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Syrien: „Alles tun, um die Gewalt zu stoppen“

08.02.2012 - Interview

Außenminister Guido Westerwelle im Interview zum Arabischen Frühling und zu den Folgen des russischen und chinesischen Vetos gegen eine Syrien-Resolution des VN-Sicherheitsrates. Erschienen in der Neuen Osnabrücker Zeitung vom 08.02.2012

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Arabellion - dieses Kunstwort fasst sehr unterschiedliche Ausprägungen des Arabischen Frühlings zusammen. Wo in Nordafrika und in der arabischen Welt sehen Sie die größte Chance für demokratische Strukturen?

Die Entwicklungen verlaufen sehr unterschiedlich. Am weitesten ist der Prozess der Öffnung und Demokratisierung sicherlich in Tunesien mit der Wahl einer verfassungsgebenden Versammlung und der Einsetzung einer demokratisch legitimierten Regierung. Wir sollten aber nicht vergessen, dass es neben revolutionären Umbrüchen wie in Tunesien, Ägypten oder Libyen auch hoffnungsvolle evolutionäre Reformprozesse wie in Marokko oder Jordanien gibt, die zu mehr demokratischer Teilhabe führen können.

Ein Jahr nach Beginn der Revolution hat Ägypten ein Parlament, das so frei und fair ist gewählt ist wie noch nie. Mehr als zwei Drittel der Abgeordneten sind Islamisten, ein gutes Dutzend stellt der alte Militärrat, eine Handvoll die Jungrevolutionäre. Haben diese liberalen Kräfte eine Chance?

Wichtig ist, dass die Ideen, für die die Revolutionäre auf die Straße gegangen sind, lebendig bleiben, das heißt: Freiheit, Pluralismus, religiöse Toleranz. Der Militärrat steht in der Pflicht, die Machtübergabe in zivile Hände wie geplant zu Ende zu führen. Von der Partei der Muslimbrüder, mit deren Vorsitzenden ich kürzlich in Kairo zusammentraf, erwarten wir, dass sie ihr verbales Bekenntnis zu einer demokratischen und pluralen Gesellschaft und zum innerern und äußeren Frieden in die Tat umsetzen. Wie die jüngsten Ereignisse und die Gewalt zeigen, ist die Lage in Ägypten nach wie vor sehr schwierig und labil. Wir müssen tun, was wir können, um einen erfolgreichen demokratischen Umbruch zu unterstützen.

Rechnen Sie mit einer zweiten Revolutionswelle vieler Enttäuschter, die korrupte Institutionen und die Reste der alten Kader hinwegfegt?

Das Entscheidende wird sein, ob die revolutionären Umbrüche die Ergebnisse bringen, die sich die Menschen von ihnen erhofft haben. Dazu gehört neben der gesellschaftlichen Öffnung zweifelsohne auch, dass es wirtschaftlich endlich wieder aufwärts geht und sich die persönlichen Lebenschancen der Menschen verbessern. Das ist eine ganz wichtige Frage für den Erfolg der Umbrüche. Hier sind auch wir gefragt: mit Investitionen, Ausbildungsunterstützung und der Öffnung der europäischen Märkte für Produkte aus den Reformländern Nordafrikas, für die ich mich einsetze.

Blutige Massaker in Syrien, wo Machthaber Assad das eigene Volk niedermetzeln lässt. Im UNO-Sicherheitsrat lehnt Russland jede Sanktion gegen Syrien ab. Sind die Waffenlieferungen an Assad der Grund oder die Sorge vor einem Kampfeinsatz wie in Libyen?

Das russische und chinesische Veto im Sicherheitsrat war ein Veto gegen die Menschen in Syrien. Über die Gründe dieser aus meiner Sicht zutiefst falschen Entscheidung möchte ich nicht spekulieren. Entscheidend ist nun, dass wir im Sicherheitsrat und außerhalb des Sicherheitsrates alles tun, was wir können, um die Gewalt zu stoppen. Dazu kann ein neuer Anlauf im Sicherheitsrat genauso gehören wie harte Sanktionen gegen das Assad-Regime. Wir wollen außerdem eine Kontaktgruppe der „Freunde eines demokratischen Syrien“ gründen. Präsident Assad muss endlich den Weg für einen demokratischen Wandel freimachen.

Würde sich Deutschland bei einer UNO-Abstimmung über eine militärische Intervention in Syrien der Stimme enthalten?

Es geht in New York darum – und nur darum – dass das oberste Gremium für Frieden und Sicherheit in der Welt die unerträgliche Gewalt des Assad-Regimes gegen sein eigenes Volk endlich klar verurteilt. Bisher ist das am Veto Russlands und Chinas gescheitert. Wir werden alles dafür tun, dass in Moskau und Peking umgedacht wird.

In Libyen gelang der Sturz von Machthaber Gaddafi erst in einem blutigen Bürgerkrieg. Findet das Land zu Normalität zurück?

Die Situation in Libyen ist längst noch nicht stabil. Gleichwohl konnte ich bei meinem letzten Besuch vor einigen Wochen überzeugen, dass es Fortschritte in Richtung Normalisierung gibt. Die Wirtschaft läuft langsam wieder an, Übergangsrat und Übergangsregierung haben einen Fahrplan für den schrittweisen Aufbau legitimierter Institutionen erarbeitet, die Behandlung von Verwundeten des Bürgerkriegs kommt auch dank deutscher Unterstützung voran, in Tripolis haben die Geschäfte geöffnet, man spürt einen Hauch zurückkehrender Normalität. Natürlich bleiben die Sicherheitslage, die Wiedereingliederung früherer Kämpfer und das Fehlen jeglicher demokratischer Erfahrungen sehr schwierig.

Fragen: Beate Tenfelde. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Neuen Osnabrücker Zeitung.

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