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Außenminister Westerwelle im Interview mit der „Bild am Sonntag“ zu Terrorismus sowie zur Lage in Afghanistan und Libyen

09.05.2011 - Interview

Bild am Sonntag: Wann und auf welche Weise haben Sie als deutscher Außenminister davon erfahren, dass US-Spezialkräfte Osama bin Laden in Pakistan getötet haben?

Außenminister Westerwelle: Wenige Minuten nach Ankündigung der Rede von Präsident Obama an die Nation hat mir ein Freund aus den USA eine entsprechende SMS geschickt.

Wie war Ihre erste, spontane Reaktion?

Als die Nachricht, dass Osama bin Laden seine Untaten nicht fortsetzen kann, bestätigt wurde, habe ich ein Gefühl der Erleichterung verspürt. Dieses Gefühl teile ich nicht nur mit vielen Menschen im Westen, sondern auch in der moslemischen Welt. Denn Al-Kaida hat noch mehr Menschen moslemischen Glaubens auf dem Gewissen als Christen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Freude über die Tötung des meistgesuchten Terroristen der Welt geäußert und ist dafür heftig kritisiert worden. Zu Recht?

Diese Debatte in Deutschland irritiert mich. Da kann einer der brutalsten Mörder sein blutiges Handwerk nicht fortsetzen und wir unterhalten uns darüber, mit welchen Worten man diesen Vorgang kommentieren darf. Es ist eine gute Nachricht für uns alle, dass Osama bin Laden sein Morden nicht fortsetzen kann.

Ist es heuchlerisch zu sagen, man dürfe sich über den Tod eines Massenmörders wie bin Laden nicht freuen?

Ich habe nicht die Absicht, hier in eine Diskussion einzutreten, die sich an einzelnen Worten abarbeitet. Wir haben jetzt die Chance, ein neues Kapitel im Verhältnis zwischen den Religionen und Kulturen aufzuschlagen. Diese Chance sollten wir ergreifen! Ich freue mich darüber, dass sich die große Mehrheit der muslimischen Jugend nicht an Terroristen von gestern orientiert, sondern für Freiheit und Zukunftschancen auf die Straße geht.

Winston Churchill hat einst gesagt, manchmal müsse man unaussprechliche Dinge tun, um die Demokratie zu schützen. Gehört zu diesen unaussprechlichen Dingen die gezielte Tötung gefährlicher Gegner durch Agenten oder Spezialkommandos?

Unser Ziel muss es sein, Terroristen und Verbrecher festzunehmen und vor Gericht zu stellen, wann immer dies möglich ist, denn eine Verurteilung nach einem rechtsstaatlichen Verfahren ist immer vorzuziehen. Ob man im konkreten Fall bin Laden seine Rechte hätte vorlesen und ihn dann festnehmen können, darf aber bezweifelt werden.

Man kann jetzt lesen, die USA seien durch Aussagen von Häftlingen in Guantanamo oder in Geheimgefängnissen der CIA in Osteuropa Osama auf die Spur gekommen. Ist das eine späte Rechtfertigung brutaler Verhörmethoden?

Welche Ermittlungen am Ende zum Fahndungserfolg gegen bin Laden geführt haben, werden wir möglicherweise erst nach Jahren wissen, wenn die Protokolle freigegeben werden. Grundsätzlich ist klar, dass Folter und ähnliche Methoden für uns nicht akzeptabel sind. Die Bundesregierung unterstützt Präsident Obama in seiner kritischen Haltung gegenüber dem Gefangenenlager in Guantanamo.

Sollen die Fotos des toten Osama veröffentlicht werden, um Legendenbildungen vorzubeugen?

Ich möchte nicht, dass ein solcher Terrorist im Nachhinein heroisiert werden kann, und es gilt auch die Würde jedes Toten zu achten.

Bin Laden war eine Symbolfigur für die Taliban in Afghanistan. Sind die nun geschwächt?

Das wird die Zeit zeigen. Wir sind ja nicht in Afghanistan, weil wir einen Top-Terroristen treffen wollten. Wir sind in Afghanistan, weil dort bis in die jüngste Zeit in den Ausbildungslagern von Al-Kaida Terroranschläge auch gegen uns Europäer vorbereitet wurden.

Libyens Staatschef Gaddafi ist wie bin Laden ein Massenmörder. Darf die NATO ihn töten?

Der Fall von Oberst Gaddafi ist von der UNO an den internationalen Strafgerichtshof überwiesen worden. Demnächst wird der Ankläger über einen Haftbefehl entscheiden. Das ist der richtige Weg.

Manche Ihrer Bedenken gegen den Libyen-Einsatz haben sich inzwischen als berechtigt herausgestellt. Dennoch gibt niemand auf der internationalen Bühne den Deutschen und ihrem Außenminister Recht. Wie sehr schmerzt Sie das?

Entscheidend ist, dass das Leiden in Libyen ein Ende findet! Verantwortlicher für die Gewalt ist Oberst Gaddafi. Dass ich mich gemeinsam mit der Bundeskanzlerin für eine politische Lösung eingesetzt habe, bedeutet nicht, dass wir neutral wären. Vielmehr haben wir uns sehr früh für robuste Sanktionen gegen Oberst Gaddafi eingesetzt. Die Beschlussfassung über die Sanktionen einschließlich eines Ölembargos hat zu lange gebraucht. Es ist gut, dass die EU bei Syrien jetzt sehr viel schneller Sanktionen beschlossen hat. Darauf haben wir gedrängt.

Würden Sie heute bei einer erneuten Abstimmung im Sicherheitsrat anders als mit Enthaltung stimmen?

Dies war die bisher schwierigste Abwägungsentscheidung in meiner Amtszeit. Ich bin unverändert von der Richtigkeit überzeugt. Zugleich habe ich die Motive unserer Partner, die militärisch eingegriffen haben, stets als ehrenwert empfunden. Ganz unabhängig von der Entwicklung in Libyen rate ich dazu, den Einsatz von Militär immer nur als ein letztes Mittel anzusehen. Man mag darüber streiten, wann der Zeitpunkt für dieses letzte Mittel im konkreten Einzelfall gekommen ist. Aber die Behauptung, dass politische Lösungen langwieriger und weniger wirkungsvoll als Militäreinsätze wären, halte ich für falsch. Der Vorrang der Politik ist von größter Bedeutung. Deshalb werde ich als Außenminister weiter darauf dringen, die Kultur der militärischen Zurückhaltung fortzusetzen, auch wenn ich dafür kritisiert werde.

Ist diese Friedensorientierung auch der Grund, warum Sie den Parteivorsitz niederlegen, am Amt des Außenministers aber festhalten?

Zu den Konstanten meiner Politik gehört die Kultur der militärischen Zurückhaltung, weil deutsche Außenpolitik Friedenspolitik ist. Die zweite Leitlinie meiner Politik ist das klare Bekenntnis zu Europa, nicht zuletzt, weil Europa unsere Wohlstandsversicherung in den Zeiten der Globalisierung ist. Dieser Kompass, dem ich folge, ist bereits in der Präambel des Grundgesetzes angelegt. Dort heißt es: „In einem vereinten Europa dem Frieden der Welt dienen“. Europa und ein starker Euro sind gut für unser Land und die Arbeitsplätze bei uns.
(...)

Die Fragen stellten Michael Backhaus, Martin S. Lambeck und Walter Mayer.

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