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„Eine gute Nachricht für die ganze Welt“ (Interview mit Außenminister Westerwelle)

04.05.2011 - Interview

Bundesaußenminister Guido Westerwelle im Interview mit der Tageszeitung Die Welt, erschienen am 04.05.2011

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Herr Westerwelle, die Bundeskanzlerin und der CSU-Vorsitzende haben „Freude“ über die Nachricht von der Tötung Osama bin Ladens zum Ausdruck gebracht. Ist das eine angemessene Reaktion der Vertreter eines Rechtsstaats, der die Todesstrafe ausdrücklich abgeschafft hat?

Es ist eine gute Nachricht für die ganze Welt, für den Westen ebenso wie für die allermeisten Menschen muslimischen Glaubens, dass Osama bin Laden sein blutiges Handwerk nicht fortsetzen kann. Und ich denke, dass darüber hinaus auch ein Gefühl der Erleichterung verständlich ist, dass dieser Terrorist, der viele Tausend Opfer auf dem Gewissen hat, seinen Schrecken nicht weiter verbreiten kann. Über die Umstände der Stürmung des Hauses wurde berichtet, dass sich der mit internationalem Haftbefehl gesuchte Terroristenführer mit der Waffe zur Wehr gesetzt hat. In der Folge eines Feuergefechtes soll es zu seiner Tötung gekommen sein.

Es war also nach Ihrer Kenntnis keine gezielte Tötung angestrebt?

Es wird berichtet, dass es zu Kämpfen und dabei zur Tötung gekommen sei. Andere Erkenntnisse liegen mir nicht vor.

Aus der deutschen Opposition werden erste Rufe laut, nach dem Tod Osamas müsse nun auch der Afghanistaneinsatz der Bundeswehr beendet werden.

Diese Rufe sind außenpolitisch leichtsinnig und widersprechen unseren eigenen Sicherheitsinteressen. Wir sind ja nicht nach Afghanistan gegangen, um einen Terrorführer zu fassen. Sondern um zu verhindern, dass Kabul wieder wie früher unter den Taliban zur weltweiten Hauptstadt der Terroristen wird. In Afghanistan wurden fürchterliche Anschläge geplant und Mörder ausgebildet. Von den verbliebenen Terrorcamps im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet geht nach wie vor eine unmittelbare Gefahr auch für unsere Bürger in Europa und Deutschland aus. Es ist ja kein Zufall, dass sowohl die Mitglieder der Sauerland-Gruppe als auch die jüngst festgenommene Düsseldorfer Terrorzelle in solchen Al-Qaida-Lagern ausgebildet wurden. Wir setzen unsere Afghanistan-Politik fort, denn so haben wir uns in den letzten 16 Monaten eine Abzugsperspektive erarbeitet.

Sicherheitsbehörden rechnen mit Racheakten von Extremisten als Reaktion auf den Tod Bin Ladens. Was bedeutet das für die Sicherheit der Bundesbürger im In- wie im Ausland?

Ich habe bereits wenige Stunden nach der Todesnachricht meine Besorgnis zum Ausdruck gebracht, dass damit der Terrorismus nicht besiegt ist und wir uns auf Gegenreaktionen einstellen müssen. Wachsamkeit im Inland, Vorsicht und Aufmerksamkeit im Ausland sind nötig. Gleichzeitig ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass der allergrößte Teil der muslimischen Jugend insbesondere in der arabischen Welt sich keineswegs mit dem Terror von al-Qaida identifiziert. Wenn wir jetzt Bilder von Extremisten sehen, die Rache schwören, dann repräsentieren diese Bilder nicht die Mehrheit der Menschen in der muslimischen Welt. Der weitaus größte Teil gerade der Jugend greift nach der Zukunft – das hat der freiheitliche, aufklärerische Geist der Jasmin-Revolution anschaulich gezeigt.

Dennoch gibt es radikale Kräfte, die Bin Ladens Tod in ihrem Sinne nutzen wollen. Wie lässt sich da gegensteuern?

Zunächst einmal müssen wir aufpassen, dass wir mit unseren Reaktionen im Westen – bei allem Verständnis über die Erleichterung – nicht Bilder in die Welt senden, die wiederum nur zu einer Aufstachelung oder Heroisierung al-Qaidas beitragen. Es gilt, religiöse Kulturen zu achten und den Islam zu respektieren. Wenn verirrte Menschen im Westen in ihrem religiösen Fanatismus den Koran verbrennen, dann ist das etwas, was ich nicht nur persönlich verabscheue. Das bleibt auch politisch nicht ohne Wirkungen, weil es den radikalen Kräften hilft. Stattdessen sollten wir die Zeit jetzt nutzen, um auf Entspannung, Verständnis und Dialog zu setzen. Die Stunde für ein neues Kapitel zwischen dem Westen und der arabischen Welt ist gekommen. Denn für die große Mehrheit der Jugend in der arabischen Welt ist Terrorismus von gestern, die jungen Menschen wollen freiheitlicher leben, und vor allem wollen sie bessere Lebenschancen.

Mit welcher konkreten Politik lässt sich das abseits dieses Bekenntnisses befördern?

Nur wenn die demokratische Revolution für die Menschen auch Früchte bringt, wird sie nachhaltig sein. Deshalb ist es an der Zeit, dass wir Tunesien und Ägypten nicht nur mit Worten und politischen Initiativen unterstützen, sondern für konkrete wirtschaftliche Verbesserungen sorgen. Damit ist mehr gemeint, als dass wir wieder als Touristen ans Rote Meer oder nach Djerba fahren. Wir müssen vielmehr unsere Märkte in Europa für diese Länder und ihre Produkte öffnen. Dafür habe ich die Initiativen ergriffen, jetzt müssen sie umgesetzt werden, in Deutschland und Europa. Und wir müssen unsere Unternehmen bestärken, gerade in einem Schlüsselstaat wie Ägypten zu investieren. Es braucht eine handfeste Demokratiedividende! Wir erleben jetzt entscheidende Monate, diese Revolution ist noch nicht entschieden. Ich möchte nicht, dass die Menschen in zwei Jahren in Anbetracht von Armut und Not die Schlussfolgerung ziehen, dass die Demokratie nicht besser ist als die Diktatur. Denn dann wenden sie sich wirklich den Extremisten zu.

Was sagt es über die Vertrauenswürdigkeit der Regierung in Pakistan – die ja in Afghanistan ein entscheidender Partner ist – aus, dass Osama in Abdottabad, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Militäreinrichtungen, komfortabel leben konnte?

Das ist in der Tat auffällig und wirft Fragen auf. Es ist gut und anerkennenswert, dass die pakistanische Regierung von sich aus die nötige Sensibilität zeigt, diesen Fragen nachzugehen. Das erwarten wir auch.

Besteht nicht die Gefahr, dass die ohnehin schwache Regierung in Islamabad weiter destabilisiert wird?

Darüber will ich nicht spekulieren. Jetzt geht es erst einmal darum, das aufgeklärt wird: Wie ist das möglich gewesen, dass Bin Laden da unbehelligt leben konnte? Wichtig ist, dass nach einer Phase der Aufklärung dann auch glaubwürdige Antworten folgen.

Die Hamas hat die Tötung Osama Bin Ladens verurteilt. Ist es Zeit, die deutsche Nahost-Politik neu zu justieren?

Nein. Es bleibt dabei, dass eine Organisation wie die Hamas, die seitens der EU als Terrorgruppierung gelistet ist, für uns kein Partner sein kann, solange sie das Existenzrecht Israels bestreitet und der Gewalt nicht abschwört. Wir setzen weiter auf einen innerpalästinensischen Dialog. Zur Stunde kennen wir die jüngste Vereinbarung zwischen Hamas und Fatah noch nicht. Die Heroisierung Osamas durch einen Hamas-Sprecher lässt diesbezüglich jedenfalls nichts Gutes ahnen.

Was ist für Sie das größere Hindernis auf dem Weg zu einem schwierigen Frieden in Nahost: Die israelische Siedlungspolitik, oder die Solidarisierung der Hamas mit Osama?

Wir wollen eine Zwei-Staaten-Lösung. Dazu zählt, das Israel in gesicherten Grenzen ohne Angst leben kann. Das ist deutsche Staatsräson. Und dazu zählt auch, dass die Palästinenser unsere Unterstützung haben, in einem eigenen Staat zu leben. Deshalb sind die Äußerungen von Hamas, die einen der brutalsten Terroristen der Neuzeit heroisieren und idealisieren, wirklich bestürzend. Sie zeigen unverändert, welch Geistes Kind die Hamas ist. Wir werden das in dieser Woche mit Präsident Abbas noch einmal besprechen.

Es sollen auch Äußerungen aus Guantanamo gewesen sein, die die USA auf die Spur Bin Ladens geführt haben. Sehen Sie Anlass, das Gefangenenlager und die Politik von George W. Bush neu zu bewerten?

Welche Informationen zu dem erfolgreichen Zugriff beigetragen haben, dass wird erst die Geschichtsschreibung in einigen Jahren erweisen, wenn alle Protokolle ausgewertet werden können. Eines ist klar: Wir teilen die kritische Einschätzung Präsident Obamas zu Guantanamo. Aus unserer Sicht sollte es in einer Demokratie keine derartigen Gefängnisse geben, die die eigene Rechtsordnung außer Kraft setzen.

Trauen Sie Obama noch zu, das Lager in dieser Legislatur zu schließen?

Wir ermutigen den Präsidenten, seine kritische Haltung zu Guantanamo in praktische Politik umzusetzen. Aber die innenpolitischen Widerstände in Amerika sind mir natürlich auch bekannt.

Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Welt. Fragen: Thorsten Jungholt

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