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Libyen: „Sanktionen und Humanitäre Hilfe“ (Interview)

09.03.2011 - Interview

Interview mit Bundesaußenminister Westerwelle zur Stabilität des Euro und zur Lage in Libyen. Erschienen im Straubinger Tagblatt vom 09.03.2011

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Die Europäische Union ringt noch mit den Folgen der Wirtschaftskrise. Müssen wir uns Sorgen um den Euro machen?

Nein! Der Euro ist stabil. Aber wir müssen die Ursachen der Krise beherzt anpacken. Erstens sind zu viele Schulden in kurzer Zeit in zu vielen Ländern angehäuft worden. Wir müssen also sehen, dass wir zu einer soliden Haushaltspolitik zurückfinden. Zweitens müssen wir die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Mitgliedstaaten stärken. Deswegen wollen wir einen Wettbewerbspakt in Europa durchsetzen. Beispielsweise: Vorrang für Investitionen in Bildung, Forschung und Ausbildung vor konsumptiven Ausgaben. Ich denke auch an die sozialen Sicherungssysteme. Wir haben in Deutschland schweren Herzens die Rente mit 67 eingeführt. Deswegen kann es natürlich nicht sein, dass andere Länder bei einer Rente mit 59 oder 60 bleiben wollen, während die Deutschen dies dann auch noch finanzieren sollen.

In Nordafrika sind die Regierungen ins Wanken geraten. Wie überraschend hat Sie diese schnelle Entwicklung getroffen?

Die Schnelligkeit war überraschend, nicht aber die Freiheitsbewegung an sich. Ich kenne Tunesien und Ägypten und andere Maghreb-Staaten seit Langem. Es war mit den Händen greifbar, dass gerade die jungen Menschen sehr unzufrieden waren; einmal weil sie nicht dieselben freiheitlichen Entfaltungsmöglichkeiten haben wie viele andere auf der Welt und weil sie gleichzeitig auch nach neuen Chancen gerufen haben - und das zu Recht. In Tunis sind Menschen in der Jasmin-Revolution nicht nur für mehr Demokratie auf die Straße gegangen, sondern auch für bessere Lebensbedingungen und mehr Jobs. Es wird die Schlüsselfrage sein, dass die Menschen nach kurzer Zeit erkennen: Freiheit bringt Wirtschaftschancen und damit auch bessere Lebensverhältnisse.

Welche Entwicklung erwarten Sie in dieser Nachbarregion der Europäischen Union?

Die ersten Meter eines anstrengenden Weges sind erfolgreich beschritten worden. Aber wir kennen ja aus unserer eigenen Erfahrung in Deutschland, in Mittel- und Osteuropa, dass man einen langen Atem braucht, wenn man den freiheitlichen Werten dauerhaft zum Sieg verhelfen will. Und dass man sich auch gegen Rückschläge wappnen muss. Wir unterstützen Tunesien und Ägypten dabei, dass Demokratie durch eine Stärkung der Zivilgesellschaft aufgebaut werden kann und dass sich gleichzeitig durch Investitionen und Handelsaustausch die wirtschaftlichen Chancen für die jungen Menschen verbessern. Wenn wir gerade viele Bilder von Flüchtlingen sehen, dann sage ich: Das beste Mittel gegen Flüchtlingsströme ist, dafür zu sorgen, dass die Menschen im eigenen Land gute Zukunftschancen haben. Das liegt in unserem eigenen Interesse als Exportnation. Denn die neuen Mittelschichten in Nordafrika könnten die kommenden Wirtschaftspartner der Deutschen werden.

Was kann die Europäische Union tun, um einen Bürgerkrieg in Libyen zu verhindern und Machthaber Muammar al-Gaddafi loszuwerden?

Ein Diktator, der Krieg gegen sein eigenes Volk führt, ist am Ende. Daher kann es seitens der internationalen Staatengemeinschaft auch nur eine Ansage geben: Der Diktator muss gehen. Wir leisten unseren Beitrag durch gezielte Sanktionen, indem das Vermögen eingefroren wird und Reiseverbote verhängt werden. Ich denke, dass dies noch nicht reicht, sondern wir müssen darüber hinaus noch weitere Sanktionen beschließen, um die Geldflüsse nach Libyen zu stoppen, damit sie nicht in die Hände des Diktators oder seiner Familie gelangen können, die dann wiederum Gewalttaten gegen das eigene Volk begehen.

Warum stehen Sie der momentan diskutierten Flugverbotszone in Libyen ablehnend gegenüber?

Das ist eine Option, die man auch ernsthaft prüfen muss - das hab' ich längst gesagt. Aber eine Flugverbotszone ist leicht auszusprechen und sehr schwer durchzusetzen. In Libyen gibt es zum Beispiel eine Luftabwehr, die man zunächst neutralisieren müsste. Da gilt es, mit Bedacht abzuwägen. Insbesondere ist es zwingend erforderlich, dass die Vereinten Nationen alle Maßnahmen jenseits der gezielten Sanktionen mandatieren und dass Einvernehmen mit der Arabischen Liga, also den übrigen arabischen Nationen, besteht. Denn wir wollen nicht auf eine schiefe Ebene geraten, an deren Ende dann ein militärischer Konflikt unter unserer Beteiligung steht.

Was sind Ihre Ziele für den EU-Libyen-Gipfel am Freitag?

Wir werden uns bereits am morgigen Donnerstag im Kreise der EU-Außenminister damit befassen und eine entsprechende Erklärung für den Gipfel am Freitag vorbereiten. Darin geht es um Sanktionen, aber auch um die humanitäre Hilfe. Beispielsweise hat Deutschland beim Rücktransport ägyptischer Flüchtlinge, die aus Libyen nach Tunesien geflohen sind, zurück zu ihren Familien nach Ägypten geholfen. Und es geht um die langfristige Perspektive für die Stabilisierung und den Aufbau. Denn eine entstehende Mittelschicht in Nordafrika bietet enorme Chancen, auch für unsere eigene Wirtschaft.

Befürchten Sie eine Islamisierung und Destabilisierung im Hinblick auf Israel?

Bisher erkennt man, dass bei den Entwicklungen in Tunesien und in Ägypten Islamisierung keine große Rolle spielt. Aber natürlich muss man immer wachsam sein. Denn wir wollen nicht, dass am Ende dieser Freiheitsbewegungen womöglich religiöse Extremisten oder neue Autokraten im Windschatten an die Macht kommen.

Die Fragen stellte Gerald Schneider. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Straubinger Tagblatts

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