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Ein anderes „mission statement“. Staatsminister Werner Hoyer in der FAZ

27.08.2011 - Interview

Beitrag von Staatsminister Werner Hoyer, erschienen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 27.08.2011

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Als aktive Politiker können wir dankbar dafür sein, wenn unsere „elder statesmen“ wie Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher, die die großen Linien deutscher Außenpolitik wie nur wenige überblicken und selbst geprägt haben, ihre Gedanken mit uns teilen. Aus Helmut Kohls Kritik spricht tiefe Sorge um Deutschlands Rolle in der Welt, die untrennbar verbunden ist mit Freiheit, Sicherheit und Wohlstand unseres Landes. Wir tun gut daran, diese Sorgen ernst zu nehmen.

Es wäre vermessen zu behaupten, dass die deutsche Außenpolitik und die ihrer westlichen Partner in den letzten 20 Jahren fehlerfrei gewesen wäre. Aber der Mangel an völkerrechtlicher Souveränität des geteilten Deutschlands hat bei allen Lasten, die Deutschland getragen hat, auch Verantwortung abgenommen und Entscheidungen vielleicht auch leichter gemacht. Die Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas - die epochale Leistung der vorangegangenen Politikergeneration - hat zudem gerade außenpolitisch viele Kräfte gebunden. Diese Investition hat sich allemal gelohnt, denn Europa ist und bleibt Grundlage unserer Freiheit, unseres Wohlstandes und unserer Sicherheit.

Es steht außer Frage, dass wir in Zukunft unsere Interessen in der Welt nur im europäischen Rahmen zur Geltung bringen können. Wir brauchen und wir wollen ein Europa, das immer weiter zusammenwächst. Helmut Kohl beschreibt zu Recht das mit der Währungsunion Erreichte als das unter den damaligen Umständen Machbare. Selbstverständlich war bereits damals der Wunsch zu weiteren Schritten hin zur Politischen Union vorhanden. Nur waren sie realpolitisch nicht durchsetzbar. Aber es war evident und liegt in der Logik dieses Prozesses, dass die Beschlüsse von Maastricht zur Wirtschafts- und Währungsunion den Druck in Richtung Politische Union verstärken würden. Genau dies geschieht jetzt.

Ich stimme Helmut Kohl in seinem Wunsch nach einer sehr viel weitgehenderen Integration hin zu einer Politischen Union nachdrücklich zu. Wir müssen dabei jedoch darauf achten, dass die Instrumente, die wir einsetzen wollen, den jeweiligen Stand der Integration widerspiegeln. Und wir können nicht leugnen, dass Eurobonds beim jetzigen, noch unbefriedigenden Stand der Integration systemfremd und darüber hinaus sogar gefährlich wären.

Das „mission statement“ deutscher Außenpolitik ist heute ein anderes, als es noch vor 20 Jahren war. Heute müssen wir unsere Freiheit, unsere Sicherheit und unseren Wohlstand in einem Umfeld organisieren und mehren, in dem neue Machtzentren Einfluss einfordern. Anders als zu Zeiten der Sowjetunion erweisen sich manche autokratischen Systeme von heute als wirtschaftlich höchst erfolgreich und stellen auf dieser Basis unser Gesellschaftsmodell offensiv in Frage. Helmut Kohl hat recht, wenn er gerade angesichts der Komplexität der heutigen Zeit einen klaren Kompass einfordert. Das gilt übrigens nicht nur für Deutschland.

Eine Debatte über unsere Rolle in der Globalisierung, über die Notwendigkeit, als Teil Europas und des Westens die Globalisierung aktiv zu gestalten, würde uns ohne Zweifel guttun. Für diese Bundesregierung steht dabei außer Frage, dass der Westen, der heute als Gemeinschaft der aufgeklärten, rechtsstaatlichen Demokratien dieser Welt mehr ist als der alte transatlantische Westen, einen engen Schulterschluss suchen muss. Zentraler Maßstab ist das Eintreten für die Würde jedes einzelnen Menschen. Das ist eine ungebrochene Kontinuitätslinie deutscher Außenpolitik.

Und genauso wie vor zwanzig Jahren bleibt neben einer aktiven Europapolitik die Bündnisorientierung die zweite wichtige Säule deutscher Außenpolitik. Deutschland steht mit beiden Beinen im westlichen Bündnis und hat große Beiträge innerhalb der Nato geleistet und wird dies auch fortsetzen - im Einsatz ebenso wie konzeptionell. Mit Engagement und konstruktivem Geist treibt Deutschland die Neuausrichtung der Nato weiter voran.

Wir haben allen Grund, unseren Partnern in der Nato zu dem Erfolg in Libyen zu gratulieren, der keineswegs selbstverständlich war. Es ist müßig, darüber zu spekulieren, ob auch andere Wege zu dem Ziel geführt hätten und ob sämtliche Möglichkeiten einer politischen Lösung - und eines kohärenten europäischen Ansatzes - erschöpfend ausgelotet wurden. Jetzt müssen wir alle den Blick nach vorne richten und aus dem Umgang mit dem Fall Libyen lernen.

Dabei gilt es nicht zuletzt den Fehler zu vermeiden, aus dem erfolgreichen Einsatz der Nato in Libyen das Konzept des militärisch erzwungenen „regime change“ wieder hoffähig werden zu lassen. Wir müssen immer darauf achten, dass Politik und Diplomatie eine ausreichende Chance bekommen.

Die Entwicklung in der arabischen Welt ebenso wie in Asien führen uns vor Augen, dass deutsche Außenpolitik im eigenen Interesse und für unsere westlichen Werte heute auf weit mehr Feldern aktiv sein muss, als dies früher der Fall war.

Dabei sind wir gut beraten, die Grundlagen fortzuführen, die uns große Persönlichkeiten wie Adenauer, Brandt, Kohl oder Genscher mit der Westbindung und der Idee der „ever closer union“ in Europa mit auf den Weg gegeben haben. Und wir sollten das Selbstbewusstsein aufbringen, aktiv für unser Modell aufgeklärter, rechtsstaatlicher und demokratischer Gesellschaften zu werben, das auf dieser Welt noch immer klar in der Minderheit ist. Die außenpolitische Debatte, wie sich der Westen diesen neuen außenpolitischen Herausforderungen gemeinsam stellt, ist überfällig.

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