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Interview: Bundesminister Westerwelle zu Afghanistan, Tunesien und den deutsch-französischen Beziehungen (Badisches Tagblatt)

26.01.2011 - Interview

erschienen am 27.01.2011

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Was fällt Ihnen zu dem Begriff „Krieg“ ein?

Großes Leid.

Das auch in Afghanistan geschieht...

In Afghanistan sind wir gemeinsam mit fast 50 Partnern, weil die Vereinten Nationen es beschlossen haben, weil die große Mehrheit des afghanischen Volkes es will und weil die afghanische Regierung ebenfalls weiß, dass sie derzeit die Sicherheit noch nicht alleine garantieren kann. Wir schützen uns mit unserem Engagement in Afghanistan, das übrigens von Rot-Grün begonnen wurde, vor Terroranschlägen hier in Deutschland. Der Einsatz in Afghanistan ist richtig, aber richtig ist auch, dass er nicht endlos sein darf. Deshalb habe ich als Außenminister meinen Beitrag dazu geleistet, dass die internationale Staatengemeinschaft einen Politikwechsel beschlossen hat, mit einer Abzugsperspektive und mit dem Ziel einer politischen Lösung, weil es eine militärische Lösung allein nicht geben wird.

Allerdings ist auch nach dem demonstrativen Schulterschluss mit Ihrem Kollegen zu Guttenberg nicht klar, wohin die Reise beim Afghanistan-Einsatz gehen wird...

Doch, das ist glasklar: In der ersten Hälfte 2011 wollen wir regional Schritt für Schritt mit der Übergabe der Verantwortung beginnen. Wir sind zuversichtlich, dass wir ab Ende 2011 erstmalig die Präsenz der Bundeswehr reduzieren können. Ende 2014 sollen dann keine deutschen Kampftruppen mehr in Afghanistan sein. Und auch nach 2014 werden wir unsere Verantwortung für die Entwicklung Afghanistans nicht vergessen. Denn wir wollen ja nicht, dass diejenigen zurückkehren, die mit ihrem Extremismus Selbstmordanschläge und Terror in die Welt bringen.

Allerdings haben sowohl Sie als auch Ihr Kollege zu Guttenberg die Abzugspläne mit dem Zusatz verknüpft, „soweit es die Lage zulässt“.

Ich glaube, es ist eine Selbstverständlichkeit, dass man die dort verbliebenen Soldaten nicht gefährdet und dass wir einen Übergabeprozess und eine Abzugsperspektive in Verantwortung wollen. Und wir arbeiten daran, dass die Lage es zulässt, dass ist ja der Sinn des politischen Prozesses.

Sie haben die Situation der Bundeswehr-Soldaten angesprochen, deren Verunsicherung im Moment groß ist. Hat denn Ihr Kollege zu Guttenberg aus Ihrer Sicht angesichts der jüngsten Vorfälle auf der Gorch Fock und in Afghanistan die richtigen Entscheidungen getroffen?

Der Bundesverteidigungsminister hat nach den notwendigen und richtigen Hinweisen des Wehrbeauftragten angekündigt, dass er alle Vorgänge aufklärt, und dabei wird er von allen Kollegen unterstützt.

Zu Tunesien: Was können Deutschland und die EU tun, um den Prozess der Demokratisierung zu unterstützen?

Ich begrüße, dass in Tunesien etwas passiert, was viele bis vor Kurzem in der arabischen Welt nicht für möglich gehalten haben, nämlich dass vor allem durch eine gewachsene Mittelschicht auch die Sehnsucht nach Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gewachsen ist. Ich habe in diesen Tagen mit meinem tunesischen Amtskollegen telefoniert und habe ihm mit Nachdruck noch einmal übermittelt, dass aus unserer Sicht der Weg zu Stabilität nur über Demokratie, die Achtung der Menschen- und Bürgerrechte und Respekt vor Meinungs- und Pressefreiheit gehen wird.

Sind Sie auf Verständnis gestoßen?

Eindeutig ja. Wenn Tunesien diesen Weg zur Demokratie geht, sind wir bereit, uns durch Beratung beim Aufbau einer unabhängigen Justiz und auch bei der Stärkung der Zivilgesellschaft zu engagieren.

Ist der Vorwurf berechtigt, dass die Bundesregierung in der Vergangenheit nicht entschieden genug die Einhaltung der Menschenrechte in Tunesien und anderen arabischen Ländern eingefordert hat?

Die deutsche Außenpolitik ist werteorientiert. Und es ist eine Grundkoordinate unserer Außenpolitik, dass wir demokratische Entwicklungen fördern und dass wir auf die Einhaltung der Menschenrechte drängen – unabhängig vom jeweiligen Land.

Wir sitzen hier um die zehn Kilometer von der französischen Grenze entfernt. Präsident Sarkozy hat kürzlich bei einem Elsass-Besuch die ostfranzösische Region Deutschland zugeordnet. Ist das symptomatisch für das deutsch-französische Verhältnis. Könnte Ihnen das – mit umgekehrten Vorzeichen – auch passieren?

Jedem Menschen kann mal ein geografischer Ausrutscher passieren. Andererseits ist es doch ein schönes Zeichen dafür, dass die Zeit der Konfrontation endgültig überwunden ist. Die deutsch-französische Freundschaft ist pumperlgesund und zählt zu den größten politischen Schätzen, die wir haben.

Fragen: Albert Noll

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