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„Wir können die Schuldenkrise nicht mit höheren Schulden lösen“ (Interview)

17.10.2011 - Interview

Bundesaußenminister Guido Westerwelle zur Euro-Schuldenkrise, zum geplanten israelisch-palästinensischen Gefangenenaustausch und zu Vorwürfen der USA gegen Iran, hinter einem Mordkomplott gegen den saudischen US-Botschafter zu stecken (Interview).

Bundesaußenminister Guido Westerwelle im Interview zur Euro-Schuldenkrise, zum geplanten israelisch-palästinensischen Gefangenenaustausch und zu Vorwürfen der USA gegen Iran, hinter einem Mordkomplott gegen den saudischen US-Botschafter zu stecken. Erschienen in der Bild am Sonntag vom 16.10.2011.

Herr Minister, wir alle spüren, dass in der Griechenland- und Euro-Krise die Zeit abläuft. Nicht nur die Märkte, auch die Mehrheit der Bürger trauen derzeit der Politik nicht zu, die Probleme in den Griff zu bekommen. Was muss jetzt geschehen?

Wir müssen die aktuelle Krise entschlossen bekämpfen und gleichzeitig Veränderungen vornehmen, mit denen wir sicherstellen, dass wir nicht noch einmal in eine solche Lage kommen.

Dafür sind drei Dinge zu tun: Europa muss zu einer Stabilitätsunion entwickelt werden, die den Namen auch verdient. Zweitens brauchen wir harte Sanktionen gegen Staaten, die dauerhaft unsolide haushalten. Und drittens muss die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Staaten gestärkt werden.

Zwei Jahre nach der ersten Finanzmarktkrise müssen aller Voraussicht nach in Europa erneut Banken mit Steuerzahlergeld gerettet werden.

Alles, was wir getan haben und tun werden, dient dem Ziel, unsere Währung, unsere Wirtschaftskraft und damit unseren Wohlstand zu schützen. Ich kann nur davor warnen, auch nur mit dem Gedanken zu spielen, aus Europa und dem Euro auszusteigen. Das wäre nichts anderes als ein Programm zur Verarmung von uns allen.

Denn wir haben keine nennenswerten Rohstoffe, sondern leben vom Ideenreichtum der Bürger und der Verflechtung unserer Wirtschaft mit der Welt. Ohne ein geeintes Europa, ohne den großen Binnenmarkt mit 500 Millionen Europäern wäre auch ein großes und starkes Land wie Deutschland den Herausforderungen der Globalisierung und dem Wettbewerb mit den neuen Kraftzentren der Welt etwa in Asien und Lateinamerika nicht gewachsen. Deswegen wird die Bundesregierung ihre Politik des Schutzes unserer Währung und der Wahrung unseres Wohlstandes fortsetzen.

Eine klare Mehrheit der Bundesbürger lehnt eine erneute Rettungsaktion für den Finanzsektor mit Steuergeld ab. Wie lange kann man gegen die Mehrheit des Volkes Politik machen?

Unsere Aufgabe als Regierung ist es, unsere Währung mit Entschlossenheit zu schützen und das zu tun, was richtig ist. Mehr denn je ist heute politische Führung gefragt.

Haben Sie Verständnis für die Menschen, die weltweit gegen die Macht der Banken demonstrieren?

Klar ist doch, dass wir tragfähige und faire Lösungen brauchen, die nicht den Bürgern alle Lasten aufbürden und Auswüchse im Bankenbereich wirksam verhindern.

Die Bundesregierung nimmt die Banken in die Verantwortung und beteiligt sie an den Kosten. Vergessen wir aber nicht: Die Ursache der derzeitigen Krise sind zu viel Staatsschulden in Europa, aber auch weltweit. Deshalb kann ich manche kritische Bemerkung von unseren amerikanischen Freunden an unserer Politik des Schuldenabbaus nicht nachvollziehen.

In den Wirtschaftsteilen der Zeitungen wird über eine Kernschmelze des Bankensystems und über einen Euro-Infarkt spekuliert. Wie gefährlich ist die Lage für unsere Währung wirklich?

Ich bin für Realismus, aber gegen Panikmache. Deshalb beteilige ich mich an solchen Katastrophen-Szenarien nicht.

Dafür gibt es bei uns in Deutschland nun wirklich keinen Anlass. In Wirklichkeit steht Deutschland wirtschaftlich so gut da wie seit 20 Jahren nicht mehr. Wir haben die höchste Zahl an Beschäftigten, die es je gab, eine niedrige und weiter sinkende Arbeitslosigkeit. Endlich steigen die Nettolöhne wieder. Das ist auch gut für die Renten.

Immer mehr Politiker, Experten und Bürger halten die Zeit für gekommen, Griechenland einen erheblichen Teil seiner Schulden zu erlassen. Kommt der Schuldenschnitt noch in diesem Jahr?

Darüber spekuliere ich nicht. Es wird ohnehin zu viel spekuliert. Auch auf diese Weise kann Vertrauen verspielt werden.

Was schlagen Sie vor: einfach nicht darüber reden?

Nein, aber die Dinge dann entscheiden, wenn man alle Fakten wirklich kennt. So wichtig öffentliche Diskussionen sind: Von mir werden Sie kein Wort über den Griechenland-Bericht der Troika hören, bevor er nicht vorliegt.

Manche sagen, der Rettungsschirm müsste viel größer ausfallen, es seien 1,5 bis 2 Billionen Euro erforderlich. Heißt das nicht: Das dicke Ende kommt erst noch?

Bislang hat sich Deutschland an drei Maßnahmen zur Stabilisierung des Euro beteiligt. Ich halte die damit eingegangenen finanziellen Risiken für verantwortbar. Den Euro nicht zu schützen, käme Deutschland und die Deutschen viel teurer. Von den Garantien des Rettungsschirms wurde bislang nur ein kleiner Teil abgerufen.

Eines ist doch klar: Man kann eine Schuldenkrise nicht dadurch lösen, dass man noch höhere Schulden macht. Nicht zuletzt aus diesem Grund lehne ich die von der Opposition befürworteten Eurobonds ab. Wir dürfen jetzt nicht das Schuldenmachen erleichtern. Im Gegenteil: Solide haushalten und Schulden zurückführen ist das Gebot der Stunde. Als die Bundesregierung bereits vor mehr als einem Jahr das größte Sparpaket der Geschichte beschlossen hatte, wurden gerade wir Liberale sehr kritisiert. Heute sieht man, wir haben richtig und vorausschauend gehandelt.

[...]

Haben Sie Sympathie für den Vorschlag, über das neue Europa das Volk direkt entscheiden zu lassen?

Die Diskussionen über das neue Europa gehören in die Öffentlichkeit und nicht hinter die verschlossenen Türen von Ministerräten. Deshalb bin ich für die Einberufung eines europäischen Konvents nach Artikel 48 des EU-Vertrages, auf dem Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten, der EU-Kommission und des europäischen Parlaments über den Weg in die Stabilitätsunion und damit in die Zukunft Europas debattieren und entscheiden.

So wird es uns gelingen, gemeinsam und mit den Bürgerinnen und Bürgern einen großen Schritt nach vorn zu gehen.

Im Nahen Osten gibt es gerade ein Signal der Hoffnung, nämlich die bevorstehende Freilassung des von den Palästinensern gekidnappten israelischen Soldaten Gilad Shalit. Welchen Anteil hat Deutschland daran?

Ich hoffe sehr, dass Gilad Shalit sehr bald wieder bei seiner Familie sein kann, und freue mich, auch weil ich die Familie selbst getroffen habe, ganz persönlich über die Entwicklungen der letzten Tage. Es ist gut, dass Deutschland helfen konnte. Jetzt geht es darum, dass dieser junge Mann nach fünf furchtbaren Jahren in totaler Isolation endlich wieder von seiner Familie in die Arme geschlossen werden kann.

Sollte der Gefangenenaustausch zu neuen Friedensgesprächen und zu Verhandlungen über einen palästinensischen Staat führen?

Es ist überfällig, dass der Nahost-Friedensprozess durch direkte Gespräche zwischen den Palästinensern und Israel wieder in Gang kommt. Jedes neue Momentum sollte genutzt werden. Ich appelliere an beide Seiten, alles zu unterlassen, was die Wiederaufnahme von direkten Gesprächen oder den Erfolg von Friedensverhandlungen gefährden könnte.

Die USA werfen dem Iran vor, hinter einem Mordkomplott gegen den saudischen Botschafter in Washington zu stecken. Sind Sie besorgt?

Wenn die USA sich entschließen, derartige Mordpläne an die Öffentlichkeit zu bringen, dann sollte das jeder ernst nehmen. Wir sind mit unseren amerikanischen und europäischen Verbündeten dazu im vertrauensvollen Gespräch.

Kann das aufgedeckte Komplott zu schärferen Sanktionen gegen den nach Atomwaffen strebenden Iran führen?

Jetzt werden erst einmal die Gespräche mit den Verbündeten geführt.

[…]

Fragen: Michael Backhaus und Martin S. Landeck. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Bild am Sonntag

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