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Interview: Bundesminister Westerwelle in der NZZ. Themen: Umbrüche in der arabischen Welt, Afghanistan, Nahost und Europa
Erschienen in der Neuen Zürcher Zeitung vom 21.05.2011. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Neuen Zürcher Zeitung.
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Herr Westerwelle, wenn Sie auf die sogenannte arabische Revolution blicken, ist das Glas eher halb voll oder halb leer?
Das ist von Land zu Land unterschiedlich. In Tunesien und Ägypten hat die Revolution erfolgreich begonnen, in Marokko hat König Mohammed VI. eine Reformbewegung vor Jahren selbst eingeleitet. In Libyen erleben wir, wie ein Diktator einen Krieg gegen das eigene Volk führt. Und leider sind auch die Nachrichten aus Syrien und Jemen alles andere als gut.
Sie erwähnen Libyen: Fühlen Sie sich angesichts der dortigen Entwicklung bestätigt in Ihrer Entscheidung, die alliierten Luftangriffe nicht mitzutragen?
Das Entscheidende ist, dass der Krieg in Libyen im Interesse der Menschen ein schnelles Ende findet. Deswegen ist es unverzichtbar, dass Oberst Ghadhafi geht. Eine freie und gute Zukunft Libyens wird es mit ihm nicht geben.Wir setzen dabei, wie wir es von Anfang an getan haben, auf eine politische Lösung.
Was aber tut Deutschland, um diese politische Lösung zu beschleunigen?
Wir arbeiten bereits in der Kontaktgruppe für Libyen mit. In dieser wird die Notwendigkeit einer politischen Lösung geteilt. Es ist wichtig, dass auch die Sanktionspolitik fortgesetzt wird. Sanktionen wirken, wenn sie umfassend angelegt sind. Derzeit geht es um die Frage, wie wir Mittel und Wege finden, die Gelder, die aufgrund der Sanktionen international eingefroren wurden, beim libyschen Volk ankommen zu lassen. Dafür müssen wir nun die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen schaffen. So können zum Beispiel die medizinische Versorgung, humanitäre Hilfeleistung und auch der Erhalt und Wiederaufbau von Infrastruktur finanziert werden. Alleine in Deutschland sind mehr als 7 Milliarden Euro an Vermögenswerten eingefroren. Die gehören nicht uns, sondern dem libyschen Volk. Wir müssen Wege finden, dass sie an dieses zurückfließen.
Deutschland hat eine spezielle Beziehung zu Israel. Ägypten wiederum war sehr lange Zeit und dank dem ägyptischen Machthaber Mubarak ein eminent wichtiger stabilisierender Faktor für Israel. Sein auch von Berlin begrüßter Sturz verändert diese Gleichung. Schafft das nicht ein Dilemma für Deutschland?
Mir hat die ägyptische Regierung bei beiden Besuchen nach der Revolution versichert, dass sie eine Politik des inneren und des äußeren Friedens will und dass die Vereinbarungen, die mit Israel getroffen worden sind, nicht in Frage gestellt werden. Wir unterstützen eine Zwei-Staaten-Lösung. Die Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern müssen möglichst bald wieder aufgenommen werden. Dafür leisten wir Überzeugungsarbeit auf beiden Seiten.
Unter Umständen schon im September will die palästinensische Regierung einen eigenen Staat ausrufen.Wie wird Europa sich dazu stellen?
Ich rate von unilateralen Schritten ab, weil sie am Ende kontraproduktiv sein werden. Eine Zwei-Staaten-Lösung schafft man nur auf einem Verhandlungswege. Das Nahost-Quartett hat im letzten Jahr eine sehr positive Rolle gespielt. Dies kann noch verstärkt werden.
Ist die israelische Regierung in der Lage und willens, ihrerseits diesen Verhandlungsweg konstruktiv zu beschreiten – etwa mit einem Siedlungsstopp?
Die Siedlungspolitik wurde von mir nicht nur an internationalen Konferenzen, sondern zum Beispiel auch in Jerusalem selbst kritisiert. Wir sind für ein Einfrieren der Siedlungsaktivitäten. Gleichzeitig kann ich aber auch die Sorgen in Israel verstehen, wie sie etwa durch die zum Teil skandalösen Äußerungen aus Hamas-Kreisen genährt werden. Es ist sehr beunruhigend, wenn ein Hamas-Sprecher den brutalsten Terroristen der Welt, Osama bin Laden, heroisiert. Glücklicherweise hat die heutige Jugend in der arabischen Welt wenig übrig für die Terroristen der Vergangenheit, umso mehr aber für Demokratie und Freiheit. Wir erleben mit der Jasmin-Revolution die Chance einer Globalisierung der Aufklärung. Und dass das gelingt, liegt in unserem eigenen Interesse. Deswegen sollten wir von Investitionen bis zur Öffnung unserer Märkte unseren Beitrag dazu leisten, dass die Menschen, die für Freiheit und neue Lebenschancen auf die Straße gegangen sind, beides bekommen.
Sie haben den Tod von Osama bin Laden angesprochen. Verändert das die außenpolitischen und sicherheitspolitischen Prioritäten Deutschlands, auch mit Blick auf Afghanistan?
Kurzfristig müssen wir mit Gegenreaktionen und Rückschlägen rechnen. Mittel- und langfristig aber bedeutet sein Tod eine Schwächung von al-Kaida. Es sollte jetzt der Versuch gemacht werden, ein neues Kapitel im innerafghanischen Aussöhnungsprozess zu eröffnen.
Wir verfolgen das klare Ziel, dass der politische Prozess einer Reintegration und Aussöhnung in Afghanistan zu einem dauerhaften und nachhaltigen Frieden führt. Unsere Soldaten sollen keinen Tag länger in Afghanistan bleiben, als es unbedingt erforderlich ist. Deswegen bleibt es dabei, dass es nach 2014 keine deutschen Kampftruppen mehr in Afghanistan geben soll.
Wir sprechen immer von Afghanistan, wissen aber genau, dass der Schlüssel zur Befriedung dieser Region nicht in Afghanistan liegt, sondern in Pakistan. Wie schätzen Sie die dortige Lage ein?
Die amerikanische Regierung hat mitgeteilt, dass sie keine Hinweise darauf habe, dass die pakistanische Regierung oder das Militär vom Aufenthaltsort bin Ladens gewusst hat. Ich habe bei meinen Gesprächen in Pakistan den klaren Wunsch übermittelt, dass Pakistan Teil einer regionalen Lösung sein muss, an deren Ende ein freies und selbstbestimmtes Afghanistan steht. Ohne die regionalen Partner wird es schwierig für Afghanistan, einen freiheitlichen und friedlichen Weg zu beschreiten.
Sie betonen in Ihren Auftritten immer wieder das Friedensprojekt Europa. Ist es aber sinnvoll, nun auch den Euro als „Friedenswährung“ zu stilisieren?
Wenn man über Europa redet, dann sollte man nicht nur über den Preis sprechen, sondern auch über den Wert – etwa eine in der Geschichte Europas einmalig lange Friedensperiode. Für die europäische Integration stehen vor allem zwei für die Bürger erlebbare Umstände: die Reisefreiheit und eine gemeinsame Währung mit enormen Vorteilen für Wirtschaft und Arbeitsplätze. Es fallen die ewigen Wechselkursschwankungen weg. Die Schweiz kann ein Lied davon singen, was das gerade für eine mittelständische Wirtschaft bedeutet.
Deswegen zähle ich zu denen, die auch in Zeiten, in denen Europa bestritten wird, umso engagierter dafür kämpfen.
Aber was hat die horrende Staatsverschuldung Griechenlands mit dem Friedensprojekt Europa zu tun?
Wir gewähren keine Solidarität zum Nulltarif, sondern knüpfen diese an Gegenleistungen: Haushaltskonsolidierung, die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit durch entsprechende Strukturreformen. Jede Währung ist nur so stark wie die Volkswirtschaften, die hinter der Währung stehen. Deswegen akzeptieren wir auch keine Diskussion darüber, dass Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit verschlechtern sollte. Wettbewerb heißt, dass man sich an den vorderen Plätzen orientiert.
Sie gehen also immer noch davon aus, dass sich Griechenland selber aus diesem Sumpf befreien kann – und auch eine Umschuldung keine Option ist?
In Europa wird zu viel spekuliert, auf den Finanzmärkten und in den Medien. Die EU-Kommission, die EZB und der IMF werden uns in Bälde berichten, wie der Stand der Umsetzung des Reformprogramms in Griechenland ist. Danach werden wir in Ruhe die Lage bewerten und Entscheidungen treffen.
Wie aber wollen Sie denn innenpolitisch Ihre Bürger noch von einem solchen Konstrukt überzeugen?
In einer historischen Schicksalsfrage darf man in Europa nicht Stimmungen nachgeben, sondern man muss sich vorne hinstellen, um Stimmungen zu wenden. Das ist meine Vorstellung von politischer Führung. Ich zähle zu einer Generation, die noch weiß, dass freies Reisen in Europa keine Selbstverständlichkeit ist. Das darf man nicht aufs Spiel setzen. Mir fällt manches in Europa ein, was man kritisieren muss und soll. Aber wer die Axt an die Wurzeln Europas legt, wird mich als erbitterten Gegner haben.
Sie betonen Werte der Freiheit. Welchen Stellenwert aber haben diese in einer Außenpolitik, wenn sie zu Hause kaum mehr geschätzt werden?
Es ist mit vielem so, was mühsam erkämpft oder erarbeitet wurde: Wenn wenn man es hat, schätzt man es nicht mehr ausreichend. Erst wenn es verloren geht, merkt man, dass es fehlt. Das ist mit der Freiheit so, das ist mit dem Frieden so, und das ist mit Europa so.Viele Menschen, gerade in der jungen Generation, halten das Friedensprojekt Europa für selbstverständlich. Aber es ist nicht selbstverständlich, sondern jeden Tag neu zu erarbeiten. Es ist die Aufgabe unserer Generation, diese Einsicht den jungen Menschen zu vermitteln.
Wieweit sollen wir diese Werte in die Welt tragen, auf andere Nationen und Kulturen übertragen? Chinas Machthaber haben offenkundig eine eigene Vorstellung davon, was zulässig ist und was nicht – wie die Verschleppung Ai Weiweis zeigt. Ist das vom Westen hinzunehmen, als Teil eines Entwicklungsprozesses? Oder ist es uns erlaubt, Kritik zu üben?
Die Deutschen wissen aus ihrer eigenen Geschichte, dass Wandel durch Handel ein erfolgreiches Prinzip ist. Deswegen sind interessen- und wertegeleitete Aussenpolitik keine Gegensätze. Wir verfolgen unsere Wirtschaftsinteressen in China und anderswo. Dennoch haben wir es bei Liu Xiaobo und Ai Weiwei nicht an offenen, solidarischen Worten fehlen lassen. Ich selbst habe mehrfach erlebt, dass man in China auch kritische Fragen zum Rechtsstaat und zu den Menschenrechten, zur Freiheit der Kunst öffentlich ansprechen kann, wenn es in der Form respektvoll geschieht.
Im Verhältnis zwischen Deutschland und der Schweiz gab es schwierige Zeiten, es gab gute Zeiten. Aber ist unser Land für Berlin überhaupt von Belang?
Ich bin sehr erleichtert darüber, dass die Beziehungen unserer Länder sich auch atmosphärisch wieder so gut entwickelt haben, dass zum Beispiel so schwierige Verhandlungen wie über die Steuerabkommen in einer konstruktiven und ergebnisorientierten Weise erfolgen. Wenn zwischen der Schweiz und Deutschland die Enttäuschung über nicht erhaltene Punkte beim diesjährigen Eurovision Song Contest so heiß diskutiert wird, dann zeigt das, dass wir ganz augenscheinlich keine wirklich großen Kontroversen haben. Aber natürlich gibt es noch Probleme, die wir lösen müssen: Energiepolitik, Verkehrspolitik – ich denke an den Zürcher Flughafen –, Steuerpolitik. Es ist aber das Verständnis meiner Außenpolitik, und das ist mir sehr wichtig zu betonen, dass Deutschland gegenüber jedem Nachbarn eine Politik auf gleicher Augenhöhe betreibt. Die Schweiz und Deutschland sind nicht nur enge Freunde, sondern füreinander auch wichtige Partner.
Fragen: Markus Spillmann.