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Interview: VN-Botschafter Peter Wittig zur deutschen Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (Deutschlandfunk)
Herr Wittig, nicht allein Deutschland wird ab dem 1. Januar nichtständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats, sondern zum Beispiel auch Indien. Ihr indischer Kollege hat gesagt, er wolle den Sicherheitsrat, Zitat, „nie wieder verlassen“. Gilt das auch für Sie?
Nein, wir konzentrieren uns jetzt zunächst auf die vor uns liegenden Aufgaben als nichtständiges Mitglied, da ist genug zu tun. Natürlich ist die Sicherheitsratsreform ein wichtiges Anliegen, dem wir uns auch verpflichtet fühlen, aber jetzt steht bei uns im Vordergrund die zwei Jahre, die wir als nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat sein werden.
Aber wenn Sie da gute Arbeit machen, dann wäre das natürlich eine gute Werbung für Deutschland und das deutsche Anliegen, einen ständigen Platz im Sicherheitsrat zu bekommen.
Sicher, wir werden hier genau beobachtet als nichtständiges Mitglied, das gilt auch für Indien, das gilt auch für Brasilien, Nigeria und Südafrika. Das sind Schwergewichte im Sicherheitsrat, und die wird man hier genau beobachten. Und auch wir stehen sicher unter besonderer Aufmerksam, und deshalb setzen wir alles dran, die Erwartungen zu erfüllen.
In diesem Jahr haben Sie um die Aufmerksamkeit von vielen Mitgliedern der Vereinten Nationen geworben, und zwar mit Werbegeschenken wie Kugelschreiber und Pralinen. Sie haben selbst Botschafter besucht, die aus nichtdemokratischen Staaten kommen, und diese vertreten. Heiligt hier im Sinne dieses Anliegens der Zweck die Mittel?
Wir haben einen Wahlkampf geführt, um in diesen Sicherheitsrat gewählt zu werden als nichtständiges Mitglied, das war eine große Herausforderung, ist kein Selbstläufer. Wir haben großen Erfolg gehabt, wir sind gleich im ersten Wahlgang mit über zwei Drittel Mehrheit gewählt worden. Das war ein großer Vertrauensbeweis, und den haben wir uns verdient durch einen sehr thematischen Wahlkampf, den wir hier geführt haben. Die Mitgliedsstaaten wollten uns im Sicherheitsrat sehen als starkem Land Europas, als großen Beitragszahler, als Meinungsführer in der Klima- und Entwicklungspolitik, und das hat den Ausschlag gegeben. Wir gelten in den Vereinten Nationen als ausgleichende Mittelmacht, und deshalb wollte man uns im Sicherheitsrat sehen.
Entwicklungspolitik ist ein wichtiges Stichwort - wäre es für Sie nicht noch einfacher gewesen, ihr Ziel zu erreichen, wenn die Bundesregierung den Etat für Entwicklungszusammenarbeit aufgestockt hätte und nicht gekürzt hätte?
Deutschland ist in absoluten Zahlen drittgrößter Beiträger der internationalen Entwicklungspolitik. Das ist wirklich ein Beitrag, der sich sehen lassen kann, und das wird auch hier gewürdigt. Wir werden hier als großer Beiträger gesehen, und deshalb haben wir uns auch diesen Platz im Sicherheitsrat unter anderem verdient.
Der Bundesregierung wäre es ja viel lieber, wenn die Europäische Union im Sicherheitsrat vertreten wäre, können Sie diese Doppelstrategie - man will einen Sitz für Deutschland, aber auch einen für die Europäische Union - in New York deutlich machen?
Wir sind interessiert an einer europäischen Perspektive in den Vereinten Nationen, und daran arbeiten wir auch, aber der Sitz der Europäischen Union im Sicherheitsrat ist eher eine langfristige Perspektive. Das ist keine konkrete Option, die jetzt vor der Tür steht, dazu bedarf es einer absolut harmonischen und harmonisierten gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik Europas und dazu bedarf es auch des gemeinsamen Bestrebens aller 27 Mitgliedsstaaten, einen solchen EU-Sitz anzustreben, und das steht derzeit nicht auf der Tagesordnung. Das ist eine langfristige Perspektive, aber keine konkrete Tagespolitik.
Großbritannien und Frankreich hätten da sicher was dagegen, denn die sind schon ständige Mitglieder im Sicherheitsrat. Spielen Sie darauf an?
Großbritannien und Frankreich sind ständige Mitglieder im Sicherheitsrat, mit denen haben wir enge Beziehungen, koordinieren uns täglich, und in der Tat haben sie besondere Privilegien, aber auch besondere Pflichten als ständige Mitglieder.
Sie hören den Deutschlandfunk, Botschafter Peter Wittig, der Deutschland ab dem nächsten Jahr im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vertreten wird. Das ist befristet auf zwei Jahre. Herr Wittig, wie wichtig sind Einsätze von Bundeswehrtruppen im Rahmen von Friedenseinsätzen, wenn Deutschland Gewicht haben soll in der Welt?
Es ist Teil unserer Aufgabe auch jetzt, einen Beitrag zur aktuellen Krisenbewältigung zu leisten, vor allen Dingen hier in New York. Und lassen Sie mich da durchaus auch auf die vor uns liegenden Aufgaben zu sprechen kommen. Hier geht es im Sicherheitsrat darum, die Krisen, die auf der Tagesordnung sind - und das sind fast alle der Welt, von A wie Afghanistan bis Z wie Zypern -, mit zu bewältigen und einen deutschen Beitrag dazu zu leisten. Und da geht es vor allen Dingen um unsere diplomatischen und politischen Einflussmöglichkeiten, und die wollen wir nützen. Wir haben als Auswärtiges Amt ein hervorragendes weltweites Netz von Auslandsvertretungen, sodass wir hier unsere politische, diplomatische Stimme vor Ort wirkungsvoll zur Geltung bringen können.
Wird der UN-Sicherheitsrat aber nicht überschätzt? Viele Krisen der internationalen Politik werden in Ad-hoc-Arbeitsgruppen oder solchen, die sich schon bewährt haben, geregelt, man muss nur an den Iran und Nordkorea denken. Das sind die Foren, wo tatsächlich Verhandlungen geführt werden, weniger im UN-Sicherheitsrat.
Doch, im UN-Sicherheitsrat wie intensiv verhandelt. Da geht es zum einen - und das ist das Kerngeschäft des Sicherheitsrates - um die aktuelle Krisenbewältigung, aber es geht auch darum, dass der Sicherheitsrat über den Tellerrand der aktuellen Krisen hinausschaut. Auch das ist unser Interesse, wir wollen einen vorausschauenden konfliktpräventiven Sicherheitsrat, der nicht erst reagiert, wenn Meldungen über Tote und Verletzte eingehen. Und deshalb ist es uns ein Anliegen, auch in den nächsten zwei Jahren übergreifende Sicherheitsherausforderungen auf der Agenda des Sicherheitsrates zu verhaften.
Und da nenne ich Ihnen ein paar: Zum Beispiel das Thema Klimawandel und Sicherheit ist ein wichtiges Zukunftsthema. Das Thema der nuklearen Nichtverbreitung, der Verhinderung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen insgesamt ist ein Querschnittsthema, dem wir uns ganz besonders widmen wollen. Und ich nenne noch ein wichtiges humanitäres Anliegen, das ist das Thema Kinder in bewaffneten Konflikten, Kindersoldaten. Auch das wird ein Schwerpunkt sein. Also nicht nur aktuelle Krisenbewältigung, sondern vorausschauende krisenpräventive Politik, das ist unser Ziel im Sicherheitsrat.
Dazu müssen die Vereinten Nationen aber effizient organisiert sein, um schnell und effektiv handeln zu können, und deswegen letzte Frage, noch mal zurück zu den Reformen: Könnte es irgendwann zu spät sein und würden die Vereinten Nationen dann an Gewicht verlieren, wenn Reformen nicht durchgesetzt werden?
Wir sind interessiert an einer Reform der Vereinten Nationen, wir haben ein Interesse daran, dass der Sicherheitsrat repräsentativer und effektiver wird, und wir haben nicht ein Interesse an einer Schwächung des Sicherheitsrates. Deshalb wollen wir, dass alle großen Regionen - Lateinamerika, Afrika, Asien - und auch die großen Leistungsträger ihren angemessenen Platz im Sicherheitsrat haben. Und zu den Leistungsträgern gehören auch wir.
Interview: Gerwald Herter