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„Engste Partnerschaft beim demokratischen Aufbruch“ (Interview)
Bundesaußenminister Westerwelle zur aktuellen Lage in den nordafrikanischen Ländern. Erschienen in der Magdeburger Volksstimme vom 12.03.2011.
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Herr Minister, die Umbrüche in Nordafrika beschäftigen die Politik stark, und viele Menschen in Deutschland fragen sich, stehen wir von unsicheren Zeiten?
Wir begrüßen diese Freiheitsbewegung sehr. Aber noch ist nicht entschieden, wie sie enden wird. Dennoch sollten wir optimistisch sein. Wir Deutschen haben vor mehr als 20 Jahren erlebt, was mutiges Eintreten von Frauen und Männern für Freiheit und Zukunft bewirken kann.
Die Afrikaner haben keine EU-Perspektive, wie die DDR-Bürger und die Menschen in anderen ost- und mitteleuropäischen Staaten sie 1989 hatten.
Die freiheitliche Stimmung und die Begeisterung der Menschen sind durchaus vergleichbar. Die historische Ausgangslage ist natürlich sehr unterschiedlich. Dennoch drängen sich einige Parallelen geradezu auf. Entscheidend ist, dass bei unseren unmittelbaren Nachbarn in Nordafrika die Demokratie rasch in einer Verbesserung der Lebensbedingungen spürbar wird. Darauf ist mein Konzept eines Nord-Süd-Paktes ausgerichtet. Das ist nicht nur Solidarität, das dient letztlich uns selbst. Denken Sie nur an die Flüchtlingsproblematik oder an die Instabilität der Energiepreise.
Bitte umreißen Sie ihr Konzept.
Länder, die sich nachhaltig und unumkehrbar für den demokratischen Weg entscheiden, müssen von uns in engster Partnerschaft begleitet werden – beim Aufbau einer unabhängigen Justiz, mit Hilfe von Investitionen europäischer Unternehmen und durch die Öffnung europäischer Märkte für Produkte aus Nordafrika. Das trägt dort dazu bei, dass die Menschen im eigenen Land für sich eine Zukunft sehen können. Bereits jetzt engagieren sich mehr als 270 deutsche Unternehmen in Tunesien. Dort und in anderen Ländern können sich im Zuge einer freiheitlichen Ausrichtung neue Mittelschichten herausbilden. Diese sind dann beste Partner für europäische Länder und Unternehmen.
Niemand weiß, wohin die Reise in nordafrikanischen Staaten geht. Man wird sich die Regierungen dort also nicht aussuchen können. Wo liegen Grenzen für eine Zusammenarbeit?
Jetzt tritt die Freiheit über Nordafrika ihren Siegeszug in einer weiteren Region der Welt an. Das ist erfreulich. Wenn die Geschichte es gut mit uns meint, und wenn wir die richtigen Entscheidungen treffen, dann erleben wir keinen Kampf der Kulturen sondern Chancen für ein neues Miteinander der Länder nördlich und südlich des Mittelmeers. Auch für uns Deutsche. Schließlich hängen mindestens 40 Prozent aller Arbeitsplätze in Deutschland von unserer internationalen Vernetzung ab. Dass wir Partnerschaften mit Regierungen begründen, die internationalen Maßstäben der Menschenrechte entsprechen, versteht sich von selbst.
Welche Möglichkeiten hat Europa, die Entwicklung in diesen Ländern hin zu Demokratie zu beeinflussen?
In Tunesien und Ägypten ist ein guter Anfang gemacht worden. Ich habe mich bei meinen Reisen nach Tunis und Kairo davon überzeugen können, dass dort die Kraft der Freiheit nicht nur auf die Straße getragen worden ist, sondern auch in die Köpfe und Herzen der großen Mehrheit der Menschen. Darin liegen gute Chancen für die Unumkehrbarkeit des demokratischen Prozesses. Anders in Libyen. Wegen der Gewalttaten Gaddafis gegen das eigene Volk haben wir scharfe Sanktionen gegen die Herrschaftsfamilie von Muammar al Gaddafi verhängt.
Deutschland möchte erreichen, die Immunität Gaddafis aufheben zu lassen. Was soll damit bewirkt werden?
Wer Gräueltaten gegen das eigene Volk begeht, darf nicht davonkommen. Deshalb haben wir Reisebeschränkungen für den Herrscher-Clan beschlossen. Ebenfalls bedeutsam ist, dass die Auslands-Vermögen der Gaddafi-Familie gesperrt wurden. Als nächstes darf es keine direkten Geldzahlungen nach Libyen mehr geben. Wir müssen verhindern, dass der Diktator frisches Geld in die Hände bekommt, um Söldner bezahlen zu können, die er gegen das eigene Volk einsetzt.
Angesichts der Einsätze der libyschen Luftwaffe gegen das eigene Volk wird weiterhin über eine Flugverbotszone diskutiert. Die wäre nur durchsetzbar mit Hilfe der NATO, wenn sie ein UN-Mandat hätte. Das wiederum würde den Konflikt internationalisieren. Wer will das?
Eine Flugverbotszone ist eine Option, aber die Bundesregierung ist hier zurückhaltend, denn man muss bei solchen Entscheidungen auch das Ende bedenken. Wir wollen nicht auf eine schiefe Ebene geraten, an deren Ende Deutschland dauerhafte Kriegspartei ist. Wir sollten aus den Erfahrungen insbesondere im Irak gelernt haben. Alles, was über gezielte Sanktionen hinausgeht, braucht ein Mandat der Vereinten Nationen. Und: Es ist zwingend notwendig, dass die Nachbarländer und die Arabische Liga das nicht nur unterstützen, sondern sich gegebenenfalls an solchen Maßnahmen auch beteiligen.
Die Überwachung des libyschen Luftraums durch die NATO und eine erhöhte NATO-Marinepräsenz im Mittelmeer verstärken die Drohkulisse gegen Gaddafi. Glaubhaft wird sie aber nur, wenn auch militärische Handlungsbereitschaft besteht. Eine Konsequenz wären gezielte Luftangriffe, wie sie Frankreich vorschlägt. Was ist davon zu halten?
Wir müssen bei allem, was wir diskutieren, sehr klug und verantwortungsbewusst vorgehen und das Ende bedenken. Ich bin sehr zurückhaltend, was die Diskussion um ein militärisches Eingreifen wie etwa eine Flugverbotszone betrifft. Wir dürfen nicht dauerhaft Partei in einem nordafrikanischen Bürgerkrieg werden und wir müssen stets auch die Konsequenzen unseres Handelns in der arabischen Welt beachten. Wir wollen die Demokratiebewegungen schließlich stärken und nicht schwächen.
Frankreich hat die libysche Opposition als „legitimen Vertreter des libyschen Volkes“ anerkannt. Ist das aus deutscher Sicht mehr als eine demonstrative Geste? Weiß man eigentlich, wen man da anerkannt hat?
Natürlich ist es richtig, mit der libyschen Opposition zu reden. Das tun wir auch. Aber wir müssen schon genau wissen, mit wem wir es zu tun haben und für wen jemand spricht. Das muss genau sondiert werden. Auch die Haltung der am Samstag tagenden Arabischen Liga ist wichtig.
Gaddafi ist unbestritten einer der schlimmsten Potentaten in der arabischen Welt. In der Vergangenheit hat Europa dort und auch bei anderen nicht so genau hingeschaut – um jetzt, wo es um Demokratie geht, ganz doll aufzupassen. Ist das so?
Es macht wenig Sinn, über die Fehler des Westens und der internationalen Gemeinschaft in den vergangenen Jahrzehnten zu philosophieren. Entscheidend ist, dass jetzt angepackt wird und die Dinge einen guten Lauf nehmen. Deshalb haben wir Deutsche auch auf Sanktionen gegen Libyen gedrungen. Im Übrigen ist die Lage in nahezu jedem Land im Maghreb und in ganz Arabien völlig unterschiedlich zu bewerten. Erkennbar aber ist bei allen: Nicht eine autokratische Herrschaft, sondern nur eine stabile Gesellschaft macht ein Land stabil.
Fragen: Gerald Semkat. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Magdeburger Volksstimme.