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Außenminister Westerwelle im Interview mit der Rheinischen Post zum NATO-Gipfel, dem Euro und zu Afghanistan, 24. 11. 2010

24.11.2010 - Interview

Frage: Die Nato hat Abrüstung erstmals als Ziel benannt. Was haben wir davon?

Ich bin deswegen so engagiert in der Abrüstungspolitik, weil das ein Beitrag zu unserer eigenen Sicherheit ist. Abrüstung und die Nichtverbreitung von Atomwaffen hängen eng zusammen. Wir müssen verhindern, dass sich immer mehr Staaten atomar bewaffnen und am Ende sogar Terroristen Zugriff auf Atomwaffen bekommen. Die Abrüstung ist für die Menschen so bedeutsam wie der Klimaschutz. Nach einem Jahrzehnt der Aufrüstung muss ein Jahrzehnt der Abrüstung beginnen.

Frage: Ist eine atomwaffenfreie Welt denn mehr als eine Illusion?

Es ist eine Vision, aber anders als ein früherer Bundeskanzler glaube ich, dass man Visionen in der Politik braucht, wenn man langfristig etwas bewegen will. Wir haben als christlich-liberale Koalition den Regierungsauftrag bekommen und müssen tun, was richtig ist für unser Land. Abrüstung ist Sicherheitspolitik, und deshalb ist es gut, dass sich jetzt auch die Nato darum kümmert. So viel Abrüstung war noch nie in der Nato.

Frage: Beim Nato-Gipfel waren sich Russland und Europa so einig wie nie.

Dass der russische Präsident von der Nato zur Mitwirkung an einem gemeinsamen Raketenabwehrsystem eingeladen wurde, ist ein geschichtsträchtiger Vorgang. Ich bin 1961 geboren, als die Mauer gebaut wurde. Ich war noch keine 30 Jahre alt, da wurde sie von mutigen Ostdeutschen eingedrückt. Jetzt, 20 Jahre nach der Einheit, stehen sich die einst hochgerüsteten Gegner des Kalten Krieges nicht mehr feindlich gegenüber, sondern sitzen an einem Tisch. Das ist ein enormer Erfolg.

Frage: Kann Russland ein Freund für uns werden, wie es Frankreich schon ist?

Die Idee einer Freundschaft zwischen Russland, Europa und uns Deutschen sollten wir im Herzen haben. Partnerschaft und Modernisierung dürfen sich aber nicht auf Wirtschaftsfragen beschränken. Bei der Meinungs- und Pressefreiheit, bei Bürgerrechten und Rechtsstaatlichkeit gibt es Meinungsunterschiede. Gleichwohl sehe ich uns auf dem richtigen Weg.

Frage: Die Euro-Krise nimmt kein Ende. Kann sie die politische Existenz der Europäischen Union gefährden?

Zunächst zeigt sich, wie richtig es war, den Schutzschirm zu spannen. Und wie falsch die Opposition lag, nach der Aufweichung des Stabilitätspakts unter Rot-Grün sich nun auch der Beseitigung der Folgen dieses historischen Irrtums zu verweigern. Anders als anfänglich im Fall Griechenlands sind wir nämlich jetzt gewappnet und haben ein Instrument zu reagieren. Ich sehe im Übrigen keine Ansteckungsgefahren, weil jeder Fall anders liegt. Wichtig ist, dass die Haushaltskonsolidierung überall in Europa konsequent vorangeht.

Frage: Ist es für Sie vorstellbar, dass Pleite-Länder die Europäische Union wieder verlassen müssen?

Nein. Europa ist das erfolgreichste Friedensprojekt in der Geschichte des Kontinents und unsere Wohlstandsversicherung. Der Euro ist auch eine Friedenswährung. Es wäre verrückt, wenn ausgerechnet wir Deutsche vergessen würden, was wir an Europa haben. Es ist ein Glück, dass wir in einem europäischen Haus friedlich leben können. Natürlich ärgert man sich bei 26 Mitbewohnern manchmal über die laute Musik beim Nachbarn oder die vergessene Pflichterfüllung. Entscheidend ist aber, das Fundament unseres Hauses durch einen wirksamen Krisenmechanismus und eine Verschärfung des Stabilitätspakts zu stärken. Dazu zählen Sanktionen, die wirken, und eine Beteiligung privater Gläubiger für die Zeit nach 2013. Es kann nicht jedes Investitionsrisiko auf die Steuerzahler abgewälzt werden.

Frage: In Afghanistan rückt der Abzug der Soldaten näher. Was passiert, wenn der afghanische Präsident Karsai Deutschland bittet, länger zu bleiben?

Das Ziel der vollständigen Übernahme der Sicherheitsverantwortung bis 2014 hat sich die afghanische Regierung selbst gesetzt. Wir unterstützen sie darin, denn so entsteht die Abzugsperspektive für unsere Soldatinnen und Soldaten. Der Einsatz in Afghanistan kann kein Einsatz bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag sein. Wenn die Übergabe gelingt, sollen die letzten Kampftruppen 2014 das Land verlassen. Das heißt aber nicht, dass wir danach keine Verantwortung mehr für Afghanistan übernehmen, etwa beim zivilen Aufbau oder dem Training für Sicherheitskräfte.

(...)

Die Fragen stellten Michael Bröcker und Gregor Mayntz.

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