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Die Vereinten Nationen sind unverzichtbar

14.11.2011 - Interview

Ein Interview mit VN-Botschafter Peter Wittig nach fast einem Jahr deutscher Mitgliedschaft im Sicherheitsrat.

Fast ein Jahr ist Deutschland nun Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Zur Halbzeit spricht Peter Wittig, deutscher Botschafter bei den Vereinten Nationen, mit www.diplo.de über Erreichtes und anstehende Herausforderungen.

www.diplo.de: Seit dem 1. Januar 2011 ist Deutschland nicht-ständiges Mitglied im VN-Sicherheitsrat - wie macht sich die Mitgliedschaft im Sicherheitsrat in der Ständigen Vertretung, aber auch in Ihrem persönlichen Tagesablauf, bemerkbar?

Peter Wittig: Die deutsche Mitgliedschaft im Sicherheitsrat dominiert unser Tagesgeschäft hier in New York ganz eindeutig. Das zeigt schon der intensive Rhythmus der Sitzungen: Fast jeden Tag finden mehrstündige Beratungen des Rates auf Ebene der Botschafter statt – zum Teil öffentlich, zum Teil vertraulich. Daneben arbeiten die Experten unseres Sicherheitsratsteams in unzähligen Koordinierungstreffen in den verschiedensten Gremien und Organen des Sicherheitsrates aktiv und gestaltend mit – und bereiten so die zentralen Entscheidungen des Rates vor. Das alles vor dem Hintergrund des von der Vertretung weiterhin zu bestreitenden regulären Geschäfts in der Generalversammlung, deren wichtigen Ausschüssen und im Wirtschafts- und Sozialrat. Alles in allem hat das Pensum hier enorm zugenommen. Wir haben diese Herausforderung bislang gut bewältigen und unsere Anliegen mit Nachdruck vorantreiben können – auch dank der hohen Motivation und Leistungsbereitschaft unseres Teams.

Welche Themen haben die deutsche Mitgliedschaft in den bisher vergangenen gut zehn Monaten seiner Mitgliedschaft besonders geprägt?

Uns alle haben die Entwicklungen in der arabischen Welt überrascht. Wer hätte gedacht, dass sich der Blick der Sicherheitsratsmitglieder im ersten halben Jahr unserer Mitgliedschaft vorwiegend auf Nordafrika und den Nahen Osten richten würde? Tunesien, Ägypten, Libyen, Jemen und Syrien – das sind keine „klassischen“ Tagesordnungspunkte des Sicherheitsrates. Der Sicherheitsrat stand vor einer ganz neuen Herausforderung. Er musste seiner Verantwortung zur Wahrung von internationalem Frieden und Sicherheit gerecht werden – nicht immer hat er unsere Erwartungen erfüllt: Im Falle Syriens etwa zeigte sich der Sicherheitsrat aufgrund eines doppelten Vetos außerstande, die notwendige, starke Botschaft an die Führung in Damaskus zu senden.

Deutschland hat in New York im Bereich der sich neu entwickelnden Krisen eine proaktive und nach vorn gerichtete Außenpolitik vertreten. Um ein Beispiel zu nennen: Wir haben uns in enger Abstimmung mit unseren französischen und auch britischen Partnern sehr früh dafür eingesetzt, dass sich der Rat der Krise im Jemen annimmt. Das war durchaus nicht frei von Widerständen. Es ist aber letztlich gelungen und mündete in die einstimmige Annahme einer Resolution und der Verankerung auf der Tagesordnung des Rates. Dadurch ist die Krise zwar noch immer nicht gelöst. Aber immerhin haben wir mit der ersten Resolution des Rates zum Jemen überhaupt die gemeinsame internationale Stimme gewahrt. Angesichts der zuletzt sichtbaren Spaltung des Rates zu Syrien ist das nicht zu unterschätzen. Wir haben dazu einen substantiellen Teil beigesteuert.

In der Öffentlichkeit besonders wahrgenommen und auch diskutiert wurde wohl die deutsche Enthaltung bei der Abstimmung um die Libyen-Resolution 1973 - welche anderen Entscheidungen, die vielleicht nicht so ein großes öffentliches Echo hervorgerufen haben, waren aus Ihrer Sicht besonders wichtig ?

Die innenpolitische Diskussion um unser Abstimmungsverhalten hat Einiges von dem, was Deutschland im Sicherheitsrat bislang geleistet hat, in den Hintergrund treten lassen. Dazu gehört auch der gesamte Themenkomplex des arabischen Frühlings. Deutschland hat aktiv dazu beigetragen, die Befassung des Rates beispielsweise mit Syrien, Jemen, aber auch Libyen überhaupt erst möglich zu machen.

Neben diesem politisch-diplomatischen Krisenmanagement haben wir aber auch aktiv unsere eigenen deutschen außenpolitischen Schwerpunkte vorangetrieben. Ich nenne nur zwei Beispiele aus dem Monat unserer Präsidentschaft des Sicherheitsrates:

Zum einen gelang uns die erfolgreiche Verhandlung und Annahme einer Resolution zur Verbesserung des Schutzes von Kindern in bewaffneten Konflikten. Seitdem sind auch gezielte Angriffe gegen Schulen und Hospitäler völkerrechtlich geächtet und die Täter müssen mit Strafmaßnahmen rechnen. Das ist ein Ergebnis, von dem wir uns eine konkrete abschreckende Wirkung vor Ort erwarten – und in einigen Konfliktgebieten auch erreichen.

Zum anderen konnten wir die Debatte um die sicherheitspolitischen Auswirkungen des Klimawandels einen wichtigen Schritt voranbringen und in den Vereinten Nationen verankern. In der vom Sicherheitsrat nach sehr schwierigen Verhandlungen letzlich einstimmig angenommenen präsidentiellen Erklärung wird erstmals festgestellt, dass der Klimawandel eine potentielle Bedrohung für internationalen Frieden und Sicherheit ist. Dieses Bekenntnis des Sicherheitsrates hat weitreichende Bedeutung. In der Folge wird der Generalssekretär in allen seinen Berichten – die gerade für die Krisenregionen von besonderer Bedeutung sind – den Aspekt des Klimawandels berücksichtigen müssen. Das ist ein bemerkenswerter Meilenstein und auch ein Erfolg der deutschen krisenpräventiven Diplomatie.

Auch im Bereich der Afghanistanpolitik haben wir einiges vorangetrieben. Uns gelang die Aufteilung des Ausschusses für die Al Qaida/Taliban-Sanktionen – dessen Vorsitz wir innehaben – in je einen für die Taliban und für Al Qaida. Das war mit Blick sowohl auf die Bekämpfung des internationalen Terrorismus als auch auf die afghanische Innenpolitik ein wichtiges und diplomatisch sehr sensibles Vorhaben. Durch die vollzogene Aufteilung können wir jetzt den innerafghanischen politischen Prozess wirksam flankieren – und zu dem erhofften Erfolg der Bonner Konferenz am 5. Dezember beitragen.

Die Wahl in den Sicherheitsrat war für die Bundesregierung, aber auch die Mitarbeiter im Auswärtigen Amt ein großer außenpolitischer Erfolg. Wie erklären Sie Menschen, die sich nicht täglich mit den Gremien der Vereinten Nationen beschäftigen, was das Besondere an einem Sitz im Sicherheitsrat ist?

Ich will zunächst festhalten: Der Sicherheitsrat ist das zentrale Organ der internationalen Kriegs- und Krisendiplomatie. Darin wollen wir Verantwortung übernehmen. Die Aufgabe des Sicherheitsrates ist nicht weniger als die Wahrung des Weltfriedens. Alle Konflikte der Welt – von Afghanistan über den Kongo, Somalia, dem Nahen Osten bis Zypern – werden hier behandelt. Dazu kann der Rat – und das macht ihn einzigartig – für alle Mitgliedsstaaten verbindliches Völkerrecht setzen. Er ist zudem das einzige Organ, das legitimiert ist, internationale Zwangsmaßnahmen – seien es zivile oder militärische – gegen bestimmte Akteure zu verhängen.

In Deutschland herrscht großer Konsens, dass die deutsche Außenpolitik in ihrem Kern eine aktive Friedenspolitik ist. Dies ist einerseits unserer Geschichte geschuldet, dient aber auch unseren politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen. Deshalb setzen wir uns für die Stärkung der multilateralen Strukturen ein, insbesondere der Vereinten Nationen. Dazu leisten wir als drittgrößter Beitragszahler einen erheblichen finanziellen Anteil, setzen wichtige Ressourcen in allen Krisenregionen ein und arbeiten in allen Gremien substantiell und verlässlich mit. Es ist folgerichtig, dass wir uns bemühen, unserer globalen Verantwortung gerecht zu werden. Eine aktive deutsche Rolle im Sicherheitsrat entspricht nicht nur dieser Verantwortung, sondern nützt auch unseren deutschen Interessen.

Aufgabe des Sicherheitsrats ist es laut Charta der Vereinten Nationen, Frieden und Sicherheit in der Welt zu wahren. Häufig wird der Sicherheitsrat jedoch als „Debattierclub“ kritisiert, der sich um deutliche Resolutionen drücke, weil er auf die Befindlichkeiten einzelner Mitglieder – vor allem der fünf Vetomächte – Rücksicht nehmen müsse. Was erwidern Sie auf solche Kritik?

Die Vereinten Nationen sind keine Weltregierung und auch kein Weltparlament. Die Vereinten Nationen sind eine von souveränen Nationalstaaten geschaffene Institution, die – unter anderem – den Weltfrieden wahren soll. So steht es in der Charta. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die jeweiligen Nationalstaaten hier selbstverständlich ihre eigenen Interessen vertreten und vorantreiben. Das ist völlig normal und legitim – wir machen dies übrigens auch.

Das besondere an den Vereinten Nationen ist allerdings, dass es einen gemeinsam vereinbarten Rahmen mit gemeinsamen Spielregeln für die Verhandlung und den Ausgleich der jeweiligen Interessen gibt – mit dem Ziel der Wahrung des Weltfriedens.

Und auch wenn wir die Ergebnis mitunter für inakzeptabel halten – wie beispielsweise im Falle des russisch-chinesischen Vetos gegen eine Syrien-Resolution – müssen wir anerkennen, dass es keinen anderen legitimen internationalen Rahmen gibt, in dem solche Interessengegensätze verhandelt werden können. Das macht die Vereinten Nationen so unverzichtbar.

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