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„Wir müssen weiter die Maßstäbe setzen!“: Interview mit Außenminister Westerwelle in der Fachzeitschrift Produktion zur Eurokrise

12.01.2012 - Interview

Außenminister Guido Westerwelle zur Eurokrise. Erschienen in der Online-Ausgabe der Fachzeitschrift Produktion (www.produktion.de) am 12.01.2012

Das Thema Eurokrise sorgt viele Unternehmen: Welche Chance hätten einzelne europäische Länder künftig für sich genommen - angesichts einer Kräfteverschiebung in der Weltwirtschaft hin zu Ländern wie China, Indien oder Brasilien? Und welche Rolle würde ein Scheitern des Euro in diesem Kontext spielen?

Die Antwort auf die Schuldenkrise genauso wie auf den Aufstieg der neuen Kraftzentren der Welt liegt in einem: Wir brauchen mehr Europa, nicht weniger Europa! Indem wir Europa zu einer international wettbewerbsfähigen Stabilitätsunion weiter entwickeln, schaffen wir die Voraussetzungen für eine nachhaltige Überwindung der Krise. Die Stabilitätsunion wird Europa zu größerer Haushaltsdisziplin verpflichten. Zugleich werden die europäischen Institutionen gestärkt: Sie überwachen den Pakt und können bei Regelverstößen eingreifen – und zwar ohne davon aus politischen Gründen abgehalten zu werden. Ich bin sicher, dass wir auf diesem Weg das Vertrauen in einen stabilen Euro zurückgewinnen werden.

Könnte es am Ende so kommen, dass Deutschland und die EU Verlierer der Globalisierung werden?

Die Globalisierung ist eine wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Realität. Die weltweiten Handels-, Investitions- und Zahlungsströme verschieben sich in rasanter Geschwindigkeit in Richtung der neuen Kraftzentren der Weltwirtschaft. Brasilien, Indien, China und Südafrika haben ihren Anteil am weltweiten BIP in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt! Damit Europa als globale Gestaltungsmacht bestehen kann, muss es wirtschaftlich wettbewerbsfähig und politisch geeint sein. Unsere bestehenden Partnerschaften - etwa mit unseren transatlantischen Partnern in den USA und Kanada – müssen wir weiter pflegen und ausbauen. Um Europa globalisierungsfest zu machen, müssen wir aber auch neue Partnerschaften mit den aufsteigenden wirtschaftlichen und politischen Kraftzentren eingehen.

Was sind aus Ihrer Sicht die Vorteile dieser aufstrebenden Ökonomien, wo können wir uns in wirtschaftlicher Hinsicht noch etwas abschauen, wo können sie von uns lernen?

Viele Länder beneiden uns um unseren dynamischen, innovativen und kreativen Mittelstand. Die deutsche Wirtschaft ist bestens gerüstet für die Herausforderungen der Globalisierung. Nur wenige profitieren so wie wir von den Chancen, die der Aufstieg neuer Kraftzentren bietet. Aber auch hier gilt: Alleine hätte Deutschland große Mühe, den Veränderungen zu begegnen, die damit verbunden sind. Auch um unsere Interessen effektiv wahrzunehmen und in der Welt Gehör zu finden, brauchen wir ein Europa, das mit einer Stimme spricht und seinen großen Binnenmarkt konsequent weiter entwickelt.

Wie sehen Sie die deutsche Wirtschaft im globalen Umfeld aufgestellt?

Deutschland gehört zu den weltweit führenden Volkswirtschaften. Unsere Unternehmen sind global wettbewerbsfähig, ihre Produkte weltweit gefragt. Der deutschen Wirtschaft, insbesondere dem Mittelstand geht es so gut wie seit vielen Jahren nicht mehr. Die Beschäftigungszahlen sind auf einem Höchststand, die Arbeitslosigkeit sinkt. Unser Land ist insgesamt gestärkt aus der Wirtschafts- und Finanzkrise hervorgegangen. Hierzu hat die verantwortungsvolle Politik dieser Bundesregierung einen wichtigen Beitrag geleistet.

Was muss Deutschland tun, um auch langfristig eine führende Position in der Weltwirtschaft einzunehmen?

Es sind vor allem die gut qualifizierten Mitarbeiter der Unternehmen, die die starke Position der deutschen Wirtschaft in der Welt ermöglichen. Deutschland wird diese Spitzenstellung mit starker Industrie und hochqualifiziertem Handwerk nur halten können, wenn wir weiter Maßstäbe bei Innovation und Kreativität setzen.Hier müssen wir ansetzen. Investitionen in Bildung und Forschung sowie die Entwicklung und Vermarktung neuer Technologien werden entscheidend für die Wahrung unserer führenden Rolle in der Weltwirtschaft und unseres Wohlstands sein.

Welche Rolle spielen dabei die deutschen Unternehmen, speziell der industrielle Mittelstand? Wo sehen Sie unsere Assets, wo ist noch Entwicklung nötig?

Kein Land der Welt verfügt über so viele „hidden champions“ – einer breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannte Weltmarktführer – wie Deutschland. Ein wettbewerbsfähiger, innovativer und international aktiver Mittelstand ist eines der herausragenden Alleinstellungsmerkmale der deutschen Volkswirtschaft. Unsere Wettbewerber beneiden uns darum. Diese Stärke gilt es zu bewahren und weiter zu entwickeln. Dabei müssen wir viele Herausforderungen meistern. Um nur einige zu nennen: Wir müssen unsere Anstrengungen fortsetzen, die Bürokratiekosten für die Unternehmen zu senken. Angesichts des demografischen Wandels müssen wir auf dem Arbeitsmarkt noch stärker die Fähigkeiten und Erfahrungen älterer Menschen nutzen. Wir müssen die Attraktivität Deutschlands für hochqualifizierte ausländische Arbeitnehmer verbessern.Für mittelständische Unternehmen ist besonders wichtig, dass ein Umfeld geschaffen wird, in dem reibungslose Unternehmensnachfolgen möglich sind.

Am 25.1. sprechen Sie auf dem „Kongress der Weltmarktführer“ in Schwäbisch Hall. Welche Bedeutung haben die weltmarktführenden Unternehmen für Deutschland?

Ohne die Weltmarktführer wird Deutschland nicht zu den erfolgreichsten und wettbewerbsfähigsten Volkswirtschaften gehören. Ihr wirtschaftlicher Erfolg verleiht der Stimme Deutschlands in der Welt Gewicht. Die wirtschaftliche Kraft seiner Unternehmen eröffnet uns – auch in der Außenpolitik - politische Gestaltungsmöglichkeiten, die wir sonst nicht hätten.

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