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Außenminister Westerwelle im Deutschlandfunk zu Obamas Nahost-Rede
Guido Westerwelle in Gespräch mit Christoph Heinemann
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US-Truppen bereiten sich auf den Abzug aus Afghanistan vor, mehrere arabische Staaten in Aufruhr, Bin Laden getötet, der US-Nahostbeauftragte Mitchell hat das Handtuch geworfen, Benjamin Netanjahu ante portas, auch der israelische Ministerpräsident will in Washington Grundsätzliches zur Lage im Nahen Osten sagen, und Fatah und Hamas haben sich gerade die Hände gereicht. Das war die Ausgangslage für Barack Obamas Rede gestern im US-Außenministerium. Am Telefon ist Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP). Guten Morgen.
Guten Morgen, Herr Heinemann.
Herr Westerwelle, welche war für Sie die Kernbotschaft des US-Präsidenten?
Die Kernbotschaft ist, dass die amerikanische Regierung ganz augenscheinlich wieder mutig auch im Nahost-Friedensprozess mitgestalten will. Die Umbrüche in der arabischen Welt, sie sind auch eine Chance für Fortschritte im Nahost-Friedensprozess. Und der Nahost-Friedensprozess ist zugleich ein wesentlicher Beitrag dazu, dass auch die Umbrüche, die demokratischen Revolutionen in der arabischen Welt gelingen können.
Mutig, sagen Sie. War es vielleicht doch ein bisschen übermütig zu sagen, die Jahreszahl 1967 zu nennen? Jeder weiß, dass die Israelis das überhaupt nicht witzig finden.
Der amerikanische Präsident hat von den Grenzen von 1967 gesprochen, inklusive der vereinbarten, durch Verhandlungen vereinbarten, Abweichungen von diesem Grenzverlauf. Das darf nie vergessen werden. Das ist eine internationale Haltung, und die ist auch richtig.
Gleichwohl war Benjamin Netanjahu enttäuscht, der ja gerade im Anflug auf Washington ist.
Ich glaube, dass die Gespräche zwischen beiden, zwischen Ministerpräsident Netanjahu und Präsident Obama, hier auch Fortschritte bringen können. Für uns ist entscheidend, dass wir ein historisches Fenster derzeit haben im Nahen Osten, im Norden Afrikas, in der arabischen Welt. Hier erleben wir derzeit, dass Freiheit und Demokratie auf dem Vormarsch sind. Wir müssen deswegen auch jetzt die Situation gestalten, und dazu gehört auch, dass wir im Nahost-Friedensprozess endlich wieder zurückkehren zu Verhandlungen. Ich selbst habe in meinen Gesprächen auch in dieser Woche und auch in den letzten Wochen immer wieder alle Parteien dazu ermutigt, auch zu direkten Friedensgesprächen zurückzukehren. Das ist noch schwierig. Wir können dann darüber hinaus auch über das sogenannte Nahost-Quartett unseren Einfluss geltend machen. Aber notwendig ist es auf jeden Fall, die Zeit arbeitet ja nicht für ein Land, sondern sie arbeitet gegen die Menschen, und ohne dass der Nahost-Friedensprozess Fortschritte bekommt, werden wir einen schwelenden Konflikt behalten, und das kann nicht gesund sein, auch gerade für die demokratischen Umbrüche in der arabischen Welt.
Herr Westerwelle, rechnen Sie denn bei Netanjahus Rede am Dienstag mit Zugeständnissen, oder wird er in das historische Fenster, das Sie beschrieben haben, eine Milchglasscheibe einsetzen?
Alles was ein Fortschritt ist, werden wir jedenfalls unterstützen. Wir sind der Überzeugung, dass durch Verhandlungen eine Zwei-Staaten-Lösung erzielt werden muss. Das liegt ja vor allen Dingen auch im israelischen Interesse. Auf Dauer wird die Sicherheit Israels wesentlich davon abhängen, dass Israel stabile und demokratische Nachbarn hat, und Stabilität kommt eben nicht von autokratischen Regimen. Es ist eben kein Regime um Israel herum stabil, wenn es die Menschen unterdrückt, sondern Stabilität kommt nur von der Stabilität der Gesellschaften her, und ohne dass wir mit einer Zwei-Staaten-Lösung den Nahost-Konflikt lösen, wird es diese stabilen Gesellschaften nicht geben. Demokratie, auch wirtschaftlicher Aufschwung für die Menschen in der Region, das ist die Voraussetzung für Stabilität, und dieses Fenster der Gelegenheit, das muss jetzt genutzt werden.
Umso dringender wäre es jetzt, wo die Welt aus den Fugen gerät, die arabische Welt zumindest, dass ein europäischer Zusammenhalt und auch Vertrauen in den deutsch-amerikanischen Beziehungen existiert. Jetzt hat der frühere US-Botschafter in Deutschland, James D. Bindenagel, in diesen Tagen in einer deutschen Zeitung geschrieben, wegen der deutschen Libyen-Politik: Deutschlands Politik war immer berechenbar, aber das ist nun vorbei.
Die deutsche Außenpolitik ist nicht nur berechenbar, sie ist auch international solidarisch. Wir sind ja sehr engagiert auch international bei Einsätzen dabei, zum Beispiel, wenn ich an Afghanistan denke, oder wenn ich daran denke, dass wir unmittelbar vor der libanesischen Küste ebenfalls auch unseren Beitrag leisten mit deutschen Soldaten. Wir haben uns entschieden, dass wir nicht mit deutschen Soldaten an dem Kampfeinsatz in Libyen teilnehmen, wir haben das abgewogen und wir sind da in bester Gesellschaft mit vielen anderen. Auch die Mehrheit der europäischen Mitgliedsstaaten beteiligt sich nicht an diesem Militäreinsatz in Libyen. Dass wir deswegen neutral seien, das ist nicht richtig, sondern wir sind natürlich klar auf der Seite der Demokraten, wir setzen aber auf eine politische Lösung.
Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, das geht auch aus Ihren Worten hervor, sind eng miteinander verwoben. - Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière hat vorgestern im Zusammenhang mit der Vorstellung der geplanten Bundeswehrreform folgendes gesagt: „Deutsche Sicherheitsinteressen ergeben sich aus unserer Geschichte, der geografischen Lage in der Mitte Europas, den internationalen politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen des Landes sowie unserer Ressourcenabhängigkeit als Hoch-Technologie-Standort und rohstoffarme Exportnation.“ -
Thomas de Maizière, und das unterscheidet sich kaum von jenem Satz, der Bundespräsident Horst Köhler vor einem Jahr zum Verhängnis wurde, als er in ein Mikrofon unseres Senders sagte: „Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe, mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit, auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen, negativ, bei uns durch Handel Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern. Alles das soll diskutiert werden und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg.“ - Horst Köhler am 22. Mai 2010, also ziemlich genau vor einem Jahr, gegenüber unserem Sender. - Also: Sicherheitsinteressen ergeben sich aus unserer Ressourcenabhängigkeit. Das sagt der für die Bundeswehr zuständige Minister. Ist das offizielle Regierungspolitik?
Zunächst einmal bleibt es beim Primat der Politik. Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik, und deswegen bleiben wir auch bei unserer klaren Konstante, nämlich eine Kultur der militärischen Zurückhaltung. Was die Frage angeht der Wahrnehmung von Interessen, so habe ich im letzten Jahr zu den wenigen gezählt, die sich auch öffentlich hinter den Bundespräsidenten Köhler gestellt haben, denn wir handeln bereits, zum Beispiel bei der Pirateriebekämpfung, um auch die Sicherheit unserer Handelswege sicherzustellen. Das ist ein legitimes und notwendiges Interesse, was wir dort durchsetzen, denn nicht nur, weil wir eine Exportnation sind, sondern auch, weil wir unsere Staatsbürger vor Piraterie schützen müssen, haben wir unsere Marine eingesetzt, und das ist ein wichtiger Beitrag.
Haben Sie das denn auch so wahrgenommen, dass es keinen großen Unterschied gibt zwischen der Erklärung jetzt von Thomas de Maizière und von Horst Köhler?
Ja ich habe ja seinerzeit schon dem Bundespräsidenten zugestimmt, als er ja auch noch sehr scharf kritisiert worden ist, denn er hat seinerzeit ja lediglich die Fakten beschrieben. Wir sind bei der Pirateriebekämpfung dabei, um unsere Schiffe, unsere Handelswege, unsere deutschen Besatzungsmitglieder und die unserer Verbündeten zu schützen, gegen Piraterie, gegen Terror, und das ist nicht nur legitim, das ist auch notwendig. Grundsätzlich aber will ich noch einmal unterstreichen: Die Bundeswehr wird effizienter. Das ist ein richtiges und wichtiges Anliegen der Bundesregierung insgesamt. Aber es bleibt beim Primat der Politik, es bleibt dabei, dass deutsche Außenpolitik Friedenspolitik ist, und es bleibt auch dabei, dass wir Auslandseinsätze der Soldaten im Ausland nur dann beschließen werden, wenn es keine anderen Möglichkeiten und sinnvolle Möglichkeiten gibt. Mit anderen Worten: Wir betrachten die Kultur der militärischen Zurückhaltung als eine Konstante deutscher Außenpolitik.
Und zur Not auch im Schulterschluss mit China und Russland?
Ich denke, dass ich bereits eben ja darauf hingewiesen habe, wie viele in Europa ebenfalls so denken wie wir. Sie haben übrigens Brasilien und Indien dabei vergessen. Aber wichtig ist, dass wir jetzt ja alle erkennen, eine politische Lösung ist notwendig. Politische Lösungen sind auch das, was wir vorantreiben wollen, zum Beispiel auch durch eine klare und eindeutige Sanktionspolitik. Nehmen Sie das Beispiel Syrien, wir erleben dort, dass Präsident Assad trotz der entsprechenden Brücken, die ihm gebaut worden sind, unverändert mit der Repression fortsetzt, und auch da ist Deutschland anführend bei der Frage der Sanktionen. Ich denke, wir werden in der nächsten Woche nicht nur Sanktionen weiterhin beschließen, sondern wir werden in die Sanktionen auch den syrischen Präsidenten Assad einbeziehen. Er unterdrückt freiheitliche Demonstrationen mit Gewalt durch seine Regierung, durch seine Behörden, und das kann nicht ohne Antwort der internationalen Gemeinschaft bleiben.
Zum Schluss kurz noch ein anderes Thema. Dominique Strauss-Kahn ist entlassen worden, oder soll entlassen werden, jetzt gegen harte Auflagen, hohe Kaution. Er wird angeklagt. Der IWF sucht einen neuen Direktor. Wir wollen Brasilien und Indien nicht vergessen! Wäre es jetzt Zeit für einen Vertreter aus einem Schwellenland?
Ich spekuliere darüber jetzt nicht, weil diese Gespräche schwierig genug sind und erst noch geführt werden müssen. Dass wir Europäer ein Interesse daran haben, dass unser europäischer Einfluss nicht abnimmt, das versteht sich von selbst, und dass wir in dieser Richtung auch Gespräche führen, das ist naheliegend.
Einen Namen vielleicht?
Nein, keinen Namen. Aber ich verstehe, dass Sie fragen, aber Sie werden verstehen, dass ich keine Namen nenne.
Bundesaußenminister Guido Westerwelle in den „Informationen am Morgen“ im Deutschlandfunk.