ziel jetzt muss ein Ende der Gewalt und Hilfe für die Menschen in Syrien sein, dann die Arbeit an einem politischen Neubeginn.
Im Atomkonflikt mit dem Iran scheint die Diplomatie an ihre Grenzen gestoßen zu sein. Israel erwägt einen militärischen Angriff, soll bereits Bunker brechende Bomben von den USA angefordert haben. Wie lässt sich eine Eskalation noch vermeiden?
Washington und Berlin sind gemeinsam der Überzeugung, dass eine nukleare Bewaffnung des Iran nicht akzeptiert werden kann. Gleichzeitig setzen wir auf eine diplomatische und politische Lösung. Es ist bedauerlich, dass Iran bisher mit der Internationalen Atomenergiebehörde nicht kooperiert hat. Teheran hat es selbst in der Hand, die Sanktionen zu beenden. Der Schlüssel zur Aufhebung der Sanktionen liegt in Teheran. Es muss nachvollziehbar und nachprüfbar sein, dass der Iran nicht nach der Atombombe greift. Unsere Zwei-Wege-Strategie wirkt: Umfassende Sanktionen und Angebote zu ernsthaften Gesprächen. Ich stimme mit meinem israelischen Außenministerkollegen Avigdor Lieberman überein, dass öffentliche Diskussionen über Militäraktionen schädlich sind.
Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht von deutscher Staatsraison, wenn es um die Hilfe für Israel geht. Wie weit würde der Beistand gehen?
Die Sicherheit und das Existenzrecht Israels gehören für jede Bundesregierung zur Staatsräson. Dem ist nichts hinzuzufügen. Das ist eindeutig.
Empörung über Altkanzler Gerhard Schröder wegen dessen Kritik an den Wahlbeobachtern in Russland und seinem Lob für Präsident Putin. Für die Opposition in Moskau muss das wie ein Schlag ins Gesicht wirken, oder?
Wir werden die Ankündigung des gewählten Präsidenten Putin beim Wort nehmen, allen Hinweisen auf Wahlmanipulationen mit Entschiedenheit nachzugehen. Jetzt müssen ihr auch Taten folgen. Die Äußerungen von Altbundeskanzler Gerhard Schröder will ich nicht kommentieren. In der Sache haben wir ein strategisches Interesse an der Partnerschaft mit Russland. Diese Partnerschaft wollen wir weiter ausbauen. Das heißt aber nicht, dass wir deshalb keine Kritik üben.
Zur Euro-Krise: Griechenland erreicht ein Etappenziel beim Schuldenschnitt. Ist der Staatsbankrott jetzt abgewendet oder nur weiter aufgeschoben?
Die hohe Beteiligung privater Gläubiger am Anleihenumtausch zeigt, dass wir in unserer Lösungsstrategie Schritt für Schritt vorankommen. Das ist erfreulich, erfordert aber weiterhin viel Arbeit und verantwortungsvolles Handeln. Es gibt noch keinen Anlass zur Entwarnung, aber Grund zu neuer Zuversicht.
Wie kann Griechenland den Staatsbankrott doch noch abwenden?
Athen weiß, dass der Wiederaufstieg auf zwei Säulen stehen muss: Dazu gehört Haushaltsdisziplin und die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Jetzt müssen die Reformen zügig umgesetzt werden. Das griechische Volk nimmt große Anstrengungen in dieser Krise auf sich. Das verdient Respekt und Anerkennung. Ich warne vor falschen Zwischentönen. Wir sollten Griechenland mit Respekt begegnen und dabei helfen, wieder für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit zu sorgen.
Sie fordern die Direktwahl eines EU-Präsidenten. Wäre das nicht nur ein symbolischer Schritt ohne große Wirkung?
Es geht darum, schon jetzt in der Krise über die Krise hinauszublicken. Wie schaffen wir mehr Akzeptanz für Europa bei den Bürgern? Ein direkt gewählter Präsident müsste in ganz Europa für sich und seine Politik werben. Das wäre ein großer Schritt vorwärts für die Sichtbarkeit, Legitimität und Akzeptanz europäischer Politik.
Weshalb sollte der neue Fiskalpakt funktionieren, wo doch schon der Stabilitätspakt nicht eingehalten worden war?
Die Einigung auf den Fiskalpakt ist für Europa ein Durchbruch. Die Möglichkeit der Kontrolle der Einhaltung von Haushaltsdisziplin und Schuldenbremse durch den Europäischen Gerichtshof ist dabei ein großer Fortschritt. Das gab es bisher nicht. Verstöße gegen den Fiskalpakt ziehen automatisch Sanktionen nach sich. Ich erwarte, dass die heutige Opposition den rot-grünen Fehler der Aufweichung des Stabilitätspakts 2005 korrigiert und die Ratifizierung des Fiskalpakts unterstützt.
SPD und Grüne knüpfen die Zustimmung im Bundestag zum Fiskalpakt an Bedingungen.
Die Lage in Europa ist zu ernst für einen parteipolitischen Kuhhandel.
Die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich verschärft. Werden die internationalen Streitkräfte am Ende aus dem Land gebombt?
Es bleibt bei dem vereinbarten Zeitplan für die Übergabe der Sicherheitsverantwortung und den Abzug der internationalen Truppen. Seit ich Außenminister bin, sage ich, dass es für Afghanistan keine militärische, sondern nur eine politische Lösung geben kann. Wir müssen den Aussöhnungsprozess in Afghanistan unterstützen. Es geht jetzt um eine geordnete Übergabe, damit die internationalen Kampftruppen wie vereinbart bis Ende 2014 das Land verlassen können.
Im Sommer findet die Fußball-Europameisterschaft in Polen und in der Ukraine statt. Kann das Turnier dort unbeschwert stattfinden, obwohl es massive Menschenrechtsverletzungen gibt, und die frühere Regierungschefin Timoschenko unter fadenscheinigen Gründen in Haft sitzt?
Solche eher unpolitischen Sportereignisse sollten nicht gleich mit Boykottaufrufen versehen werden. Wir sollten dieses Ereignis stattdessen nutzen, um offen auf die Missstände hinzuweisen. Dazu gehört auch die rechtsstaatliche Behandlung der früheren Regierungschefin Timoschenko und anderer früherer Regierungsmitglieder.
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Ein Jahr nach der Katastrophe von Fukushima - Deutschland scheint mit der Energiewende ziemlich allein zu sein. Welche Lehren hat die Weltgemeinschaft gezogen?
Mit Fukushima hat in der gesamten Welt ein Nachdenken und teilweise auch ein Umdenken begonnen. Deutschlands Entschlossenheit, ein neues Zeitalter in der Energiepolitik aufzuschlagen, wird in der Welt respektiert und mit großem Interesse verfolgt. Wir sind im Bereich der erneuerbaren Energien weltweit führend. Das eröffnet uns enorme neue wirtschaftliche Potenziale. Wir stehen jetzt erst am Anfang eines neuen energiepolitischen Zeitalters.
Fragen: Andreas Herholz. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Passauer Neuen Presse.