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Staatsminister Hoyer zur Aufbruchstimmung in der arabischen Welt

02.02.2011 - Interview


Staatsminister Werner Hoyer äußerte sich am 2. Februar im Interview zur Aufbruchstimmung in der arabischen Welt. Die Fragen stellte Egge Weers.

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Frage: Ausgehend von Tunesien, vollzieht sich in Teilen der arabischen Welt eine Atem beraubende Entwicklung, die inzwischen auch Ägypten voll erfasst hat. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Hoyer: Die Entwicklungen der letzten Wochen schienen noch vor kurzer Zeit undenkbar. Was wir bei aller Unterschiedlichkeit der einzelnen Länder feststellen können, ist, dass sich der Zorn der Menschen gegen jene Regime richtet, die sich über Jahrzehnte geweigert haben, Verantwortung für wirklich alle Teile der Gesellschaft zu übernehmen. Das traditionelle Modell der arabischen Republiken als Sicherheitsstaat mit „Erbpräsidentschaften“ scheitert, eine neue Ära bricht an. Ich sehe die Aufbruchstimmung, die in weiten Teilen der arabischen Welt zu spüren ist, weniger als Stabilitätsrisiko, sondern vor allen Dingen als ganz große Chance für eine politische und gesellschaftliche Modernisierung. Wir sollten diejenigen unterstützen, die jetzt für Freiheit, Toleranz und Rechtsstaat streiten, vor allem wenn es darum geht, eine stabile, freiheitliche Verfassungsordnung zu schaffen.

Frage: Der frühere Außenminister Genscher hat immer gesagt: „Die historische Idee der Freiheit wird sich überall durchsetzen.“ Sind wir jetzt Zeugen eines historischen Wandels vor allem in Tunesien, aber auch in Ägypten?

Hoyer: Ja, Genscher hat mal wieder Recht. Der Freiheitsdrang, der sich momentan in der arabischen Welt Bahn bricht, ist unterschätzt worden. Umso mehr verdient diese Bewegung jetzt unsere Unterstützung. Denn neben der von uns allen erhofften Entwicklung hin zu mehr Rechtsstaat und Freiheit besteht natürlich auch die Gefahr, dass die teilweise chaotischen Zustände den Ruf nach einer Neuauflage des autoritären Systems laut werden lassen - im schlimmsten Fall sogar mit radikal-islamitischen Tendenzen. Dann wäre eine große Chance vertan.

Frage: Ist das jetzt die Stunde des Mittelmeer-Dialogs der NATO, EU und OSZE mit den arabischen bzw. nordafrikanischen Staaten?

Hoyer: NATO, EU und OSZE repräsentieren als Organisationen unser aufgeklärtes, rechtsstaatliches und demokratisches Verständnis, das dazu in der Lage ist, Freiheit, Sicherheit und Wohlstand als echten Mehrwert und eben nicht auf Kosten anderer zu generieren. Wir sehen jetzt, dass dieses Modell auch für Menschen in anderen Regionen und mit anderen Traditionen eine große Attraktivität aufweist. Darin liegt eine große Chance, unser Verhältnis zur arabischen Welt qualitativ auf eine neue Stufe zu heben. Insbesondere die EU muss die südlichen Partnerländer, die wie Ägypten nach mehr Demokratie streben, aktiv unterstützen. Dies reicht von der Stärkung der Zivilgesellschaft über Wahlunterstützung bis hin zur Reformberatung im Sicherheits- und Justizbereich.

Frage: Werden die Umwälzungen, wenn sie vom Erfolg gekrönt sein sollten, Folgen für die Palästina-Frage und darüber hinaus haben?

Hoyer: Von der aktuellen Entwicklung können durchaus positive Impulse für die Lösung der Palästina-Frage ausgehen. Denn mit Ägypten verändert sich eine einflussreiche, und bislang als Konstante wahrgenommene Größe in der Palästina-Frage. Damit könnte die Einsicht in die Notwendigkeit eines sich selbst tragenden Friedensprozesses, statt der Garantie vermeintlicher Stabilität von außen, wachsen. Gefährlich wäre ein solcher Prozess dann, wenn er nicht in einen friedlichen, freiheitlichen Verfassungsstaat mündete. Das dieses Risiko Israel Sorgen bereitet, ist sehr gut nachvollziehbar.

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