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„Jetzt verbietet sich Schwarzmalerei“ (Interview)
Außenminister Guido Westerwelle im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung zur europäischen Schuldenkrise. Erschienen am 17.01.2012.
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Herr Minister, mit welchem Eindruck kommen Sie aus Athen zurück: Hat der griechische Ministerpräsident Lukas Papademos die Kraft, sein Land durch massive Spar- und Reformanstrengungen vor dem Bankrott zu retten?
Ich traue Ministerpräsident Papademos die beherzte Umsetzung des anspruchsvollen Reformprogramms zu, das wir gemeinsam in Europa verabredet haben. Allerdings ist es notwendig, dass er dabei von allen politischen Kräften in Griechenland unterstützt wird.
Sie haben sich auch mit dem Oppositionsführer Antonis Samaras getroffen: Der ist bislang als Totalblockierer aufgefallen…
Auch in dem Gespräch mit Antonis Samaras habe ich unsere Erwartung sehr deutlich gemacht, die tief greifenden Reformen unabhängig von Parteipolitik durchzusetzen. Aber ich habe nicht nur Erwartungen geäußert, sondern wollte auch ermutigen. Es geht darum, die Probleme gemeinsam zu meistern.
In Griechenland hat sich Zukunftsangst in Wut auf die Deutschen entladen, auf deren vermeintlichen Befehlston und deren Besserwisserei. Wie haben Sie das wahrgenommen?
Wenn in Deutschland über Griechenland oder in Griechenland über Deutschland öffentlich gewettert wird, drückt das nicht die allgemeine Meinung und Stimmungslage aus. Die meisten Menschen können da sehr gut unterscheiden – und zwar in beiden Ländern. Schon beim ersten Hilfspaket für Griechenland hat Deutschland mit der Zusage einer Beteiligung von 22,4 Milliarden Euro einen mehr als handfesten Beitrag geleistet, davon sind 15 Milliarden Euro bereits ausgezahlt. Das wird von den Griechen sehr wohl registriert und geschätzt. Ich rufe dazu auf, sich nicht von Vorurteilen und Klischees leiten zu lassen.
Wie ordnen Sie den Vorstoß von Spitzenmanager Wolfgang Reitzle ein, Deutschland solle die Euro-Zone verlassen, wenn die EU-Nachbarn nicht Haushaltsdisziplin halten?
Wir sind auf gutem Weg zu einer echten Stabilitätsunion: Haushaltsdisziplin gehört natürlich dazu – wie auch Sanktionen bei möglichen Verstößen. Ich werbe mit Nachdruck dafür, sich gegen die Fliehkräfte zu stemmen, die in der Krise auf Europa wirken. Europa ist mehr als der Euro und der Binnenmarkt. Es ist eine Schicksalsgemeinschaft. Wir müssen in Zeiten der Globalisierung zusammenstehen, auch um im Wettbewerb mit den zunehmend erstarkenden Kraftzentren wie China, Indien oder Brasilien bestehen zu können.
Griechenlands Regierungschef hat erklärt, sein Land sei ohne Hilfe von außen im März zahlungsunfähig. Wie groß ist die Gefahr?
Es wird zu viel spekuliert. Daran werde ich mich nicht beteiligen. Wir haben gute Chancen, dass Europa gemeinsam die Lage meistert. Klar ist: Eine Schuldenkrise löst man nicht dadurch, dass man das Schuldenmachen erleichtert. Deshalb sage ich – auch den deutschen Oppositionsparteien – immer wieder, Eurobonds sind nicht nur ungeeignet für eine wirkliche Konsolidierung. Sie würden auch den Wohlstand in Deutschland und Europa gefährden, weil immer mehr Schulden und immer höhere Steuern keine Lösung sind.
Einige Banken und Hedgefonds sträuben sich gegen einen Schuldenschnitt für Griechenland und den Forderungsverzicht auf 100 Milliarden Euro. Der ist Voraussetzung für ein zweites, 130 Milliarden Euro schweres EU-Hilfspaket für Athen. Scheitert der Rettungsplan?
Lassen Sie uns abwarten, wie die Verhandlungen weitergehen. Jedermann weiß, wie prekär die Lage ist. Der psychologische Faktor ist nicht zu unterschätzen. Da verbieten sich Schwarzmalerei und öffentliche Debatten über Katastrophenszenarien.
Haben Sie bei Regierungschef Papademos auch das Thema „Rückkehr zur Drachme“ angesprochen?
Nein. Ich rate dringend von der Infragestellung des Euro wo auch immer ab. Vertrauensbildend ist das gewiss nicht. Es verschreckt nur Bürger und Investoren.
Stichwort Rating-Agenturen: Mittlerweile ist die Bonität von neun Euro-Staaten herabgestuft. Ist das eine anglo-amerikanische Attacke auf den Euro?
Ich bin kein Verschwörungstheoretiker. Aber sogar die Agenturen selbst räumen ein, dass sie auch politische Bewertungen vornehmen. Ich plädiere entschieden für die Schaffung von unabhängigen europäischen Rating-Agenturen. Dafür ist es höchste Zeit. Mehr Wettbewerb täte gut. In Deutschland haben wir sehr gute Erfahrungen mit der unabhängigen „Stiftung Warentest“ gemacht. Niemand stellt ihre Unparteilichkeit, ihr Urteilsvermögen und ihre Staatsferne in Zweifel. Die Stiftung Warentest genießt große Glaubwürdigkeit. Warum nehmen wir nicht die Idee einer solchen Stiftung als Vorbild für eine unabhängige europäische Rating-Agentur? Ich werde dazu erneut Gespräche mit meinen europäischen Amtskollegen aufnehmen.
Kommen auf Deutschland größere Verpflichtungen bei der Euro-Rettung zu, nachdem Frankreich seine Top-Bonität verlor?
Es wird bei der Lastenteilung bleiben, wie sie in Europa verabredet worden ist. Ich sehe auch keine Eintrübung des ausgezeichneten Verhältnisses mit Frankreich. Ich vertraue darauf, dass Präsident Nicolas Sarkozy die angekündigten Reformen in Frankreich weiter vorantreibt.
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Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Neuen Osnabrücker Zeitung. Fragen: Beate Tenfelde.