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Eine Union der Stabilität

31.10.2011 - Interview

Für eine mittel- und langfristige Stärkung der Währungsunion fordern die Minister Westerwelle und Rösler Änderungen der Europäischen Verträge.

Beitrag von Außenminister Guido Westerwelle und Wirtschaftsminister Philipp Rösler, erschienen in der Welt vom 31.10.2011

Die nächsten Schritte auf dem Weg zur Stabilitätsunion

Sechzig Jahre Europäische Einigung haben eines klar gezeigt: Europa ist stets in guten Zeiten gewachsen und in schwierigen Zeiten gereift. Auch jetzt, angesichts der Staatsschuldenkrise und historischer Herausforderungen, befindet sich Europa wieder in einer ernsten Bewährungsprobe. Die Bundesregierung wird diesen Weg in pro-europäischem Geist mitgestalten und ist entschlossen, ihn mit wirtschaftlicher Vernunft zum Erfolg führen. Europa hat jetzt die Chance, aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen und sich zu einer echten Stabilitätsunion weiter zu entwickeln. Nichts ist für uns wichtiger, als die Bürgerinnen und Bürger auf diesem Weg anzuhören, zu beteiligen und zu überzeugen. Nur so kann aus den vielen berechtigten Fragen, die die Menschen derzeit beschäftigen, neues Vertrauen in die Zukunft entstehen. Die Beteiligung des Deutschen Bundestages und seiner Gremien ist dafür ein wesentlicher Baustein, für den wir erfolgreich gekämpft haben.

In der vergangenen Woche hat der Deutsche Bundestag mit breiter Mehrheit Eckpfeiler für die weitere Stabilisierung der Eurozone aufgestellt. Dieser Beschluss bestätigt unseren Kurs: Die strikte Einhaltung der vorgegebenen Haftungssumme der EFSF, die Bindung aller Hilfen an klare Bedingungen und die Wahrung der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank sind für uns unverzichtbare Leitplanken jeder Krisenintervention. Die Bundesregierung konnte diese Vorgaben umfassend in den Verhandlungen in Brüssel durchsetzen. Erfolgreich war auch unserer Widerstand gegen eine Banklizenz für den Rettungsschirm: Notenbankpresse und Nothilfsinstrumente bleiben danach auch in Zukunft klar voneinander getrennt. Gemeinsam mit der jetzt vereinbarten substanziellen Gläubigerbeteiligung sind so wichtige Weichen gestellt, um Griechenland einen nachhaltigen Ausweg aus der Schuldenfalle aufzuzeigen und Ansteckungsgefahren auf die übrige Eurozone zu verringern.

Jetzt muss es darum gehen, Europa als Stabilitätsunion auch mittel- und langfristig zu stärken. Wir wollen Änderungen der Europäischen Verträge. Die jüngsten Beschlüsse des Europäischen Rates weisen dafür mit einem Auftrag an Ratspräsident van Rompuy in die richtige Richtung. Schon in wenigen Monaten sollte auf dieser Grundlage ein Konvent aus Vertretern der EU-Institutionen, der nationalen Parlamente und der Staats- und Regierungschefs eingesetzt werden, um über entsprechende Vertragsänderungen zu beraten. Darauf müssen wir uns frühzeitig vorbereiten. Künftige Reformen müssen sich am Subsidiaritätsprinzip und am Grundsatz wirtschaftlicher Vernunft ausrichten. Es geht nicht um eine zentralistische Wirtschaftsregierung, die Schulden und Wohlstand umverteilt. Es geht um die Schaffung einer Stabilitätsunion. Ein Europa der Stabilität entsteht durch gemeinsame Werte und Regeln mit klarer Sanktionierung. Das bleibt unser Maßstab für die weiteren Schritte.

Vertragsänderungen müssen im Sinne eines Stabilitätspakts II auf die Hauptaspekte fokussiert werden. Im Vordergrund muss zum einen eine striktere wirtschaftspolitische Überwachung gerade in den wettbewerbsschwachen Mitgliedstaaten stehen. Die jüngsten Beschlüsse zur Stärkung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes bieten dafür eine gute, weiter ausbaufähige Grundlage. So könnte etwa die Einsetzung eines unabhängigen Expertenrates einen zusätzlichen Beitrag zu mehr Objektivität und Transparenz leisten. Auch sollten EU-Vertragsänderungen der Verankerung und besseren Durchsetzung des europäischen Sanktionsinstrumentariums dienen. Verstöße gegen gemeinsame Regeln sollten künftig automatische Sanktionen nach sich ziehen, um sie der politischen Opportunität zu entziehen. Sinnvoll wäre es zudem, die Bandbreite der Sanktionsmaßnahmen bei gravierenden Regelverstößen zu erweitern. In diesem Rahmen muss auch über die Weiterentwicklung des künftigen Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM zu einem Europäischen Währungsfonds mit entsprechenden Durchgriffsrechten nachgedacht werden. Dazu gehört auch die Verankerung eines geordneten Resolvenzverfahrens, das bei mangelnder Schuldentragfähigkeit eine Beteiligung des Privatsektors an der Wiedergewinnung der wirtschaftlichen und finanziellen Solidität eines Staates sicherstellt.

Das Ziel einer Stabilitätsunion lässt sich jedoch nicht allein auf europäischer Ebene erreichen. Entscheidend ist dafür vor allem ein gemeinsames Bewusstsein aller Mitgliedstaaten, dass Risiko und Haftung ebenso zueinander gehören wie Haushaltsdisziplin und Wettbewerbsfähigkeit. Deshalb müssen parallel zu Fortschritten in der EU auch auf nationaler Ebene Transparenz und Stabilitätsorientierung weiter gestärkt werden, etwa durch die Verankerung von wirksamen Schuldenbremsen mit verfassungsrechtlichem Rang in allen Euro-Mitgliedstaaten. Solche Maßnahmen setzen auf Selbstverantwortung und dezentrale Mitbestimmung statt auf überzogenen Zentralismus. Sie sind deshalb auf Dauer das bessere Fundament für das gemeinsame Haus Europa. In die gleiche Richtung weist die Einrichtung nationaler Beratungsgremien, etwa eines unabhängigen Sachverständigenrates für Wirtschaftsfragen oder unabhängiger Haushaltskontrollgremien zur Unterstützung der Parlamente in den Mitgliedstaaten. Solche Schritte schaffen Transparenz und ermöglichen objektive Beurteilungen, ohne den nationalen Souverän aus seiner Selbstverantwortung zu entlassen.

Wir sind überzeugt: Europa hat jetzt die Chance, zu einer Stabilitätsgemeinschaft zu reifen. Mit diesem klaren Ziel und entschiedenem Handeln werden wir das gemeinsame Europa mit Leidenschaft und wirtschaftlicher Vernunft weiter mitgestalten.

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