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Rede des Koordinators für die transatlantische Zusammenarbeit, Harald Leibrecht, am 5.12.2011 im Deutsch-Amerikanisches-Zentrum / Byrnes-Institut Stuttgart

05.12.2011 - Rede

„Chancen und Herausforderungen der transatlantischen Beziehungen“

--Es gilt das gesprochene Wort! --

Haben Sie vielen herzlichen Dank für die freundliche Einladung, heute mit Ihnen über Chancen und Herausforderungen in den transatlantischen Beziehungen zu sprechen.

Das Amt des Koordinators für die transatlantische Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt gibt es nunmehr seit 30 Jahren; ich übe diese Funktion seit Juli diesen Jahres zusätzlich zu meinem Mandat als Abgeordneter aus. Kern der Tätigkeit des Koordinators ist es, auf beiden Seiten des Atlantiks Gemeinsamkeiten zu befördern und Unterschiede zu erklären. Aber natürlich setzt jeder Amtsinhaber andere Schwerpunkte. Für mich stehen vor allem der menschliche und wissenschaftliche Austausch und die Förderung der Wirtschaft im Vordergrund, die Zusammenarbeit unterhalb der Regierungsebene mit den vielen Netzwerken, die die transatlantische Partnerschaft tragen.

Die Arbeit der Deutsch-Amerikanischen Institute und Zentren ist innerhalb dieser Netzwerke ein wichtiger Fokuspunkt. Ich habe große Hochachtung vor dem Engagement mit dem diese Einrichtungen nach Schließung der Amerika-Häuser in neue Organisationsformen überführt wurden.

Es ist mir ein Anliegen, meine Tätigkeit als Koordinator nicht auf die Hauptstädte zu beschränken; daher sind die Deutsch-Amerikanischen Einrichtungen wichtige Partner für mich und ich freue mich auf eine enge Zusammenarbeit. Besonders schön ist es natürlich, dass ich den Anfang mit einem Termin hier in der Heimat machen kann.

In der Ankündigung für die heutige Veranstaltung steht ja Gespräch, daher möchte ich keinen langen Vortrag halten, sondern in meinemn Ausführungen vor allem auf drei Punkte eingehen

- den derzeitige Stand der transatlantischen Beziehungen,
- die Parameter, die die Beziehungen in den letzten Jahren verändert haben und
- die Herausforderungen, die die transatlantische Agenda bestimmen und die Konsequenzen, die sich daraus ergeben.

Transatlantische Beziehungen: Pfeiler der deutschen Außenpolitik

Das transatlantische Beziehungen sind neben der europäischen Integration der zweite Pfeiler der deutschen Außenpolitik – das gilt seit Gründung der Bundesrepublik und daran, das will ich hier ausdrücklich unterstreichen, kann es kein Rütteln geben.

Belege für die Bedeutung der transatlantischen Beziehungen finden sich zuhauf:

- die Dichte und die Volumina des wirtschaftlichen Austauschs,
- die enge Zusammenarbeit und Abstimmung in allen sicherheitspolitischen Fragen,
- die vielfältigen Kontakte im zivilgesellschaftlichen Bereich, bei Bildung und Forschung,
- und nicht zuletzt gemeinsame Werte: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Achtung von Menschenrechten.

Die USA sind für Deutschland weiterhin der wichtigste Handelspartner außerhalb der EU, und Deutschland bleibt der wichtigste Handelspartner der USA in Europa. Mit 212 Mrd. USD ist Deutschland viertgrößter ausländischer Investor in den USA - selbst während der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise stiegen die deutschen Investitionen in den USA weiter an.

Natürlich hat sich die Wirtschafts- und Finanzkrise auch auf die transatlantische Wirtschaft ausgewirkt, insbesondere durch einen Rückgang der Nachfrage aus den USA. Doch seit 2009 steigt der bilaterale Warenhandel wieder.

Die EU und die USA sind weiterhin die weltweit produktivsten und am engsten miteinander verbundenen Wirtschaftsregionen. Mit nur gut 10% der Weltbevölkerung erwirtschaften sie über die Hälfte des Weltsozialprodukts. Beide Seiten wickeln rund 15-20% ihres jeweiligen Handels miteinander ab. Die EU und die USA sind füreinander auch der jeweils wichtigste Investitionspartner und stellen jeweils mehr als die Hälfte der getätigten Investitionen.

Beide Seiten arbeiten daran, dass dies auch so bleibt.

Politisch sind wir vor allem in der NATO engstens mit den Vereinigten Staaten von Amerika verbunden. In Afghanistan, am Horn von Afrika und einer Reihe von anderen Schauplätzen arbeiten wir eng mit unseren transatlantischen Partnern zusammen.

Von der engen Vernetzung im Bildungs- und Forschungsbereich konnte ich mich bei meinem kürzlichen Besuch in Kalifornien wieder persönlich überzeugen. Über 5.000 Studierende und Wissenschaftler nehmen jedes Jahr an öffentlich geförderten Austauschprogrammen teil. Es gibt über 1.000 Partnerschaften zwischen deutschen und amerikanischen Hochschulen. Alleine mit dem Parlamentarischen Patenschaftsprogramm (PPP) haben seit 1983 über 19.000 junge Amerikaner und Deutsche ein Jahr im jeweils anderen Land verbracht. Diese persönlichen Begegnungen sind nicht nur prägend für das Leben jedes Einzelnen, sondern bilden auch ein starkes Fundament unserer bilateralen Beziehungen.

Transatlantische Beziehungen im Wandel

Fazit: Die transatlantischen Beziehungen sind in guter Verfassung!

Trotzdem haben wir keinen Anlass, uns zurückzulehnen.

Die transatlantischen Beziehungen haben sich in den vergangenen 20 Jahren verändert und es lohnt sich, diesen Wandel ein wenig genauer anzusehen.

Auf beiden Seiten des Atlantiks hat ein Generationswechsel in der politischen Elite stattgefunden; die Nachkriegsgeneration, die sich nicht zuletzt aus Zeiten des Kalten Krieges eng mit Europa verbunden fühlte – Persönlichkeiten wie Senator John McCain oder der frühere Außenminister Henry Kissinger – sind auf der Ebene der politischen Entscheidungsträger weitgehend abgelöst worden. Das führt dazu, dass die transatlantischen Beziehungen weniger emotional gesehen werden, als das früher der Fall war.

Auch auf dem Feld der Sicherheitspolitik haben die transatlantischen Beziehungen eine neue Qualität erhalten. Die Abhängigkeit Deutschlands und Europas von den USA hat seit Ende des Kalten Kriegs abgenommen. Vierzig Jahre lang bestimmte der Ost-West-Konflikt die politische Lage der Bundesrepublik Deutschland und die transatlantischen Beziehungen. Die Bundesrepublik war für ihr Überleben von der Sicherheitsgarantie der USA abhängig und deshalb in erster Linie ein Importeur von Sicherheit. Heute ist das wiedervereinigte Deutschland umgeben von befreundeten und verbündeten Staaten und mittlerweile selbst als Exporteur von Sicherheit und Stabilität gefragt.

Auch die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen haben sich in den letzten Jahren verändert – vor allem mit dem Aufstieg der Schwellenländer und hier insbesondere Chinas.

Beide, Europa und die USA, haben den wirtschaftlichen Austausch mit den Schwellenländern in den vergangenen Jahren stark intensiviert. 2009 gingen rund 10% der deutschen Exporte in die USA; 15% hingegen gingen bereits nach Asien, und dieser Trend wird sich in den kommenden Jahren fortsetzen. Die gegenwärtige wirtschaftliche Schwäche in den USA wird durch zusätzliche Nachfrage aus Asien kompensiert.

Und auch die USA, die sich angesichts der Eurokrise Sorgen um die wirtschaftliche Entwicklung in Europa machen, hoffen auf mehr Nachfrage aus Asien. Die Vereinigten Staaten haben eine eindrucksvolle politische Offensive gestartet, um ihre Beziehungen zum asiatisch-pazifischen Raum zu intensivieren. Sie alle haben die Bilder vom APEC-Gipfel auf Hawai und vom Ostasiengipfel in Indonesien gesehen und vom Ausbau einer amerikanischen Militärbasis im australischen Darwin gehört. Europa ist gut beraten, sich dieser Entwicklung der USA hin zu einer auch immer mehr pazifischen Macht bewusst zu sein – wer über die Zukunft des transatlantischen Verhältnisses nachdenkt, kommt an der großen Bedeutung der Schwellenländer, vor allem Chinas und Indiens, nicht vorbei.

Es gibt also keine Zweifel: Die Beziehungen über den Atlantik hinweg haben sich in den vergangen Jahren verändert.

Bleibende Bedeutung: Die neue transatlantische Agenda

Aber haben die transatlantischen Beziehungen an Bedeutung eingebüßt? Auf den ersten Blick mag es so scheinen. Ich bin aber überzeugt: Wenn man genauer hinschaut, wird klar, dass die transatlantische Partnerschaft weiterhin unverzichtbar ist.

Allerdings haben wir es heute mit einer „neuen transatlantischen Agenda“ zu tun, die sich deutlich von der früherer Jahrzehnte unterscheidet.

Was sind also die größten Herausforderungen für die Zukunft der transatlantischen Beziehungen?

Ganz akut und aktuell denke ich hier natürlich zuallererst an die Bewältigung der Haushaltskrisen auf beiden Seiten des Atlantiks. Die Staatsschuldenkrisen in Europa und in den USA bergen in unserer eng vernetzten Welt Ansteckungsrisiken in beide Richtungen. Die wiederholt laut gewordenen gegenseitigen Forderungen nach Konjunkturprogrammen oder Schuldenbekämpfung sind nicht zuletzt ein Zeichen der engen Verflechtung des transatlantischen Märkte.

Die Krise wird uns und unsere Partner noch lange beschäftigen. Wir tun alles, um die Eurozone zu stabilisieren und adverse Effekte auf die weltweiten Finanzmärkte zu verhindern. Besonders wichtig hierfür ist, dass Europa und die USA sich eng abstimmen und, wo immer möglich, mit einer Stimme sprechen.

Weitere Herausforderungen vor denen wir stehen sind die Energiesicherheit und der Klimawandel, nukleare Nichtverbreitung und Abrüstung, Bedrohung durch den Terrorismus, Verteidigung unserer offenen Gesellschaften, regionale Konflikte zumeist weit von unseren Grenzen entfernt.

Gemeinsam ist all diesen Themen, dass sie weder auf Deutschland noch auf Europa oder die transatlantische Region beschränkt sind. Sie sind global oder haben zumindest globale Bedeutung und Auswirkungen und kein Staat kann diese Herausforderungen alleine meistern. Nicht nur Europa, sondern auch die Weltmacht USA benötigt Partner, um Lösungen für die drängenden Probleme unserer Zeit zu finden – und seine legitimen Interessen gegenüber Dritten durchzusetzen.

Wir brauchen die transatlantische Zusammenarbeit auch, um gemeinsam die uns verbindenden Werte der Aufklärung, die unantastbare Würde des Menschen zu verteidigen.

In Europa und in den USA sind wir stolz darauf, diese Werte zu verwirklichen: Demokratie, Freiheit, Toleranz, Menschenrechte, Rechtsstaat, Pressefreiheit sowie Schutz von Minderheiten. Diese Werte machen aus, was Europa und die USA verkörpern, und sie haben sich in dieser Form in vielen Regionen der Welt noch nicht durchgesetzt.

Ein erfolgreiches Bestehen der anstehenden Herausforderungen setzt Abstimmung und Kooperation voraus. Fortschritte werden zunehmend von der Fähigkeit abhängen, engste transatlantische Zusammenarbeit zu bewirken. Das ist der Schlüssel zum Erfolg. Was wir brauchen, ist eine gemeinsame Analyse der Probleme, eine gemeinsame Suche nach Lösungswegen, gemeinsame Entscheidungen und gemeinsames Handeln. Hier sind wir gefordert, bestehende transatlantische Kommunikationskanäle zu prüfen, und eventuell nach Bedarf neue zu erschließen.

Perspektive: Partner in Verantwortung

Angesichts der gerade skizzierten Herausforderungen muss einem um die Zukunft der transatlantischen Beziehungen nicht bange sein. Voraussetzung aber ist, dass wir diese Herausforderungen auch annehmen, dass wir unseren Beitrag zu ihrer Bewältigung leisten. Europa muss zum „Partner in Verantwortung“ werden.

Denn zum Wandel in den transatlantischen Beziehungen gehört auch, dass die USA Europa vor allem aus einem pragmatischen Blickwinkel betrachten. Das heißt: Leistet Europa seinen Beitrag zur Lösung der globalen Herausforderungen, dann bleibt es für die USA ein relevanter, wichtiger und vielleicht unverzichtbarer Partner. Allerdings gilt auch der Umkehrschluss.

„Partner in Verantwortung“ kann nur ein wirtschaftlich prosperierendes und sicherheitspolitisch geeintes Europa sein. Es muss handlungsfähiger und handlungsbereiter werden, um weiterhin in Washington Gehör für seine politischen Prioritäten und Konzepte zu finden. Auch deshalb ist die Lösung der Staatsschuldenkrise in Europa so wichtig, auch deshalb brauchen wir „mehr“ Europa, nicht „weniger“.

Ich danke Ihnen.

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