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„Frieden schaffen durch Abrüstung“ - Staatsminister Werner Hoyer im Magazin Focus

11.10.2010 - Interview

Wenn die Nato sich nunmehr daran macht, ein neues strategisches Konzept zu formulieren, ist sie gut beraten, die Lehren aus dem Harmel-Bericht von 1967 zu beherzigen.

Damals beschrieb der belgische Außenminister Pierre Harmel das Bild einer Nato, die auf zwei Säulen basierte, nämlich der solidarischen Verteidigung des Bündnisgebietes einerseits und einer zu Dialog, Vertrauensbildung, konstruktiver Zusammenarbeit und Abrüstung befähigten Organisation andererseits.

Diese Doppelköpfigkeit der Nato hat bis zu ihrem größten Erfolg, der Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas, beste Dienste erwiesen. Sie ist auch in der heutigen Zeit, die von asymmetrischen Bedrohungen, Terrorismus, Staatenzerfall und gesteigerten Proliferationsrisiken gezeichnet ist, ebenso erforderlich.

Nuklearwaffen waren und sind ein wichtiger Teil des Verteidigungsdispositivs der Allianz. Aber sowohl ihr Charakter als auch ihre Glaubwürdigkeit haben sich nach der Überwindung des Kalten Krieges verändert. Substrategische Nuklearwaffen stellen heute keinen glaubwürdigen Beitrag zur nuklearen Abschreckung mehr dar. Die Überprüfung der amerikanischen Nuklearstrategie hat überzeugend belegt, dass der Rolle der Nuklearwaffen heutzutage eine geringere Bedeutung beizumessen ist als zu Zeiten des Kalten Krieges.

Nuklearwaffen erhöhen Sicherheit nicht

Heute besteht eher die Gefahr, dass Kernwaffenstaaten die Kontrolle über ihre nuklearen Potenziale nicht mehr vollständig gewährleisten können, dass Fehlalarme oder Fehlinterpretationen vermeintlicher Angriffsvorbereitungen eine Katastrophe auslösen können, dass eine unübersehbare Zahl von Staaten der Versuchung nicht widerstehen kann, durch Zugang zu nuklearer Waffentechnologie vermeintlich die eigene Sicherheit zu erhöhen, und dass sogar nichtstaatliche Akteure wie terroristische Organisationen Zugang zu Kernwaffen erlangen, durch die Existenz der Kernwaffen der klassischen Nuklearmächte aber nicht abgeschreckt werden können.

Die USA haben auf dem Weg zur schrittweisen Umsetzung von „global zero“ bereits Zeichen gesetzt: Mit dem neuen Start-Vertrag mit Russland sollen die Kernwaffen um ein Drittel vermindert und mit der neuen amerikanischen Nukleardoktrin die Rolle der Kernwaffen reduziert werden. Darüber hinaus hat Präsident Barack Obama die sensationelle Entscheidung getroffen, auf eine Entwicklung neuer Atomwaffen zu verzichten und allenfalls die Modernisierung der reduzierten Potenziale zu ermöglichen. Zugleich muss die Grundidee des Kernwaffensperrvertrages glaubhaft wiederbelebt werden: „Länder mit Kernwaffen rüsten ab, Länder ohne Kernwaffen erwerben keine, und alle Länder haben Zugang zu friedlicher Kernenergie.“

Auch konventionell abrüsten

Weder die amerikanische Regierung noch die großen erfahrenen Sicherheitspolitiker, die sich mit Samuel Nunn, Henry Kissinger, William Perry, George Shultz auf amerikanischer Seite und mit Richard von Weizsäcker, Hans-Dietrich Genscher, Helmut Schmidt und Egon Bahr auf der deutschen Seite vehement für ein Umsteuern in der Nuklearpolitik engagieren, sind naiv. Es ist klar, dass ohne ein Verifikationsregime, dessen Kontrollbefugnisse um Lichtjahre über die bisherigen Möglichkeiten der IAEO hinausgehen und durch Sanktionsmechanismen des Weltsicherheitsrats der Vereinten Nationen und des Internationalen Strafgerichtshofs glaubwürdig unterfüttert werden müssen, ein vollständiger Verzicht auf Atomwaffen auch Risiken beinhalten würde.

Und es ist ebenso klar, dass das Argument ernst genommen werden muss, dass durch den Verzicht auf nukleare Optionen konventionelle Kriege wieder eher führbar gemacht werden könnten. Es ist deshalb selbstverständlich, dass nicht nur nuklear, sondern auch konventionell abgerüstet werden muss; gerade wir in Europa brauchen funktionierende kooperative Sicherheit und vertragsbasierte konventionelle Rüstungskontrolle. Umgekehrt aber können Kernwaffen konventionelle Rüstungswettläufe nicht verhindern.

Präsident Obama hat selbst gesagt, dass wohl erst spätere Generationen die Realisierung von „Global Zero“ erleben werden. Wir wissen, dass wir dafür Jahrzehnte brauchen. Aber auch auf diesem Marathon müssen jetzt die ersten 100 Meter angegangen werden.

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