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„Globalisierung gestalten – Herausforderungen an die deutsche Außenpolitik“ - Bundesminister Westerwelle im Rahmen der „Heidelberger Hochschulreden“

02.02.2011 - Rede

-- es gilt das gesprochene Wort! --

Sehr geehrte Damen und Herren,

Sie lernen in Heidelberg, aber Sie leben in der Globalisierung. Sehen Sie auf die Etiketten Ihrer Kleidung. Überlegen Sie sich, wo der Server des sozialen Netzwerks steht, das Sie benutzen. Denken Sie daran, wo das Call-Center sitzt, das Sie bei Problemen mit dem Computer oder zum Sperren einer Bankkarte anrufen. Oder denken Sie an Ägypten.

Hunderttausende ringen in Ägypten um mehr Freiheit, um mehr Teilhabe, um mehr Bürgerrechte. Nicht der schafft Stabilität, der Freiheit unterdrückt, sondern der, der Bürgerrechte garantiert. Wir sollten niemals Stabilität mit Stagnation verwechseln. Wir stehen auf der Seite jener, die Versammlungs- und Pressefreiheit einfordern, die faire Wahlen verlangen, die Meinungsfreiheit und politische Beteiligung wollen. Es sind universelle Werte, um die in Ägypten gerungen wird. Welche politische Lösung aus diesem Übergangsprozess herauskommt, entscheidet das ägyptische Volk. Aber wir alle nehmen Anteil.

Die Globalisierung ist eine Globalisierung der Werte. Der Irrglaube, dass es Regionen oder Kulturen gäbe, wo Menschen keine Demokratie ersehnen, landet gerade auf dem Müllhaufen der Geschichte.

Manche haben die Globalisierung umgetauft in Globalismus, als sei die Globalisierung eine ökonomische Ideologie. In Wahrheit ist die Globalisierung gesellschaftliche Realität – Ihre Realität, Ägyptens Realität, weltweite Realität. Die Globalisierung ist ein sozialer Vernetzungsprozess, der uns alle jeden Tag mehr zu Mitgliedern einer Weltgesellschaft macht.

In der Weltgesellschaft werden immer mehr Fragen zu Themen einer neuen Weltinnenpolitik. Als ich selbst Student war, war die außenpolitische Lage der Bundesrepublik Deutschland noch eine völlig andere als heute. Der Kalte Krieg hat alles bestimmt. Deutschland war ein geteiltes Land. Sein Osten wurde von einem kommunistischen Regime regiert, der demokratische Westen stritt über die Stationierung nuklearer Mittelstreckenraketen. Der eiserne Vorhang hat ganz Europa geteilt, in ein Europa der Freiheit und in ein Europa der Unfreiheit.

Der Bau der Berliner Mauer jährt sich dieses Jahr zum 50. mal. Abschottung statt Veränderungsbereitschaft war 1961 die Antwort des DDR-Regimes auf die Unzufriedenheit seiner Bürger. Der Ostblock wurde zum Sinnbild von Stagnation. Stabil war er eben nicht. Nach 28 langen Jahren wurde die Mauer von den mutigen Bürgern der DDR eingerissen, und mit ihr das Regime, das sich eingemauert hatte.

Heute, gut zwanzig Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung, ist eine Generation heran gewachsen, die den Kalten Krieg zum Glück nur noch aus Erzählungen kennt. Sie, die jungen Menschen, die heute an die Universitäten kommen, kennen Europa nur als das friedliche Europa ohne Grenzen. Das ist ein Segen.

Die Herausforderungen deutscher Außenpolitik haben sich gewandelt, aber die Aufgaben sind nicht weniger geworden. Erstens sind die Errungenschaften auch der letzten zwanzig Jahre nicht selbstverständlich: Wir bleiben täglich gefordert, wenn es um Frieden, Freiheit und Wohlstand geht. Das gilt in Europa und das gilt weltweit. Zweitens haben sich gerade für die Außenpolitik eine Vielzahl neuer Aufgaben ergeben. Der Fall der Mauer war auch das Fanal für ein neues Zeitalter: für die Globalisierung. Es öffnete sich nicht nur eine Mauer, es fiel nicht nur eine Grenze durch Berlin, durch Deutschland, durch Europa. Es fiel der Irrglaube, man könne sich abschotten.

Globalisierung und multipolare Welt, das sind die Herausforderungen der Außenpolitik im 21. Jahrhundert. Neu ist nicht internationaler Austausch an sich. Neu ist die Geschwindigkeit, mit der sich Veränderungen vollziehen. Neue Technologien und politische Liberalisierungen haben einen weltweiten Austausch in ungekannter Geschwindigkeit und Breite ermöglicht, von Gütern und Dienstleistungen, von Informationen und Ideen. Auch Biographien werden globaler, Menschen vernetzen sich rund um den Globus. Globalisierung heißt, dass geographische Entfernung für alle Bereiche des Lebens rapide an Bedeutung verliert.

Dinge, die weit entfernt passieren, können unser tägliches Leben beeinflussen. Unternehmer müssen sich mit Konkurrenz von anderen Kontinenten messen. Produktions- und Investitionsstandorte stehen im globalen Wettbewerb. Und nicht nur Menschen oder Märkte rücken näher zusammen. In einer kleiner werdenden Welt können auch Gefahren näher kommen, beispielsweise ein Konflikt oder ein Krankheitserreger aus einem weit entfernten Land. Spätestens die Finanzkrise hat gezeigt, dass sich in einer vernetzten Welt nicht nur Chancen schneller verbreiten, sondern auch Risiken. Eine Hypothekenkrise in den USA kann sich auf Spareinlagen in Bayern oder Baden-Württemberg auswirken.

Unsere Politik und unser Denken müssen mit der Globalisierung Schritt halten. Wir wollen Globalisierung gestalten. Außen- und Innenpolitik sind deshalb immer stärker verzahnt. Es gibt kaum einen deutschen Politikbereich, von der inneren Sicherheit bis zur Bildungspolitik, der nicht durch die Globalisierung beeinflusst ist. Internationale Themen wirken in die nationale Politik, nationale Entscheidungen haben umgekehrt Einfluss darauf, ob wir unsere globalen Ziele erreichen, beispielsweise in der Energie- oder Klimapolitik.

Deutsche Außenpolitik muss dabei zuallererst Anwalt von Offenheit sein. Denn in der Globalisierung stecken enorme Chancen. Wer sich abschottet und meint, damit alle Risiken zu vermeiden, der beraubt sich nur aller Chancen.

Gerade Deutschland lebt von und mit der Vernetzung. Deutschland ist besser aus der Wirtschaftskrise gekommen als irgendein anderes Industrieland. Ein Grund dafür ist die Exportstärke nicht zuletzt unseres Mittelstands. Deutschland profitiert von der Globalisierung dank seiner wettbewerbsfähigen Produkte und obwohl wir zurecht ein Hochlohnland sind.

Damit Deutschland wirtschaftlich auch in Zukunft in der ersten Liga spielt, müssen wir beherzt anpacken. In dem Moment, wo wir unseren Lebensstandard hier für selbstverständlich halten, werden wir ihn verlieren. Einst haben Jahrhunderte über Aufstieg und Wohlstand einer Nation entschieden, heute sind es Jahrzehnte.

Wenn ein Land von der Globalisierung profitiert, geht das nicht auf Kosten anderer. Handel ist kein Nullsummenspiel. Und so ist es kein Zufall, dass auch dank der stärkeren Integration vieler Schwellen- und Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft die Zahl der Armen in der Welt von 1990 bis 2005 um 400 Millionen gefallen ist, trotz starken Bevölkerungswachstums.

Derzeit leben gut 6,9 Milliarden Menschen auf der Erde. Das sind rund 80 Millionen Menschen mehr als vor einem Jahr. Anders ausgedrückt: Die Weltbevölkerung wächst jedes Jahr ungefähr um die Einwohnerzahl Deutschlands. Mitte 2011 wird die Weltbevölkerung die Sieben-Milliarden-Marke überschreiten.

In China leben fast 1,4 Milliarden und in Indien rund 1,2 Milliarden Menschen, Tendenz steigend. Beide Länder haben den Ehrgeiz, ihren Menschen mehr Wohlstand zu verschaffen.

Wir im Westen glauben noch immer, den Taktstock fest in unseren Händen zu halten. Jahrhunderte mag das so gewesen sein. Heute aber wird die Musik zunehmend auch woanders gespielt.

Die Frage, wovon wir Deutschen in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren leben sollen, wird längst nicht mehr nur von uns selbst entschieden. Umso wichtiger ist es, dass wir nicht durch falsche Entscheidungen unsere Chancen für die Zukunft verschlechtern, weil wir Stimmungen nachgeben, anstatt beherzt anzupacken.

Gerade der Aufstieg der so genannten Schwellenländer ist beeindruckend. Sie holen rasant auf, sind der Motor der Weltwirtschaft und haben sich erstmals von der Konjunktur der Industrieländer abgekoppelt. Die Gewichte in der Welt verschieben sich.

Die Aufsteigerländer mit ihren jungen und dynamischen Gesellschaften haben drei zentrale Eigenschaften gemeinsam: Sie setzen auf eine wachsende Mittelschicht. Sie investieren in Bildung und Ausbildung ihrer Jugend. Und sie haben Lust auf Veränderung, weil sie in der Veränderung die Chance auf Verbesserung sehen.

Von der Dynamik dieser Länder möchte ich als Außenminister etwas in unsere Debatte tragen. Es geht um unsere mentale Standortfähigkeit in der Globalisierung.

Wissen ist die entscheidende Ressource der heutigen Welt. Langfristig entscheidet nichts mehr über unsere Stellung als das Bildungssystem. Zum Glück: Nicht mehr Bodenschätze als geologischer Zufall entscheiden über den Wohlstand einer Nation, sondern der Wettbewerb der Ideen. Der Wettbewerb um die besten Ideen wiederum nutzt allen. Und sein eigenes Abschneiden in diesem Wettbewerb kann jedes Land selbst mit beeinflussen. Deshalb investiert die Bundesregierung zusätzliche 12 Milliarden Euro in Bildung und Forschung.

Bildung ist mehr als nur Mittel zum Zweck. Ihr Hochschulstudium ist für Sie die beste Investition in die Zukunft. Sie blicken über Fächergrenzen hinweg und erarbeiten sich einen Kompass für Ihr weiteres Leben. Bildung ist der Schlüssel zu einer toleranten Gesellschaft, überall auf der Welt. Bildung wirkt gegen Vorurteile, Bildung macht stark gegen Diskriminierung, Bildung fördert Gleichheit und Respekt.

Gute Bildungspolitik ist vorsorgende Sozialpolitik. Denn sie ist der Schlüssel zu Chancengerechtigkeit und dafür, dass jeder die bestmöglichen Voraussetzung erhält, selbst etwas aus seinem Leben zu machen. Von der Bildung jedes einzelnen profitiert die ganze Gesellschaft.

Ein Viertel des Haushalts des Auswärtigen Amts investieren wir in die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Von Partnerschulen über Goethe-Institute bis zu DAAD-Programmen, die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik befördert Verständigung und Kooperation, unterstützt Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit, hilft unsere Werte zu verbreiten und stärkt Deutschlands Ansehen in der Welt.

Der Hochschulstandort Heidelberg ist für internationalen Wettbewerb bestens gerüstet. Und er ist ein Aushängeschild für Deutschland. Schon seit Jahrhunderten bietet er das, was wir heute brauchen: Exzellenz in Lehre und Forschung sowie internationale Offenheit.

Bildung ist nicht nur eine Frage von Geld und Strukturen. Bildung ist auch ein Frage der Haltung. Nehmen Sie moderne Technologien, Infrastrukturinvestitionen oder die Chance, Gastgeber von Großereignissen sein zu dürfen. Gentechnische Heilverfahren, ein zukunftsweisender Bahnhof, Überlandleitungen, die Strom aus erneuerbaren Energien transportieren, Olympische Spiele im eigenen Land: Können Sie sich vorstellen, dass Debatten darüber in Brasilien so verlaufen würden wie im Moment in Deutschland? Jede Gesellschaft sollte sich die Fähigkeit erhalten, die eigene Zukunftsfähigkeit kritisch zu überprüfen.

Veränderungsbereitschaft und Optimismus sind Grundlagen erfolgreicher Standortpolitik. Und auch wenn die öffentliche Debatte oft einen anderen Eindruck macht: Zu Optimismus haben wir jeden Grund. Deutschland genießt großes Ansehen in der Welt. Wir sind Wirtschaftsmacht, Kulturnation, Bildungsrepublik und unser Land gilt als lebens- und liebenswert. Ein fröhlicher, aufgeklärter Patriotismus bringt uns Sympathien ein, weil er sich nicht über andere erhebt.

Wirtschaftliche und politische Öffnung gehen oft Hand in Hand. Handel bringt Veränderung, Ideen und Außenkontakte. „Wandel durch Handel“ hat einen Beitrag zum Aufweichen des DDR-Regimes geleistet. Das Ziel, Investitionen anzuziehen, ist heute selbst ein Anreiz zu guter Regierungsführung oder zu guten Arbeitsbedingungen. Deswegen gibt es auch keinen Konflikt zwischen Werten und Interessen, wenn deutsche Außenpolitik dazu beiträgt, deutschen Unternehmen im Ausland weitere Chancen zu eröffnen.

Die Globalisierung ist nicht nur ein wirtschaftliches Phänomen und sie bringt nicht nur wirtschaftlich Gutes. Die Globalisierung der Werte, die ich am Beispiel Ägypten vorher geschildert habe, ist eine Chance für die Rechtsstaatlichkeit dort, wo die Menschen noch auf sie warten. Die Globalisierung begünstigt Informationsfreiheit und Teilhabe. Sie erschwert Zensur, Abschottung und Unterdrückung. In Tunesien war es eine gebildete Mittelschicht, die ihren Anspruch auf Freiheit mit Nachdruck erhoben hat. Demokratie, Freiheitsrechte, Bürgerrechte, Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, das sind genau die Rechte, die vor anderthalb Jahren in Teheran und jetzt in Tunis von den Bürgerinnen und Bürgern auf der Straße verlangt und eingeklagt werden. Diejenigen, die diese Rechte wollen, haben weltweit unsere Solidarität und unsere politische Unterstützung. Wir sind eine Wertegemeinschaft, und diese Werte wollen wir auch verbreiten.

Das Internet präsentiert zwei Seiten der Globalisierung. Zwar ergeben sich aus dem Netz und für unser Netz neue sicherheitspolitische Gefahren, mit denen die Außenpolitik sich befassen muss. Zu allererst aber setzt das Internet enorme positive Kräfte frei. In unserem elektronischen Zeitalter können Meinungen nicht über das Staatsfernsehen allein kontrolliert werden. Wir erleben eine neue Realität der Gedankenfreiheit. Der freie Zugang zu Informationen ist ein Menschenrecht.

Wo freier Austausch möglich ist, entsteht auch mehr wechselseitiges Verständnis zwischen Gesellschaften und damit ein Beitrag zu Frieden und Stabilität. Gerade die Zivilgesellschaften werden gestärkt. Zivilgesellschaftliche Akteure, die in ihren Ländern ihrer Forderung nach Menschenrechten und Demokratie Gehör verschaffen, sind Verbündete unserer Außenpolitik. Deshalb helfen wir heute Studenten, die von weißrussischen Universitäten verbannt werden. Deshalb sagen wir der Führung in Minsk klar, dass die Unterdrückung der Freiheit und die Fälschung einer Wahl für uns nicht hinnehmbar ist.

Von Menschenrechten reden wir nicht mit erhobenem Zeigefinger. Von guter Regierungsführung sprechen wir nicht, um anderen unser Lebensmodell aufzudrängen. Die Universalität der Menschenrechte aber steht außer Frage. Der Einsatz für die Menschenrechte, die Werteorientierung der deutschen Außenpolitik, ist auch eine Konsequenz, die wir aus dem dunkelsten Kapitel unserer Geschichte ziehen.

Respekt vor den Menschenrechten ist die beste Konfliktprävention. Wahren Frieden gibt es nicht ohne Respekt vor den Menschenrechten.

Mit „Globalisierung gestalten“ meine ich noch mehr. Die Herausforderung ist eine doppelte: Es geht um Lösungen für neue Herausforderungen, und das im Zusammenspiel mit neuen Partnern.

Den Schutz des Klimas oder der Ozeane kann kein Land alleine erreichen. Auch Themen wie Energie und Rohstoffe, Nahrungsmittelpreise, Zugang zu Wasser oder Schutz vor Epidemien schieben sich heute in den Vordergrund der internationalen Politik.

Gleichzeitig erheben die rasant wachsenden Schwellenländer – China, Indien, Brasilien und andere – zunehmend einen politischen Gestaltungsanspruch. Sie entwickeln ein neues außenpolitisches Selbstbewusstsein. Diese Länder sind neue Gestaltungsmächte in der Globalisierung. Mit ihnen möchten wir die multipolare Welt zum allseitigen Vorteil gestalten.

Deutschland setzt sich für eine regelgeleitete, stabilisierende Weltordnung ein. Multilateralismus ist der Weg, Frieden und Wohlstand sind das Ziel. Wir brauchen ein gemeinsames Gerüst von Regeln, gerade dann, wenn neue Themen aufkommen und immer mehr Spieler auf dem Platz sind. Auch hier gehen Werte und Interessen Hand in Hand. Deutschland steht für eine Stärkung des Völkerrechts. Eine Welt der gemeinsamen Normen und der partnerschaftlichen Zusammenarbeit ist die beste Voraussetzung für Frieden, für Entwicklung, für Sicherheit und für Wohlstand.

Die G20 sind auch deshalb ein wichtiges Format, weil viele Themen heute nur gelöst werden, wenn mindestens diese 20 Länder dazu beitragen. Auf die Stabilität globaler Finanzmärkte sind alle angewiesen, aber weder die USA, noch Europa, noch China können sie allein garantieren. Die G20 sind - wie die G8 - keine Weltregierung, die über das Schicksal anderer bestimmen. Aber natürlich hat solch ein Format auch Symbolwert. Es ist verständlich, dass die neuen Gestaltungsmächte einen Anspruch auf Mitwirkung erheben. Deutschland hat sich deshalb dafür eingesetzt, die Stimmrechte der Schwellenländer in IWF und Weltbank zu erhöhen, damit sie deren neuem Gewicht entsprechen. Wir haben ein Interesse an handlungsfähigen und legitimen internationalen Institutionen.

Mehr Mitsprache bedeutet aber auch mehr Verantwortung. Dabei liegt die Einbindung neuer Spieler im gegenseitigen Interesse. Es freut mich, dass der Beitrittsprozess Russlands zur WTO nun in großen Schritten voran geht. Im Handel setzt die Bundesregierung sich zudem für einen schnellstmöglichen Abschluss der „Doha“-Runde ein. Gleichzeitig unterstützen wir die EU-Kommission in ihrem Bestreben, weitere bilaterale Abkommen zu schließen, wie zuletzt mit Südkorea.

Die Bundesregierung hat ein zukunftsweisendes Rohstoffkonzept verabschiedet. Dazu gehört eine realistische Rohstoffaußenpolitik, die durch Partnerschaften Türen öffnet. Die Kontroverse um seltene Erden ist zudem ein weiterer Beleg dafür, dass freie und klar geregelte Märkte im allseitigen Interesse sind. Deshalb setzen wir auf eine Stärkung des multilateralen Systems. Die Alternative in einer Welt mit wachsender Bevölkerung wäre das, was wir vermeiden müssen: Ein Wettlauf um Bodenschätze, um Vorzugsbehandlung, das Recht des Stärkeren. Wir setzen die Stärke des Rechts dem Recht des Stärkeren entgegen.

Das Herzstück einer Weltpolitik, die auf Kooperation setzt, sind die Vereinten Nationen. Sie haben universelle Legitimität und universelle Reichweite. Sie können verbindliches Völkerrecht schaffen. Alle Staaten begegnen einander auf Augenhöhe. Jedes Land schuldet jedem Land Respekt. Menschenrechte und Frieden brauchen starke Vereinte Nationen. Wir brauchen die Vereinten Nationen für eine Politik, die dem Wohl des Menschen verpflichtet ist. Wir setzen uns auch dafür ein, dass die Arbeit der G20 enger an die Vereinten Nationen angebunden wird.

Unsere Wahl zum nicht-ständigen Mitglied in den Sicherheitsrat für 2011 / 2012 im Wettbewerb mit anderen erstklassigen Kandidaten war ein Vertrauensbeweis und ein Vertrauensvorschuss.

Deutschland wird diese Verantwortung für eine umfassende Friedenspolitik nutzen und übergreifende Themen wie Konfliktprävention und den Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten voran bringen.

Die Besetzung des Sicherheitsrats muss den heutigen Realitäten unserer Welt angepasst werden. Denen entspricht es nicht, wenn Afrika und Lateinamerika nicht dauerhaft im Sicherheitsrat vertreten sind und Asien unterrepräsentiert ist.

Deutschland ist an mehreren Friedenseinsätzen beteiligt. Alle haben ein klares Mandat der Vereinten Nationen. Militärische Mittel bleiben für uns ultima ratio. Deutschland steht auch künftig für eine Kultur der Zurückhaltung, wenn es um den Einsatz militärischer Macht geht.

In Afghanistan arbeiten wir für eine politische Lösung. Deutschland bleibt so lange wie nötig militärisch präsent, aber keinen Tag länger. Wir sind dort aktiv, weil es um unsere eigene Sicherheit hier geht. Und wir wollen helfen, den Menschen in diesem geschundenen Land eine neue Zukunftsperspektive zu ermöglichen.

Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik. Deshalb freut es mich, dass Abrüstung und Nichtverbreitung endlich wieder als Zukunftsthemen der internationalen Politik erkannt werden. Wir müssen alles dafür tun, dass Massenvernichtungswaffen nicht zum Fluch der Globalisierung werden. Deshalb ist es richtig, dass die internationale Gemeinschaft gegen Staaten einschreitet, wenn sie entgegen internationaler Verpflichtungen versuchen, sich nuklear zu bewaffnen. Deshalb setzen wir auch auf eine präventive Politik der Entwicklung, um Fundamentalismus und islamistischem Terrorismus den Boden zu entziehen. Eine solche Politik, die im Nahen Osten auf Nicht-Verbreitung und auf gesellschaftliche Modernisierung setzt, leistet auch einen Beitrag zur Sicherheit Israels.

Europa ist unsere wichtigste Antwort auf die Globalisierung. Die europäische Union ist unsere Wohlstandsversicherung. Deutschland profitiert vom Binnenmarkt. Mit Europa können wir auch in der multipolaren Welt von morgen die Globalisierung gestalten.

Europa ist unsere Friedensversicherung. Zum ersten Mal in der Geschichte ist Deutschland nur von Freunden umgeben. Und das ist kein Zufall. Das Kooperationsmodell der europäischen Einigung hat Jahrhunderte der Konfrontation beendet. Kooperation kann anstrengend sein. Sie braucht auch viel Geduld und gute Nerven, das kann ich nach so manchem Sitzungsmarathon in Brüssel aus eigener Erfahrung feststellen. Wer aber die Folgen von Konfrontation kennt, der weiß, dass Kooperation jede Mühe wert ist.

Wir setzen darauf, die innere Einheit Europas zu vollenden. Selbst für ein handelspolitisches Schwergewicht wie Europa gilt: Der Einfluss in der Welt von morgen hängt ab von der Verfassung im Innern. Deswegen müssen wir zuallererst unsere gemeinsame Währung stabilisieren. Der Weg dahin führt über eine Stabilitätskultur, eine solide Haushalts- und eine stärker abgestimmte Wirtschaftspolitik. Nicht der gefährdet Europa, der die Regeln für Stabilität strikter macht, sondern der, der dies unterlässt. Wir müssen den Druck der Krise nutzen, um jetzt notwendige Reformen durchzusetzen.

Deutschland steht dabei selbstverständlich für europäische Solidarität, aber sie muss an die notwendigen ordnungspolitischen Grundsätze gebunden werden, um künftig neue Krisen zu vermeiden. Wir wollen den Stabilitätspakt mit neuer Autorität versehen und drängen darauf, dass die Nationalstaaten zu solider Haushaltsführung zurückkehren. Die Einführung von Mechanismen nach dem Vorbild der deutschen Schuldenbremse könnte den Weg zu neuer Haushaltsdisziplin erleichtern. Außerdem muss die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Staaten gestärkt werden. Investitionen müssen Vorrang vor konsumtiven Ausgaben haben. Bildung und Forschung müssen als Entwicklungschance gesehen werden. Die sozialen Sicherheitssysteme müssen an die veränderte Alterstruktur unserer Gesellschaften angepasst werden. Wenn in Deutschland die Menschen mit 67 in Rente gehen sollen, ist es nur schwer verständlich, dass andere bei einem Renteneintrittsalter von 59 Jahren bleiben wollen. Gerade weil wir europäische Patrioten sind, wollen wir, dass die Chancen der Krise jetzt genutzt werden, um Europa langfristig stabiler zu machen.

Auch wenn im Inneren viele an Krisenbewältigung denken: Die Anziehungskraft der Europäischen Union ist ungebrochen. Allein dadurch war und ist die Europäische Union schon stabilisierender Faktor auch jenseits ihrer Grenzen, ob in Osteuropa oder auf dem Balkan.

Andere Weltregionen nehmen sich die EU zum Vorbild. Regionale Organisationen in Afrika, Lateinamerika oder Asien können eine wichtige Rolle für Frieden und wirtschaftliche Entwicklung spielen, indem sie durch Kooperation regionale Antworten auf regionale Herausforderungen finden.

Die Selbstbehauptung und die Rolle Europas in der globalisierten Welt ruht auf zwei Säulen: auf einem erfolgreichen Binnenmarkt, der sich auf eine solide Wirtschafts- und Finanzpolitik stützt, als innere Grundlage für erfolgreiches Handeln nach außen. Und auf einer kraftvollen Außen- und Sicherheitspolitik, die unsere europäischen Interessen und Fähigkeiten zusammenführt, zur Sicherung von Mitsprache und Gestaltung in globalen Angelegenheiten. Der Weg dahin mag mühsam sein, aber er ist notwendig.

Mit Freiheit, Kooperation und gemeinsamen Regeln lebt Europa vor, was wir auf globaler Ebene mehr brauchen. Europa ist in unserem Interesse und Europa kann in der Welt zum Guten wirken.

Wir arbeiten deshalb daran, dass Europa auch nach Außen geschlossen auftritt. Mit dem Europäischen Auswärtigen Dienst haben wir seit vergangenem Jahr das richtige Mittel dazu. Europa ist das Fundament unserer Außenpolitik. Gerade in der Globalisierung brauchen wir mehr Europa und nicht weniger.

Sie sind europäischer aufgewachsen als Ihre Eltern und deren Eltern. Sie sind globalisierter aufgewachsen als Ihre Eltern und deren Eltern. Sie können alles zugleich sein: Deutsche, Europäer und Weltbürger. Nutzen Sie diese Chance.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

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