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Interview: VN-Botschafter Peter Wittig zur deutschen Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (Deutschlandradio Kultur)
Wir werden Weltpolitik mit gestalten müssen, haben Sie vor ein paar Wochen in Berlin gesagt. Wo liegt Deutschlands Priorität?
Also das Hauptgeschäft des Sicherheitsrates ist die weltweite Krisenreaktion. Fast alle Konflikte dieser Welt, buchstäblich von A bis Z, also von Afghanistan bis Zypern, landen auf dem Tisch des Sicherheitsrates. Und hier wollen wir zur Beruhigung beziehungsweise auch zur Lösung dieser Konflikte beitragen. Wir wollen aber auch, dass der Sicherheitsrat über den Tellerrand der aktuellen Krisen hinausschaut, wir wollen einen vorausschauenden präventiven Sicherheitsrat, der nicht erst reagiert, wenn die ersten Meldungen über Tote und Verletzte eingehen. Deshalb werden wir uns Schwerpunkte vornehmen, die übergreifende Sicherheitsgefährdungen zum Gegenstand haben. Also zum Beispiel die Auswirkungen des Klimawandels auf die Sicherheit, Kinder in bewaffneten Konflikten, das Problem der Kindersoldaten, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen beziehungsweise wie die verhindert werden kann. Das sind Themen, die uns ebenfalls sehr interessieren, die wir einführen müssen. Wir sind im Sicherheitsrat - so verstehen wir uns - nicht nur Sachwalter nationaler Interessen, sondern wir wollen die Vereinten Nationen insgesamt stärken. Das ist unsere aktive Friedenspolitik, wie wir sie verstehen, die nützt Deutschland, denn - das sollten wir nicht vergessen - unser Wohlstand hängt vom Frieden in der Welt ab.
Aber ich möchte doch konkret werden. Weltpolitik mit gestalten heißt ja auch: Man weiß, was man will. Afghanistan, um mal einen Konfliktherd herauszugreifen, wird ein Schwerpunkt bleiben, auch für Deutschland, sagen Sie. Man will Ende 2011 eine neue Petersberg-Konferenz - die hatten wir schon mal 2001 - ins Leben rufen, um über eine Verlängerung des Mandates und auch den Zustand des gesamten Landes zu sprechen. Aber momentan will Deutschland ja nur eines: raus aus Afghanistan. Wie verträgt sich denn das mit einer internationalen Verantwortung?
Wir haben im Sicherheitsrat die Federführung für das Dossier Afghanistan übertragen bekommen und diese Verantwortung übernehmen wir gerne. Wir begleiten damit unser substanzielles Engagement in Afghanistan militärisch, zivil, entwicklungspolitisch. Letztlich ist Afghanistan ein Schwerpunkt unserer Außenpolitik, und den wollen wir auch hier in New York umsetzen und begleiten.
Aber wundern Sie sich dann nicht trotzdem, dass international auch gelächelt wird darüber, dass die Bundeswehr zum Beispiel bei solchen Einsätzen national beschränkt ist, sich eigentlich gar nicht da bewegen kann, wo sie ungefähr, unbedingt gebraucht wird?
Der Beitrag Deutschlands in Afghanistan wird hier umfassend gewürdigt. Wir sind einer der großen, großen Beiträger in Afghanistan und der Umstand, dass wir diese Verantwortung im Sicherheitsrat übertragen bekommen haben, ist Ausdruck dieser Würdigung des deutschen Beitrags.
Deutschland soll auch den Vorsitz im Al-Qaida/Taliban-Sanktionsausschuss des Sicherheitsrates übernehmen. Was heißt das konkret?
Es gibt im Sicherheitsrat mehrere Sanktionsausschüsse, und ein Ausschuss, ein Sanktionsausschuss widmet sich Al-Qaida und Taliban. Dieser Ausschuss soll verhindern, dass Terroristen weiter ihre Taten vollführen können. Es ist ein Ausschuss, der präventive Arbeit leistet, und durch Übernahme dieses Vorsitzes wollen wir die im Sicherheitsrat beschlossenen Sanktionen umsetzen und sie möglichst effizient, aber auch rechtsstaatlich gestalten. Und das ist Teil unserer präventiven Politik der Terrorbekämpfung.
Kann das auch bedeuten, dass damit Deutschland verstärkt in das Visier der Islamisten rücken wird?
Wir übernehmen hier ein Amt innerhalb des Sicherheitsrates, einen Sanktionsausschussvorsitz, und diesen werden wir ausüben. Daraus schließe ich nicht irgendwelche Rückwirkungen vor Ort.
Gerade die Asiaten, aber auch die Südamerikaner und Afrikaner, mal ganz abgesehen von China, pochen ja auf eine Reform der UN-Zentrale, eine Reform des Sicherheitsrates, der die Machtverhältnisse und wirtschaftlichen Verhältnisse auf dem Globus nicht mehr unbedingt abbildet. Ist auch Deutschland dabei?
Ja, Sie wissen, die Reform des Sicherheitsrates ist eine schwierige, wichtige Debatte, die die Vereinten Nationen hier beschäftigt. Jedermann stimmt zu, die Zusammensetzung des Sicherheitsrates entspricht nicht mehr den politischen Gegebenheiten dieses Jahrhunderts. Insbesondere die großen Regionen wie Afrika, Lateinamerika und Asien sind nicht vertreten, nicht angemessen vertreten, ebenso wenig die großen Beiträger, zu denen etwa auch Japan und Deutschland gehören. Der Sicherheitsrat ist im Zentrum aller Bemühungen zum Erhalt des Weltfriedens, dies soll so bleiben, wir haben kein Interesse an einer Schwächung des Sicherheitsrates. Aber der Sicherheitsrat muss eben repräsentativer werden, und dafür werden wir uns einsetzen. Es ist indes falsch, die Forderung nach Reform des Sicherheitsrates, die wir teilen, allein auf den Wunsch nach einem deutschen Sitz zu reduzieren.
Aber muss das nicht am Ende der Reform stehen? Darum kämpft Deutschland doch schon seit 20 Jahren und es wäre doch auch logisch?
Deutschland ist ein global engagiertes Land, wir sind drittgrößter Beitragszahler, wir sind einer der größten Geber internationaler Entwicklungshilfe, wir sind Meinungsführer in der Klimapolitik, wir sind also den Vereinten Nationen verpflichtet und sind aktive Beiträger. Da ist es auch durchaus logisch, das wird auch hier so gesehen, dass wir größere Verantwortung übernehmen. Aber es wäre falsch, diesen Reformanspruch auf einen deutschen Sitz, auf einen deutschen ständigen Sitz allein zu reduzieren. Wir sind allerdings ein Motor dieser Reformdiskussion, die - das gebe ich allerdings zu - schwierig ist. Und das ist also Bohren eines dicken Brettes.
Interview: Nana Brink