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Märkte öffnen für die arabische Revolution

14.07.2011 - Interview

Es ist an der Zeit, dass Europa mit der Öffnung seiner Märkte Anreize für diejenigen schafft, die wie in Tunesien und Ägypten auf Reformen setzen. Von Staatsminister Werner Hoyer.

Beitrag von Staatsminister Werner Hoyer, erschienen in der Financial Times Deutschland vom 14.07.2011.

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Viele Menschen in Nordafrika sehen das europäische Gesellschaftsmodell als Vorbild. Sie bewundern Europa - an dem manche Europäer selbst so zweifeln -, weil es der gelebte Beweis für eine Gesellschaft ist, die Frieden, Freiheit und Wohlstand ermöglicht.

Wenn wir die Dynamik der arabischen Revolution aufrechterhalten wollen, dann müssen wir unseren Beitrag dazu leisten, dass die Sehnsüchte der Menschen nach Perspektiven und Chancen in absehbarer Zeit auch Realität werden können.

Deshalb ist es an der Zeit, dass Europa mit der Öffnung seiner Märkte Anreize für diejenigen schafft, die wie in Tunesien und Ägypten auf rechtsstaatliche, demokratische und wirtschaftliche Reformen setzen. Europas große Stärke in der Welt besteht nicht zuletzt in seiner Attraktivität als Handelspartner und Absatzmarkt. Dieses Gewicht muss Europa in die Waagschale werfen, um den Reformprozess in der arabischen Welt zu unterstützen.

Bisher haben wettbewerbsfähige Industriegüter aus Nordafrika allerdings nur bedingt Zugang zu den europäischen Märkten erhalten. Agrarerzeugnissen aus Nordafrika bleibt der EU-Markt weitgehend verschlossen. Dabei ist es gerade der Agrarsektor, der aufgrund des Klimas und der Lohnkosten wettbewerbsfähig und beschäftigungsintensiv ist.

Daher haben Deutschland, die Niederlande und Großbritannien die Europäische Kommission und die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton aufgefordert, konkrete Vorschläge für umfassende Marktöffnungen gegenüber den reformbemühten Ländern in Nordafrika zu erarbeiten. Dieses Ziel verfolgt Deutschland seit Beginn des Umbruchs. Wir haben mittlerweile eine entsprechende Absichtserklärung in Brüssel durchgesetzt.

Doch das genügt nicht. Die EU sollte möglichst bald erweiterte Handelsabkommen mit den Transformationsstaaten Nordafrikas auf den Weg bringen, um ihnen Zugang zu den europäischen Märkten zu gewähren. Es geht um konkrete und sichtbare Hilfe zur Selbsthilfe. Dabei sind wir uns bewusst, dass dies innerhalb der Europäischen Union auf Widerstände stoßen wird. Wir sind jedoch der Meinung, dass es langfristig ein historisches Versäumnis wäre, die Chance des Wandels in der arabischen Welt nicht nach besten Kräften zu unterstützen. Handelsliberalisierung gehört zwingend dazu.

Europa muss jetzt die richtigen Schlüsse aus den Flüchtlingsströmen an seinen südlichen Grenzen ziehen. Dazu gehört die Einsicht, dass sich eine nachhaltige wirtschaftliche Perspektive in den Ländern Nordafrikas nicht durch Alimentation, sondern nur durch Zugang zum europäischen Wirtschaftsraum aufbauen lässt. Entweder wir beginnen, den europäischen Markt für Produkte und Dienstleistungen zu öffnen, oder die Menschen stehen früher oder später persönlich vor Europas Türen.

Darüber hinaus wissen wir, dass wir mittel- bis langfristig auf qualifizierte Arbeitskräfte angewiesen sein werden. Auch deshalb wären wir gut beraten, nicht jeden Migranten zuerst als einen Angriff auf unsere Sozialsysteme zu betrachten. Wir sollten das Potenzial erkennen, das in der teilweise hoch qualifizierten, jungen Bevölkerung außerhalb Europas liegt.

Von Europa ist in diesen Fragen mehr Engagement gefragt - im eigenen Interesse und um seiner eigenen Glaubwürdigkeit willen.

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