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„Der Islam ist sehr wohl mit Demokratie und Fortschritt vereinbar“ (Interview)

03.03.2011 - Interview

erschienen in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, 03.03.2011

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Herr Außenminister, was ist das für ein Gefühl, wenn man auf dem Tahrir-Platz in Kairo so enthusiastisch gefeiert wird, wie es Ihnen auf deutschen Marktplätzen noch nie widerfahren ist?

Der Jubel galt ja nicht mir persönlich. Er galt Deutschland. Aber es stimmt schon: Wenn in Windeseile Hunderte von Ägyptern zusammenströmen und „Es lebe Ägypten! Es lebe Deutschland“ skandieren, dann läuft einem ein Schauer über den Rücken. Ich habe so viele Menschen erlebt mit Freude und Aufbruchstimmung. Da kommen natürlich die Erinnerungen an die Freiheitsrevolution in unserem eigenen Land hoch.

Man gewinnt den Eindruck, Sie lebten neu auf in Ihrer Funktion, seit am Südrand Europas alte Gewissheiten fallen. Plötzlich wirft Ihnen niemand mehr vor, mit dem Amt des Außenministers zu fremdeln.

Ich habe selbst als junger Mann die Deutsche Einheit erlebt. Ich war als noch nicht 30-Jähriger Zeuge dieser friedlichen Revolution. Diese Begeisterung hat sich tief in mein Herz eingeprägt. Deswegen fiebere ich auch mit denen, die jetzt ein neues Kapitel Weltgeschichte schreiben in Tunesien, Ägypten oder in Libyen.

Kaum jemand auf dem internationalen diplomatischen Parkett hat sich so schnell und demonstrativ auf die Seite der demokratischen Bewegungen gestellt wie Sie. Was sind Ihre Motive?

Ich bin ein liberaler Außenminister. Und wir Liberale entscheiden uns im Zweifel immer für die Freiheit.

Welche Schlüsse legen die Umwälzungen im Norden Afrikas nahe?

Zwei Vorurteile sind zu revidieren. Erstens: Der Islam ist offenkundig sehr wohl mit der Demokratie und dem Fortschritt vereinbar. Zweitens: Wir lernen gerade, dass nicht Regierungen die Stabilität eines Landes ausmachen, sondern nur stabile Gesellschaften.

Dass Sie sich schneller als manche Amtskollegen entschieden positioniert haben, wird Erwartungen wecken. Wie wollen Sie die bedienen?

Es ist mein Bestreben, in den betreffenden Staaten die Erwartungen gegenüber Deutschland realistisch zu balancieren. Andererseits werbe ich bei uns dafür, die riesigen Chancen dieses Umbruchs zu erkennen und zu nutzen.

Welche Chancen?

Wir sind ein vernetztes Land. Wir tragen anders als etwa Frankreich, Großbritannien oder Italien keine kolonialen Lasten der Geschichte auf unseren Schultern, wenn wir uns dort engagieren. Deutschland hat einen herausragend guten Ruf in den Ländern Nordafrikas. Wir gelten als politisch zuverlässig und ökonomisch erfolgreich. Wo deutsche Firmen in der Region ansässig sind, genießen sie zu Recht ein hohes Ansehen, auch was die sozialen Maßstäbe für die Arbeitnehmer angeht. Das ist ein Fundament. Wenn die Mittelschicht in diesen Ländern wächst, weil die Freiheit dort wirkt, dann ist das für uns auch eine große ökonomische Chance.

Deutschland soll die Region also gezielt als Investitionsstandort ins Blickfeld nehmen?

Ja, ich bin für einen vernetztes Engagement aus Außenpolitik, Wirtschaftsförderung und Entwicklungszusammenarbeit. Aber wir können uns auch am Aufbau einer unabhängigen Justiz beteiligen. Wir Europäer stehen für freiheitliche Werte. Wenn sich diese in Zeiten des technologischen Umbruchs jetzt globalisieren, ist es das Gegenstück zur Beschwörung eines Kampfes der Kulturen.

Sie stellen die Chancen des Umbruchs in den Mittelpunkt, aber es gibt auch erhebliche Risiken. Muss Europa in den nächsten Monaten mit einer Flüchtlingswelle rechnen, weil die Menschen dort nicht länger warten wollen, bis sich die Dinge politisch und wirtschaftlich zum Besseren wenden?

Die Gefahr ist sicher real. Und deshalb ist der Handlungsdruck auch groß und unmittelbar. Jetzt müssen die Menschen, die nach der Freiheit gegriffen haben, auch neue Hoffnung für ihr eigenes Leben schöpfen können. Die meisten sind nicht für Demokratie allein auf die Straße gegangen, sondern für Demokratie und Jobs. Dabei wollen wir helfen.

Warum lehnen Sie die Aufnahme bestimmter Kontingente von Flüchtlingen aus den nordafrikanischen Umbruchstaaten ab?

Weil wir wollen, dass die jungen Menschen an der Zukunft ihrer eigenen Länder arbeiten. Deutschland und Europa können nicht jeden aus Nordafrika aufnehmen und wir wollen es auch nicht.

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Interview: Dirk Hautkapp. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung

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